Seelenexplosionen auf dem Dorf

Die acting.accomplices überzeugen mit »Kaltes Land« im Artheater

Im Kino hat es vor zehn Jahren der Regisseur Hans Steinbichler mit »Hierankl« vorgemacht, kurz darauf zog im Theater der Schweizer Dramatiker Reto Finger mit »Kaltes Land« nach. Beide machen in ihren Werken die eigene Heimat in den Alpen zum Thema. Typische Merkmale des Heimatfilms bzw. des Volkstheaters, etwa ein Plot in zuckriger Heidi-Bergwelt-Idylle mit Happy End, fehlen. Wie es scheint, birgt die ländliche Welt, der die beiden entstammen, eher die perfekte Voraussetzung für einen Heimatbegriff, der weht tut. Denn hier wird verdrängt und eisern geschwiegen. Die Entscheidungen trifft der liebe Gott. Bis jemand zurückkommt oder je-mand heraus will aus einer Welt, die er nicht mehr sein Eigen nennen kann.

 

In »Kaltes Land« ist das Hanna, die gedankenverloren am Bahnhof den vorbeifahrenden Zügen hinterher sieht. Hinzu gesellt sich ein junger Städter, Tobias, der gemeinsam mit einer Freundin (von -Finger herrlich angelegt als närrische Transe) auf Landpartie ist. Zugleich ist er  von Hanna, dem Dorfmädchen, angetan. Wird der junge Mann mit Hipster-Brille ihr Sprungbrett in die weite Welt, ihr Retter sein? 

 

Autor Finger wechselt die Szenen — zum Beispiel in die Wohnstube der einfachen Bauerneltern Hannas. Die Familie streitet sich. Werden Mutter und Vater trotz ihres Glaubens an höhere Mächte und Teufelswerk verständnisvolle Worte für die kritischen der Tochter finden? Die junge Frau schliddert konsequent einem unguten Ende entgegen, an dem der Hip-ster und ein Pfarrer tot sind, und der Vater am Strick im Kuhstall baumelt. 

 

Es ist ein überaus spannendes Stück, das sich das Ensemble acting.accomplicies ausgesucht hat, Thomas Ulrich hat es adäquat inszeniert. Mühelos und ohne große Requisite behaupten die hervorragenden Schauspieler ihre Figuren, indem sie der Suggestion des Texts vertrauen. Es sind Wörter, die in Loops fließen oder schlicht ausgespart werden und das Nicht-Sagbare eindringlich zwischen den Zeilen formen. Mit jeder Szene ragen die Seelennöte der Dörfler mehr empor, bis sie explodieren.

 

Kleine und feine Regieeinfälle, eine Bereicherung für die eher konventionell angelegte Erzählweise, verstärken Fingers kantige Sprache der Verknappung. Die Spieler tun ihr Übriges, um der Tragödie nicht die Wucht zu nehmen. Insbesondere Aischa Löbbert erkämpft ihrer Hanna durch ihr anrührendes Spiel als eine emotional total unterversorge junge Frau viel theatralen Raum. Dieser Eindruck einer gefallenen Heldin ist stark und bleibt im Gedächtnis. Hoffentlich haben die acting.accomplicies noch viele solcher Abende vor sich.