»Wir meinen, dass die einzige Bedeutung, die Musik besitzt, in ihrer Form selbst liegt«

Drastische Musik altert nie und sorgt für anhaltende Frische im Oberstüberl, wie das junge Berliner Label Who cares if you listen? demonstriert

Kreischen, Brüllen, Maschinengewehrbeats, hundertfach aufgedrehter und wieder abrupt abgewürgter Staubsaugerlärm, Sampleschnipsel aus der Hölle: Die Musik von Alexandra von Bolz’n dürfte für den einen oder die andere keine geringe Herausforderung sein. Zuweilen klingt sie, als würde eine Grindcore-Band gemeinsam mit ein paar Hexen im Schlepptau täuschend echt die Geräusche eines schweren Auffahrunfalls nachahmen. Es ist ein Album, das im Warenhaus nebenan schwer zu kriegen sein dürfte, auch deshalb, weil es in einer vergleichsweise überschaubaren Auflage erscheint.

 

Produziert und vertrieben wird es von einem frisch gegründeten Berliner Kleinstlabel, das sich den schönen Namen »Who Cares If You Listen« gegeben hat und nach eigenen Angaben nur »drastic music« veröffentlicht.

 

Tatsächlich ist auch das Album »Düello« der Formation ZAT eher eine Angelegenheit für Freunde des Düsteren. Beim Hören der darauf enthaltenen Klangskulpturen, die Titel wie »Kollapsus« oder »Arsenik Spazm« tragen, sieht man unwillkürlich verrottende postindustrielle Landschaften vor sich oder denkt an unterbelichtete Horrorfilme ohne Happy End. Es dürfte nicht viele Menschen geben, die sich derlei freiwillig zu Kaffee und Kuchen anhören mögen.

 

»Wir können uns da zu einem gewissen Grad einfühlen und versuchen, das zu verstehen. Schließlich fragen wir uns, wenn wir ein Plakat von Radiohead, Coldplay und ähnlichen Quatschbands sehen, auch immer, wer deren Musik freiwillig hören möchte«, sagt Markus Ströhlein, einer der Labelbetreiber und der kreative Kopf hinter ZAT.

 

»Geld verdienen wir mit unserer Musik zwar nicht, jedenfalls noch nicht. Doch investieren muss man auch nicht viel. Wir kriegen also keine Alpträume, weil Wagenladungen voller Tonträger verkauft werden müssen«, meint er gelassen. Gegründet habe man den Mini-Musikverlag schließlich nicht, um Geld zu scheffeln, sondern in erster Linie »aus Abscheu darüber, dass es derart viele Labels gibt, die so offensichtlich schlimme Grütze verbreiten«.

 

Mangelndes Selbstbewusstsein kann man dem Mann, der hauptberuflich als Journalist tätig ist und ursprünglich der Straight-Edge-Szene entstammt, offensichtlich nicht vorwerfen. Um den Massengeschmack schere er sich nicht im geringsten, so gibt Ströhlein zu verstehen. »Das erlaubt uns, zu tun und zu lassen, was wir wollen, nämlich Musik zu veröffentlichen, die sich nicht als Gebrauchsmusik verwenden lässt. Den Einwand, unsere Musik sei zu verkopft und anstrengend, erheben nur verkappte Kulturstalinisten.«

 

Als »Gebrauchsmusik« bezeichnet der aufgeräumt wirkende Familienvater abschätzig nicht nur all die von der Unterhaltungsindustrie durchgenormten Klänge, die im Haushalt beim Bügeln und zum Hopsen in der Disco gehört werden können, sondern auch jede Form politisch engagiertes Liedgut, dem »die Musik nur Mittel zum Zweck der Welterklärung« sei. Ganz egal, ob es sich nun um sogenannte gesellschaftskritische Liedermacher handelt oder um Verfallsformen eines gegenwärtigen Punkrock, der sich zumeist im Schwingen linkssozialdemokratischer Parolen erschöpft.

 

»Politmusik ist neben der Atombombe, Muzak und Dauerwerbefernsehen eine der schlimmsten Hervorbringungen der Menschheit«, erklärt Ströhlein. »Wir meinen, dass die einzige Bedeutung, die Musik besitzt, in ihrer Form selbst liegt, also in der Art, wie sie harmonisch, melodisch, rhythmisch und klanglich organisiert wird. ZAT arbeitet beispielsweise mit Zwölftonreihen und freien tonalen Verbindungen, die in einen sehr stark verfremdeten Rockkontext überführt werden.«

 

Dennoch weiß man nicht, ob Theodor W. Adorno dem Bandprojekt ZAT etwas hätte abgewinnen können. Wer hört also solche Musik? Auch das weiß Ströhlein: »Nerds, die auch bei schönstem Sonnenschein lieber zuhause sitzen, anstatt wie alle anderen im Biergarten herumzuhängen.«

 

Tonträger: ZAT, »Düello«

 

Alexandra von Bolz’n, »Schnitt«

 

Kontakt: who-cares-if-you-listen.de