Richard Hawley

Breitwandrock hätte man von Richard Hawley eher nicht erwartet. Wenn man denn überhaupt etwas erwartet. Der 45-jährige Sänger, Songwriter und Gitarrist aus Sheffield hat sich in Großbritannien im Laufe der Jahre zwar tatsächlich zu einem Chartact ge­mausert, hierzulande zählt er aber immer noch zu den eher unbekannten Musiklegenden. In den späten 90ern war der Schmalz­tollenträger Gitarrist der Britpop-Hoffnung Longpigs, die sich allerdings schon 2000 nach zwei gefloppten Alben auflösten. Danach stieg er für eine Weile bei Pulp, der Band seines Langzeit-Buddys Jarvis Cocker, als Live-Gitarrist ein.

 

Erst 2001 ging es mit der Solokarriere los, relativ spät — dafür aber umso konsequenter: Sechs Alben lang frönte Hawley als Bilderbuch-Crooner der Nostalgie und unterlegte seinen zartschmelzenden Gesang aus der Roy-­Orbison-Schule mit allerlei antiquiertem Instrumentarium: Tremolo- und Hawaigitarren, Glockenspiel, 50er-Jahre Hollywood-Streicher und zurückgenommenes orchestrales Schlagwerk. Sentimentale Kaminzimmer-Musik für heavy, heavy Herzen.

 

Und jetzt mit Album Nr. 7 die Zäsur: Schon der Opener »She Brings The Sunlight« klingt, als hätten sich Oasis, The Verve, Suede, The Stone Roses und ­Morrissey zu einem Britpop-Monster zusammengetan. Die Drums bolzen einen hypnotisch-schleppenden Groove, darüber ergießen sich Bratpfannengitarren zu einer zähen Lava, heroische »Aahhh«-Chöre öffnen in den Refrains die Hubschrauberperspektive, im Hintergrund dudelt sogar eine Sitar. Der Gipfel: nicht enden wollende Wah-Wah-Gitarrensoli! Auch die drei nächsten Nummern führen das Psychedelic-Konzept munter weiter und werden jeweils zu 5- bis 8-Minütern breitgewalzt. Erst in der Mitte des Albums besinnt sich der Meister für zwei Songs auf alte Tugenden, säuselt dem Hörer zärtlich das Blut vom Trommelfell — nur um hinterher wieder die Dampfwalze auszupacken.

 

»Modern Life Is Rubbish«, getreu dem Titel des zweiten Blur-Albums ist »retro« bei Richard Hawley nicht als Synonym für Ideenlosigkeit zu verstehen. Retro ist Konzept. Wenn er sich mit »Standing At The Sky‘s Edge« nun die 90er Jahre vorknöpft, dann ist das doppelt retro, liegen die Wurzeln der von Hawley adaptierten ­Britpop-Bands wiederum in den 60er- und 70er-Jahren.