Don’t call it Musiktheater

Jenny Thiele spielt expressionistische deutsche Popsongs

Pop und Akademie — eine Kombi, auf die Angehörige älterer Musikergenerationen oft verächtlich reagieren. Pop, das heißt Selbstermächtigung, Auflehnung gegen das Kulturestablishment: Das kann einem keiner beibringen, schon gar kein Musikhochschulprofessor. Oder? Erfolge von Acts wie Get Well Soon oder auch Wir Sind Helden haben die Angelegenheit in den letzten Jahren in ein anderes Licht gerückt. Werden an den Akademien inzwischen nicht nur potentielle »Voice-of-Germany«-Kandidaten ausgebildet, sondern auch wahrhaftige Künstler?

 

Auch bei der in Köln lebenden Musikerin Jenny Thiele führte der Weg zum Pop nicht über die Teenager-Revolte im muffigen Proberaumkeller: »Mein Vater hat schon immer Musik gemacht und mich begleitet. Ich bin mit Theater und Musical groß geworden, schon mit zwölf habe ich Gesangsunterricht bekommen.« Nach der Schule ging es dann zum Musikstudium nach Arnheim: »Man ist ständig an der Grenze zwischen verkopfter Analyse und dem, was man ist und will. Ich beneide die Leute, die ohne Ausbildung ihr Ding machen, mittlerweile sehe ich das Studium als Phase, aber es lässt sich natürlich darüber streiten, ob Bob Dylan nicht der tausendmal bessere Sänger ist, weil er nie geschult wurde.«

 

Eine hervorragende Sängerin ist Jenny Thiele allemal, wie die Mittzwanzigerin auf ihrem Debüt »Haus« unter Beweis stellt. Ihre Art zu singen, lässt sich nicht vergleichen mit dem recht schnörkellosen, textorientierten Gesang aktueller Deutschpop-Acts. Jenny hat einem Hang zum Ausladend-Expressionistischen, nennt Björk und Jeff Buckley als Vorbilder. Das führt beim Publikum zu ambivalenten Reaktionen: »Viele finden es erfrischend, auf welche Weise ich ihnen die deutsche Sprache näher bringe, manche sind aber auch genervt. Das, was ich mache, ist eben auch mega konfrontierend.«

 

In den Songs von Jenny Thiele konkurrieren Text, Stimme und Instrumente um die Vorherrschaft. Die Musikerin ordnet die Arrangements nicht dem Gesang unter, sondern neigt auch hier zum Uferlosen, lädt das experimentelle Streichquartett Badz oder die Samba-Trommelgruppe Buyakano ins Studio, deren Mitglieder sie aus dem Studium kennt: »Viele meiner Studienkollegen wohnen inzwischen in Köln, daraus hat sich ein richtig gutes Netzwerk gebildet.« Zu diesem gehört das Label Hey!Blau, mit dessen Betreiber Jenny auch als Akustikduo Tom und Jenny unterwegs ist.

 

Demnächst ist Jenny für eine moderne Oper über Dorian Grey in Arhus/Dänemark engagiert, und weitere Projekte blinken schon am Horizont: »Ich interessiere mich momentan eher für die kleinen, feinen Momente in der Musik und weiß Schlichtheit zu schätzen. Ich bin voll im Umbruch, die Platte ist der Ab­schluss von etwas, die Songs gibt es schließlich schon seit zwei, drei Jahren!«

 

Tonträger: »Haus« ist bereits auf Hey!Blau Records erschienen

 

Info: jennythiele.de