Widersprüche wahrnehmen

Der Düsseldorfer Kunstverein erschließt die interdisziplinären Aktivitäten von Henry Flynt

Eine der Arbeiten, denen man beim Rundgang durch die Werkschau Henry Flynts zuerst begegnet, ist eine hellgelbe Wandfläche. Auf dieser wiederholt sich in ornamentaler Regelmäßigkeit die Aussage: »Every other sentence on this wall is false.« Jeder andere Satz auf dieser Wand ist falsch? Da alle Sätze auf dieser Wand identisch sind, muss folglich auch dieser Satz falsch sein. Könnten dann nicht im Umkehrschluss alle anderen Sätze richtig sein? Um das Paradox zu steigern, lautet der Titel der Arbeit »One True Sentence« (1989). Schon öffnet sich unter einem eine logische Falltür.

 


Es war wohl nie Absicht dieses amerikanischen Künstlers, sein Publikum in intellektueller Sicherheit zu wiegen. Anfang der 60er Jahre, nach einem abgebrochenen Studium der Philosophie in Harvard, entwickelte der erklärte Atheist seine Theorie des »kognitiven Nihilismus«; parallel dazu verfolgte er musikalische Aktivitäten im Umfeld des radikalen Komponisten La Monte Young, der zudem ein einflussreicher Vertreter der aufstrebenden Fluxus-Bewegung war. Auch in die komplizierte Entstehungsgeschichte der »Konzeptkunst« ging Flynt Anfang der 60er Jahre ein: Er definierte sie als »eine Kunst, deren Material Konzepte sind, so wie z. B. das Material von Musik Klang ist«.

 


Wenig später folgte ein ideologisch begründeter Rückzug aus der bildenden Kunst als gesellschaftlicher Konvention. Erst 1987 kehrte Flynt in die Kunstwelt zurück — aus »taktischen Gründen«, wie er formulierte, um der Öffentlichkeit seine theoretischen Überlegungen zur concept art auch anhand von realisierten Werken zu vermitteln. Flynts Werk im Bereich der bildenden Kunst ist — im Vergleich zu seinem umfangreichen musikalischen und schriftstellerischen Output — überschaubar und fast vollständig in Düsseldorf versammelt. Neben Sprache finden sich Malerei und Objekte als gleichberechtigte Medien, in denen beispielsweise Fragen von Zufallsoperationen oder musikalisch-mathematischen Proportionen verhandelt werden.

 


In Anbetracht von Flynts radikaler Infragestellung der Institution Kunst fällt es nicht leicht, sich auf diese eher werkförmigen Formate einzulassen. Doch angesichts der heutigen Kunstwelt, die die Debatte über die Kriterien einer relevanten, sinnvollen Kunstproduktion öfters schleifen lässt, wirken Flynts gründliche Bedenken ausgesprochen inspirierend.