Weiß, wie Axl Rose tanzt: John Jeremiah Sullivan, Foto: Harry Taylor

Keine Angst vor der ersten Person

John Jeremiah Sullivans Texte stellen vor allem deutsche Leser vor ein Rätsel. Ist das noch journalistisches Schreiben oder schon Literatur? Und darf man das: so hemmungslos »Ich« sagen, als wäre der Text eine Doku von Michael Moore?

 

In den Geschichten des soeben in deutscher Übersetzung erschienenen »Pulphead«, die zuvor in Zeitschriften wie Harper‘s oder New York Times Magazine veröffentlicht wurden, geht es um seine Heimat, die Vereinigten Staaten von Amerika. Es geht um das Comeback von Guns-n-Roses-Frontmann ­Axl Rose, um US-amerikanische Reality-TV-Helden oder die Tea-Party-Bewegung.

 

Obschon naheliegend, ist der 37-Jährige dabei niemals unfair oder gar herablassend. Wenn Sullivan berichtet, wie der Reality-Star »The Miz« von einem »fiascal« statt einem »fiasco« spricht, liest sich das bei aller Komik nicht gemein. Vor allem aber ersinnt er Sätze, die nicht nur wahnsinnig klar, sondern auch wahnsinnig komisch sind: »There were loads of the sort of girls who, when dudes ask them to show their breasts and asses, show their breasts and asses«, beschreibt er die Besucher einer Provinz-Disco, und die Armada der Reality-TV-Darsteller wird bei Sullivan zur »Manson family with perfect teeth«.

 

Am aufregendsten ist dabei Sullivans ständiges Oszillieren zwischen Reportage und Literatur. Seine Ausgangslage ist fast immer journalistisch, tatsächlich haben seine Geschichten aber einen plot, der zumeist von ihm selbst handelt. So fährt Sullivan zu einem Christian-Rock-Festival und man denkt: Okay, leichte Beute! Ein bisschen über die Jesus-Freaks lästern, die unsäglichen Christian-Rock-Bands bloßstellen. Doch dann wird die Geschichte plötzlich zu seiner Geschichte, der Geschichte eines Mannes mit christlicher Vergangenheit, der von den heiligen Geistern seiner Vergangenheit verfolgt wird.

 

Bei aller Ich-Bezogenheit schafft Sullivan es aber auch immer wieder, beim Leser Begeisterung für seinen Themen zu entfachen. Liest man die Geschichte über Axl Rose, will man sofort noch einmal »Patience« oder »Sweet Child O’ Mine« anhören. Oder besser noch: anschauen. Erst dann sieht man nämlich, wie akkurat Sullivan die Rose’schen Tanzschritte beschrieben hat. Das muss ihm erst mal einer nachmachen.

 

John Jeremiah Sullivan, »Pulphead. Vom Ende Amerikas«, 416 Seiten, Suhrkamp Verlag 2012, 20 Euro