Schillernde Einsamkeit

Keller Theater: gute Chancen auf Finanzspritze und die Kafka-Premiere »Amerika«

Bis 2010 erhielt das Theater der Keller durch mehrjährige Konzeptionsförderungen finanzielle Unterstützung seitens der Stadt. Doch dann empfahl der Theaterbeirat dem Kulturausschuss, das Haus aus inhaltlichen Gründen nicht weiter zu fördern. Die Insolvenz stand vor der Tür. Die neue Intendantin Pia Gehle zog allerdings ein ordentliches Programm und die Finanzierung des Hauses neu auf. Mit Erfolg: Im Juni beschloss der Kulturausschuss einen »Feuerwehrtopf Förderkonzepte« — 200.000 Euro zusätzliche Förderung für die Szene. Nun entscheidet der Theaterbeirat über die Verteilung dieser Mittel. Dass der Keller profitieren wird, gilt als sicher. Fader Beigeschmack aus Sicht mancher anderer freier Theater: Warum untergräbt die Politik eine nachvollziehbar gefällte Entscheidung? Zudem fürchtet man, dass Traditionstheater wie der Keller profitieren, junge Ensembles aber leer ausgehen werden. 

 

»Alles auf Pump« lautet da passend das neue Spielzeitmotto am Keller. Kafkas »Amerika — Der Verschollene« war die erste Premiere. Pia Gehle führt selbst Regie und setzt einen klaren Fokus: Der Gegensatz von Traum und Realität steht im Zentrum ihrer Kafka-Interpretation. Wer ist dieser Karl Roßmann, der in Kafkas Romanfragment von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird? Gibt es ihn und seine Reise wirklich? Karl bleibt ungreifbar — und lässt sich zusammen mit den Zuschauern durch das fremde Amerika treiben, lernt seinen Onkel Jakob kennen, verdingt sich als Liftboy, landet als arbeitsloser Schausteller auf der Straße. Die vier Darsteller erzählen seine Geschichte; was Karl spricht, sprechen sie  synchron, was die Grenzen der Person weiter verschwimmen lässt, auf Dauer jedoch anstrengt. 

 

Auch um Karl herum kreiert Gehle eine phantastische Traumwelt: Julia Klomfaß erscheint im Meerjungfrauen-Outfit, Tim Stegemann (mal als Delamarche, mal als Green) in Cowboy-Montur mit Knarre im Gürtel. Wie einer Burlesque-Show entstiegen, mit rosa Puschel-Schwanz und in einem Pailetten-besetztem Hauch von Nichts präsentiert sich Alena -Kolbach mal als verführerische Carla, mal als weinerliche, redselige Sekretärin Therese.

 

Doch was bleibt Karl in seinem Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Gehle schafft es, die große Diskrepanz zwischen äußerem Trubel, schillernden Kostümen, vielen Lachern und Klamauk auf der einen Seite und völliger innerer Einsamkeit, dem Fehlen von Nähe und Vertrautheit auf der anderen Seite aufzuzeigen. Karls Traumwelt ist ungreifbar, unpersönlich, ohne Nähe. Er schwebt durch eine flüchtige Welt.