»Dieses ganze über­einander­geschichtete Zeug«

Grizzly Bear machen auf ihrer Tour in Köln Station

Vor drei Jahren schwärmten -Kritiker und Wuschelfrisurträger von Grizzly Bears Album »Vecka-timest«, das Hornbrillenträger-Pop, Psychedelic-Folk und Beach-Boys-Harmonien verschmolz. Kürzlich veröffentlichte die Band aus Brooklyn ihr neues Album »Shields« (Warp/Rough Trade).
Im Interview erzählt Chris Bear, Schlagzeuger und Bandgründer, über Musik als Mosaik und die Schwierigkeiten eines basisdemokratischen Kollektivs.

 

Auf euch lastete ein großer Druck: Nach dem großen Erfolg von »Veckatimest« schienen alle das nächste große Kunstwerk zu erwarten.


Ich glaube, dass wir -darüber nicht so viel nachdenken dürfen. Dass wir uns gegenseitig herausfordern, während wir versuchen, zu dem Punkt zu gelangen, an dem wir alle zufrieden mit einem Stück sind, dieser innere Druck reicht schon vollkommen. Die Erwartungen des Publikums oder der Kritiker spielen bei der Arbeit an der Musik keine so große Rolle. Wenn wir ein Album gemacht hätten nur nach der Maßgabe, dass es dem Publikum gefallen soll, würde es sich für mich merkwürdig, fast billig anfühlen, als würde es nicht wahrhaftig sein.

 

Es geht um musikalische Unabhängigkeit.


Ja. Ich glaube, weil wir einen langsamen, all-mählichen Aufstieg hatten. Zuerst haben wir vor 15 Leuten gespielt, dann vor ein paar mehr, schließlich waren es um die hundert. Das alles ist sehr langsam passiert. Ich habe das Gefühl, dass sich auf diese Weise eine sehr loyale Fan-gemeinde entwickelt hat, ein Publikum, das auch offen ist für andere, neue Sachen, wenn wir die machen wollen. Das erzeugt ein Gefühl der Freiheit, auch experimentieren zu dürfen.

 

Popmusik war früher auch der Soundtrack zur Revolte, wenn wir an die 60er und 70er, Punk und Post-Punk zurückdenken. Eure Musik klingt verspielt, komplex, reichhaltig, aber nicht nach Revolte.


Ich denke, dass es Musik wie in den 60ern, die sich stark auf Politik bezieht, fast gar nicht mehr gibt. Wir versuchen nicht, ein politisches Statement zu machen oder eine message zu übermitteln. Thematisch geht es uns mehr um zwischenmenschliche Beziehungen, darum, was es bedeutet, erwachsen zu werden. In Hinblick auf das Aufrechterhalten oder den Bruch mit musikalischen Traditionen glaube ich, dass wir in gewisser Weise beides tun: uns auf sie beziehen und sie brechen. 

 

Als Band arbeitet ihr als Kollektiv, in dem alle darüber entscheiden, wie die Musik klingen soll.


Wir sind alle kreative, durchsetzungsfähige Menschen, die manchmal sehr unterschiedliche Dinge wollen, das zu vermitteln ist unglaublich schwierig. Natürlich macht man manchmal Kompromisse, wir haben uns aneinander gewöhnt und sind in der Lage, Kritik von den anderen anzunehmen und offen zu reden. Es fühlt sich nicht so an, als würde man einen Kampf verlieren. Das Ziel ist, sich auf etwas zu einigen, das uns allen das Gefühl gibt, nicht zu große Kompromisse schließen zu müssen. Es dauert nur viel länger, da hinzukommen (lacht).

 

Ein und dasselbe Lied zeigt bei euch oft viele verschiedene Einflüsse. Wie setzt ihr eure Songs zusammen?


Eigentlich hat jeder Song eine eigene Geschichte. Es passiert, dass ein Song vom ersten Einfall bis zur endgültigen Auf-nah-me in vielleicht 24 bis 48 Stunden entsteht. Mit anderen Songs haben wir schon im Januar angefangen, sie aber erst Ende Mai zu Ende gebracht, zum Beispiel der letzte, lange Song auf dem Album, »Sun in your eyes«. An dem haben wir sehr lange nicht gearbeitet?…(lacht)?…?weil wir nicht so recht wussten, was wir damit anfangen sollten. Aber wir hatten genaue Vor-stellungen, was für Arrangements wir wollten: Wir wollten diese Trom-pete dazuhaben und am Ende die Waldhörner, also sind wir drangeblieben. Es war, als -hätten wir auf das Lied warten müssen. Wir hätten das nicht erzwingen können, schließlich hat es sich von selbst offenbart.

 

Als wäre es eine Art Mosaik, das über einen langen Zeitraum hinweg Stück für Stück zusammengesetzt wird.


Ja, genau! Zumindest bei einigen Songs fühlt es sich so an, als würde man allmählich eine Sache nach der anderen hinzu-fügen. Und dann gibt es Stücke,
bei denen wir erst mal jede Menge Sounds aufnehmen — da ist der Trick herauszufinden, was man wieder wegnehmen muss, um zu bemerken, was das Eigentliche, das Entscheidende des Songs ist, was ihn ausmacht. Der Weg, den Song zu finden, ist wirklich von Stück zu Stück unterschiedlich.

 

Was würdest du jemandem antworten, der eurer Musik zu prätentiös, zu ausschweifend und überfüllt empfindet?


Natürlich kann unsere Musik diesen Eindruck erwecken, weil es diese komplexen Arrangements gibt und dieses ganze übereinandergeschichtete Zeug. Vielleicht denken einige, dass das etwas übertrieben ist oder zu kopflastig, während wir versuchen, genau das um jeden Preis zu vermeiden. Wir denken lange nach, bevor wir noch etwas zu einem Song hinzufügen. Wir versu-chen alles, damit es nicht gezwungen wirkt. Es gab natürlich Songs, wo ich mir sicher bin, dass wir tatsächlich zu viel über sie nachgedacht haben, an denen wir zu viel gearbeitet haben. Bis wir an einem Punkt waren, an dem sie sich nicht mehr echt angefühlt haben. Eigentlich versuchen wir, Musik zu machen, die nicht künstlich klingt.