Die wahrscheinlich schönste Ecke im Veedel: das Ufer mit dem »Mülheimer Mäuerchen«; Foto: Manfred Wegener

»Mülheim rules«

Unser Autor Bastian Tebarth ist frisch nach Mülheim gezogen. Ihm gefällt es im Veedel ganz gut, auch ohne rosarote Brille

Etwas schönzureden, ist keine Tugend. Die Verdrehung der »hässlichen« Tatsachen wird gemeinhin als Selbstbetrug, Verblendung oder gar pathologisch ver-urteilt. Man solle doch den Tatsachen nüchtern ins
Auge blicken — hässlich bleibt hässlich und wird nicht einfach schön.

 

Köln ist dafür bekannt, jene Verklärung besonders renitent zu betreiben, die Stadt bietet ja auch reichlich Anlass. In Mülheim verdichten sich Kölner Umstände wie unter einem Brennglas: Bausünden wie der Wiener Platz, Einzelhandels-Krisenzonen wie das Einkaufsparadies Frankfurter Straße und soziale Brennpunkte wie die Berliner Straße lassen Journaille und Politik gerne — und ganz nüchtern — von einem »Problemviertel« sprechen. Hier, in die Tristesse der Peripherie, wo Vorstadt auf Großstadt trifft, zieht es tatsächlich die wenigsten hin. Schön reden lässt sich das hier nicht so einfach.

 

Auch ich wollte nie nach Mülheim. Dann entdeckte ich ein Wohnungsinserat, mit folgender kurzen Sentenz: »Mülheim rules«. Sicherlich mit einer Portion Ironie gemeint, aber dennoch eine Ansage, die mich verblüffte; »Mülheim rules« — das klang doch recht abwegig. Das präpotente Konstatieren der Vorherrschaft ist fast so albern wie der Aufwärtsvergleich »New York, Tokio, Ehrenfeld« auf T-Shirts. Bezieht man sich in Ehrenfeld auf die eigene Kreativ- und Lifestyle-Strahlkraft und behauptet eine Ebenbürtigkeit mit internationalen Großstädten, geriert man sich in Mülheim als Underdog mit Ghetto-Attitude: zu behaupten, dass Mülheim herrsche, ergibt ja auch nur deswegen Sinn, weil dies eben nicht der Fall ist. Es käme ja auch niemand ernsthaft auf die Idee, »Belgisches Viertel rules« auszurufen. Hegemonialansprüche werden von den Benachteiligten, den Machtlosen ins Feld geführt, nicht von einem bereits etablierten Akteur.

 

Während man sich in Ehrenfeld also schon im internationalen Wettbewerb sieht, kämpft man in Mülheim noch um einen (vorderen) Platz im innerstädtischen Beliebtheitsranking. Und jetzt, wo ich tatsächlich hier wohne, merke ich: Die rosarote Brille brauche ich gar nicht. Sie hilft zwar, den gut versteckten Charme eines Wiener Platzes zu entdecken, aber Mülheim hat einfach — ganz nüchtern betrachtet — sehr schöne Ecken. Die muss man sich gar nicht erst schönreden. Wo ich jetzt wohne, muss ich nur drei Schritte von der Haustür bis zum Rhein gehen und habe einen grandiosen Ausblick auf die Kölner »Skyline«: Messeturm, Dom, Media Tower, Colonius. Man gehört zwar nicht so ganz dazu, dafür kann man aber prima draufgucken. Und weiter im Geheimen an der Vorherrschaft basteln — der Tag wird kommen. Die Karawane muss ja schließlich irgendwann weiterziehen.

 


»Mülheim, mon amour»
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→ Der schlechte Ruf als Wahrzeichen
→ Desaster in Zeitlupe

→ Vom Mühlendorf zum Problemviertel

 


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→ Kalk (2011)
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