Desaster in Zeitlupe

Bernd Wilberg über das Strukturförderprogramm »Mülheim 2020«, mit dessen Umsetzung Politik und Verwaltung überfordert sind

Will man den Projekbüroleiter von Mülheim 2020 sprechen, landet man in der Zentrale des städtischen Call-Centers. Ein Band erklärt, man möge es doch bitte später noch mal versuchen. Jürgen Oster ist nicht gut zu erreichen. 

 

Die Kommunikationspolitik der Stadt ist schlecht, aber nicht nur deshalb sind viele in Mülheim so genervt. Sie können nicht erkennen, dass es in ihrem Veedel vorangeht. Und dass, obwohl mit Mülheim 2020 ein Strukturförderprogramm aufgelegt worden ist, um die soziale Schieflage im Veedel zu begradigen. Es gibt dafür mehr als vierzig Millionen Euro. Viel Geld, zumal in einer Zeit, in der es in Köln finanzpolitisch kaum noch Handlungsspielraum gibt. Die Summe stellt die EU, der Bund und das Land NRW, und sie ist dafür vorgesehen, im Stadtbezirk Bildungsangebote auszubauen, Firmen anzusiedeln, Arbeitsplätze zu schaffen sowie Ideen für Straßen, Plätze und Grünanlagen umzusetzen. 

 

Die vierzig Millionen Euro sollten sich eigentlich zu etwa gleichen Teilen auf Maßnahmen in den Bereichen Bildung, lokale Ökonomie sowie Städtebau aufteilen. 5,5 Millionen Euro stehen für flankierende Maßnahmen bereit, darunter seit kurzem auch für eine Evaluation und ein Controlling des Prozesses. Gerade daran aber hapert es ja, wie sich gezeigt hat. Die Stadt ist mit der Umsetzung des Programms derart überfordert, dass die Fördermittel nicht vollständig abgerufen werden können. 

 

Auf der Internetseite der Stadt heißt es: »Wir arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung des Programms.« Anfang 2009 wurde Mülheim 2020 im Rat beschlossen, 2014 läuft die Förderung aus. Doch es geht nur schleppend voran. Von den anfangs vierzig geplanten Projekten sind kaum welche abgeschlossen. Aus Sicht der Stadt aber laufen etwa dreißig mit Erfolg. Vieles ist zu spät in Angriff genommen worden. So ist das »Büro Wirtschaft für Mülheim«, das unter anderem »ethnische Unternehmerschaft« fördern und Gründerberatung bieten sollte, immer noch nicht umgesetzt. Kritiker glauben, dass selbst bei einer baldigen Vergabe nun kaum noch Arbeitsplätze bis zum Projektende in zwei Jahren geschaffen werden können. Die Stadt scheint unfähig zu sein, zumindest aber viel zu langsam, um die Projekte voranzubringen. Dadurch drohen beim jetzigen Stand vermutlich rund zehn Millionen Euro der bereitgestellten Mittel zu verfallen. Das musste Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) unlängst einräumen, obwohl er zunächst noch beschwichtigt hatte. Zahlreiche dringend benötigte soziale Projekte sind gefährdet, etwa die Sprachförderung in Mülheimer Kitas.

 

Die Schuld an der Misere, so ist von der Stadtspitze zu hören, trügen vor allem die EU-Vergaberichtlinien: Alle Projekte müssten europaweit ausgeschrieben werden, selbst dann, wenn es soziale Maßnahmen im Veedel sind. Die Stadtspitze ist nach dem rechtswidrigen Messe-Deal mit dem Oppenheim-Esch-Fonds in dieser Hinsicht offenbar sensibilisiert. Dies jedenfalls wäre eine wohlwollende Erklärung für das Desaster. Dass weniger Geld aus dem Fördertopf geschöpft werde, erklärt das Amt für Stadtentwicklung übrigens auch damit, dass man durch das Verfahren überraschend günstigere Angebote für Projekte bekommen habe, als vermutet. Es gibt aber auch andere Erklärungen. Etwa, dass eine Vielzahl städtischer Ämter mit Mülheim 2020 befasst ist und der Stadt das Know-how fehlt, zu koordinieren. Persönliche Fehden unter einigen Amtsleitern hätten eine effiziente Prozesssteuerung außerdem erschwert, heißt es hinter vorgehaltener Hand. 

 

Im Umfeld der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) wittert man einen Komplott. Tatsache ist, dass viele Ideen des SSM nicht umgesetzt werden. Darunter ein Baustoff-Recycling-Hof für Langzeitarbeitslose sowie »Neue Arbeit für Mülheim«, ein Projekt für schwer vermittelbare Erwerbslose. Die Stadt wiederum sagt, dieseProjekte seien nicht gründlich vorbereitet worden. 

 

Bei der SSM ist man darüber empört und schlägt Alarm. Den Eindruck bekommt schon, wer die  Veröffentlichungen liest, die von dort durch die Stadt gemailt werden. Es ist ein Sound, der sich aus moralischem Furor und Verbitterung speist. Aufgrund der hochfrequenten E-Mail-Kampagnen des SSM sah sich Stadt gezwungen, beschwichtigende Pressemitteilungen zu verschicken: lauter Erfolgsmeldungen zu Maßnahmen, die freilich noch gar nicht abgeschlossen sind. 

 

Doch auch jene, die dem Alarmismus des SSM nicht folgen mögen, kritisieren die Umsetzung des Projekts – zum Beispiel auch, weil die repräsentativen städtebaulichen Maßnahmen scheinbar Vorrang vor sozialen und solchen der lokalen Ökonomie haben. Die sind tatsächlich in der Überzahl. Sie betreffen etwa die Umgestaltung des Wiener Platzes, der Frankfurter und der Buchheimer Straße. Hierfür sind derzeit 13,5 Millionen Euro veranschlagt, für Wirtschaftsprojekte noch nicht mal die Hälfte. Für ein »Internationales Geschäftshaus«, das Handel, Gewerbe und Wohnen zusammenbringen und hundert Arbeitsplätze ermöglichen sollte, findet die Stadt kein Gelände. 

 

Ende 2011 wurde eine Amtsleiterin als Koordinatorin von Mülheim 2020 abgezogen. Nun steht das Projektbüro unter der Leitung des Mülheimer Bürgeramtsleiters Hans-Jürgen Oster (CDU), dem Mann mit der Telefonnummer der Call-Center-Zentrale. Osters schlechte Erreichbarkeit zeigt zweierlei: wie die Stadt sich wegduckt und wie sie den Kontakt zu den Bürgern und deren Kritik scheut. Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs (SPD) ist genervt, wenn man ihn auf die Kritik anspricht. Mülheim 2020 würde zerredet und miesgemacht, sagt er. Als Vorsitzender des Veedelsbeirats, des Gremiums, das gewährleisten soll, dass die Bürger den Fortgang von Mülheim 2020 begleiten und prüfen, hat er kürzlich durchgesetzt, dass Bürgeranfragen nicht mehr in die Protokolle aufgenommen werden.

 


»Mülheim, mon amour»
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→ Der schlechte Ruf als Wahrzeichen
→ Mülheim rules

→ Vom Mühlendorf zum Problemviertel

 


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