Fleischklumpen mit Schmetterlingen

Mit seiner sechsten Jahresausstellung feiert Kolumba Paul Thek — und einen großen Kunstgottesdienst

 

Kolumba ist Kolumba. Mit seiner Eröffnung 2007 hat sich dieses Museum als ein Kunstort eigener Art etabliert. Er zeigt Chronologien und sortenreine Einteilungen souverän ignorierende Ausstellungen sakraler Werke aller Epochen und mischt sie mit Kunst, Design und Kunsthandwerk der Moderne und Gegenwart. Die bisherigen Jahresausstellungen lassen sich als offene, um ein thematisches Motto gruppierte Arrangements beschreiben. Darüber ist fast vergessen worden, dass Kolumba nicht nur Kolumba ist, sondern auch »Museum des Erzbistums Köln«. 

 

Mit der neuen Jahresausstellung wird aus dieser kirchlichen Bindung mutmaßlich eine Verpflichtung. Sie steht unter dem Titel »Art is Liturgy. Paul Thek und die anderen«. In dieser so griffigen wie durch ihren Allgemeingültigkeitsanspruch problematischen Formel — ein Thek-Zitat — werden Kunst und Gottesdienst gleichgesetzt, denn Liturgie bedeutet die »amtliche oder gewohnheitsrechtliche Form des Gottesdienstes«, wie es nüchtern im Duden heißt. In einer Pressemitteilung fasst das Museums Liturgie weiter, in ihr »wird die Geburt, Leben und Werk, die Passion, der Tod und die Auferstehung gefeiert, erinnert und vergegenwärtigt«. 

 

Nicht nur die einengende Bindung an einen theologischen Begriff, auch die Hervorhebung eines einzelnen Künstlers ist ein Novum, konventionelle Retrospektiven sind nicht Sache des Hauses. Auch für Paul Thek macht man keine Ausnahme. Fast immer sind seine im ganzen Haus verteilten Werke — Objekte, Zeichnungen und Bücher, Malereien — mit anderen Stücken kombiniert. 

 

Kolumba hat seit den 90er Jahren die weltweit größte Sammlung mit Werken des Amerikaners zusammengetragen. Paul Thek (1933 –1988) ging es, auch und gerade im Sinne des Liturgischen, ums Ganze, um erste und letzte Dinge. Seine begeisterte, quälende Auseinandersetzung mit Gott und der Welt findet ihren Niederschlag in ebenso individuellen wie rätselhaften, verstörenden Werken. Vor allem seine plastischen Objekte handeln von einer sehr persönlichen Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper, der physischen Seite des Seins als Fleisch, und der Entgrenzung und Aufhebung eben dieses Körpers durch Tod und Erlösung. Thek zeigt ihn mal als ozeanisch zwischen Fischen schwimmenden, treibenden lebensgroßen Leib (»Fishman«, 1969), mal als aus Wachs gefertigten, fettgelben, geweberoten Fleischbrocken, der wie selbstverständlich von Schmetterlingen, den Seelensymboltieren schlechthin, umgeben ist (»Technological Reliquary [Meatsculpture with Butterflies]«, 1966). Spielerischer, heiterer, manchmal naiv erscheinen seine Malereien, Zeichnungen und Radierungen. Aber auch diese Erdkugeln, Schlangen, Meere, Schwäne, Wale sind durch ihre Titel, anspielungsreiche Beschriftungen, nicht zuletzt die traditionelle christliche Symbolik inhaltlich aufgeladen und in heilsgeschichtliche Zusammenhänge eingebunden. 

 

Trifft für Thek das Schlagwort »Kunst ist Liturgie« sicher zu, so ist zu fragen, wie es sich mit den »anderen« verhält. Michael Buthes prätentiös-pathetisches Spätwerk »Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit« (1992) fügt sich bruchlos ins Kunstliturgische. Es besteht aus zwölf geschwärzten Kupfertafeln, die mit ihren gravierten, schwebenden Figuren und üppigen Ornamenten geheimnisvoll im Licht einiger Kerzen im Dunkeln schimmern. Überhaupt scheint diesmal in einigen Räumen eine besonders bedeutungsschwere Andachtsdunkelheit zu herrschen, Jannis Kounellis Goldwand »Tragedia civile« (1975) leuchtet noch ein bisschen feierlicher als sonst in Raum 16. In ihrer Nachbarschaft tauchen Deckenstrahler diverse zeitgenössische Schalen, Becher und Vasen in auratisierendes Licht, zusätzlich erfahren sie im Begleitheft durch ein Zitat zur liturgischen Notwendigkeit von Gefäßen eine unfreiwillige Sakralisierung. 

 

Subtiler sind die Eingemeindungen anderer weltlicher Werke. Ob es sich um Literatur zur Bauhausbühne und George Brechts profane Handlungsempfehlungen handelt, die dem Rituellen zugeschlagen werden, oder um Jürgen Klaukes ironisch-circensische »Daseinsrenovierung #?1–6« (1996–98), die durch eine benachbarte Pietà und Theks »Fishman« in höhere Sphären entrückt wird, stets werden Werke in Zusammenhänge gestellt, die unter dem großen Begriffshimmel des Liturgischen angesiedelt sind. Wie insgesamt diese Jahresausstellung stärker als ihre Vorgänger von einer hoch konzentrierten Bedeutungsdichte und Dauerfeierlichkeit geprägt ist, was auch mit der ungewöhnlich großen Zahl religiös motivierter Stücke zusammenhängen mag. Umso interessanter ist es, dass sich einzelne, eher unauffällige Werke diesem Sinnsog widersetzen. Manos Tsangaris »Pfähle« (1982) fügt sich eigentlich passgenau ins liturgische Unterthema Prozession, doch sein dokumentierter nächtlicher Weg bleibt mit seinen lapidaren akustischen Funden — jeder Metallpfahl wurde unterwegs zum Klingen gebracht — ein nächtlicher Weg, eine Reihe von Klängen. 

 

Dieser und ein paar anderen Arbeiten ist ein leiser, beharrlicher Eigensinn anzumerken, womit die Problematik der Ausstellung deutlich wird. »Art is Liturgy« ist eine konsequent kombinierte und wirkungsvoll arrangierte Ausstellung im immer weiter verfeinerten Stil des Hauses. Aber sie hält sich allzu streng und beflissen an die eigene thematische Vorgabe, verleibt dieser manches ein und verzichtet leider fast ganz auf Reibungen. 


Kolumba, Kolumbastr. 4, »Art is Liturgy. Paul Thek und die anderen«, bis 15.8.2013

Publikation: »Paul Thek. Shrine«,
Köln 2012, 464 S., 773 Abb., 48€