Foto: Manfred Wegener, »Die Frage ist wie man die Geschichte erzählt, aber auch: Was ist denn noch da!«

Revision, nicht Beliebigkeit

Stabübergabe im Museum Ludwig: Ein Treffen mit dem neuen Direktor Philipp Kaiser

Während »A Bigger Picture«, die nun wirklich allerletzte Ausstellung der zwölfjährigen Ära König, das halbe Museum in einen David-Hockney-Tempel verwandelt hat, zeigt sich die neue Regentschaft seit 1. November in der Verwaltungsetage. Das legendäre Direktorenbüro mit der schönen Aussicht und dem deprimierenden Teppichboden ist leergefegt. »Am liebsten wäre mir gestrichener Beton«, überlegt der 40-jährige Philipp Kaiser mit Blick auf die geerbte Auslegeware.

 

Mit dem 1972 geborenen Schweizer, der vom MOCA in Los Angeles nach Köln gewechselt ist, ist dem Haus ein neuer Stil gewiss. In den ersten Tagen tut Kaiser das wohl ratsamste: Er pocht auf Zeit, um die Stadt, das Haus, vor allem dessen Sammlung besser kennenzulernen, statt große Parolen auszugeben. Erste Pflöcke eingeschlagen hat er mit dem Ausstellungsprogramm für 2013. Sechs monografische Ausstellungen wird es geben, deren Nach- und Nebeneinander Kaiser auch als Erzählung verstanden wissen will. Und irgendwie passt es, dass dieses Treffen und Kaisers erste Pressekonferenz in der Woche der US-Wahlen stattfinden.

 


Der erste Eindruck Ihrer Jahresplanung: erfreulich viele Künstlerinnen, ein Schwerpunkt auf Konzeptuellem, sehr amerikanisch. Ist dieser Auftakt programmatisch? Dass viele Frauen dabei sind stimmt, finde ich eigentlich selbstverständlich. Bei Amerika sind es unterschiedlichste Künstlergenerationen, Saul Steinberg gehört in die 50er Jahre, der Grundimpuls der Malerin Jo Baer war Mitte 60er, Andrea Fraser gehört in die 90er, und zwischen East und West Coast liegen auch Welten. Amerika ist ja viel pluralistischer als Europa immer glaubt! Ich könnte ein eklektizistisches globales Programm machen, aber man muss schon erstmal mit der Spezifität des Ortes und des Museums arbeiten.

 


Köln hat die wichtigste Sammlung amerikanischer Pop Art außerhalb der USA ... Ja, es gibt die Geschichte der Sammlung Ludwig und es gibt die Geschichte Kölns — mit Kippenberger, der in L.A. war, mit Andrea Fraser, die die wichtigsten Arbeiten in der Kölner Galerie Nagel realisiert hat. Es ist eine Bestandsaufnahme, erst mal sehr amerikanisch, aber das wird sich schon noch ändern. Es geht ja um die Nachhaltigkeit dieses globalen Diskurses, nachdem vor zehn, zwanzig Jahren der geografische Raum sich total geöffnet hat und das in so einer postmodernistischen Beliebigkeit geendet hat, die regressiv ist und letzten Endes nichts mehr erzählt.

 


Dagegen setzen Kaiser auf Konzentration. Auf Saul Steinbergs »The Americans« (ab 23.3.) folgt zur Art Cologne Wolfgang-Hahn-Preisträgerin Andrea Fraser mit ihrer ersten musealen Werkschau, kombiniert mit dem an der KHM lehrenden Video- und Performancekünstler Phil Collins. Parallel zu Kathryn Andrews Skulpturen verspricht die Retrospektive der Malerin Jo Baer einen Höhepunkt; im Herbst kuratiert Kaiser — zeitgleich zur obligatorischen Neupräsentation der Sammlung — eine Werkschau der Konzeptkünstlerin Louise Lawler. Die Künstlerliste weist auch in jene Richtung, über die der designierte Direktor schon 2011 laut nachgedacht hatte.

 


Sie wollen die diskursfreudigen 90er Jahre in Köln aufarbeiten. Wird das ein Schwerpunkt bleiben? Diese Phase ist einfach noch nicht historisiert worden. Im Rheinland gibt es ein sehr starkes Engagement für konzeptuelle Positionen, das Publikum ist sehr aufgeklärt. Diese Formation um Galerie Nagel und Texte zur Kunst war schon entscheidend für Köln, gerade auch im Dialog mit den USA und mit einer sogenannt kritischen Kunst. Möglicherweise gibt es da Ankäufe zu tätigen, das ist ja auch eine Frage: Nicht nur wie man die Geschichte erzählt, sondern was denn noch da ist! Das waren oft Installationen, die dann nach der Ausstellung verschwunden sind, die überhaupt nicht für den Markt gemacht wurden. Das Museum hat eine Verantwortung dafür, auch diese ephemere Praxis zu repräsentieren.

 


Die Musealisierung jüngster Kölner Kunstgeschichte soll weder Selbstbespiegelung noch Revival sein, sondern kritische Revision,  ein Lieblingsbegriff Kaisers. Was sonst alles »neu gesehen« werden könnte, erläutert er beim Rundgang durch das Haus. Die Pop Art würde er gern aus dem Untergeschoss ans Tageslicht holen, überhaupt ganz anders präsentieren, Sammlung und Wechselausstellungsformate stärker verschränken — und die markante Treppe im DC-Saal, »vielleicht muss die raus, sie hat so was seltsames von Flugzeuggangway«.

 

Das Museum Ludwig unter der neuen Leitung wird ein anderes sein, aber vieles will Kaiser fortführen: Königs Sammlungspolitik »zwischen Korrektur und Verdrängung«, die konsequente Haltung gegenüber Leihgebern, und auch einen ordentlichen Blockbuster soll es gelegentlich geben. Zur Anwerbung von Ausstellungsmitteln kann Kaiser von seiner US-Erfahrung profitieren, insgesamt hat sich die finanzielle Situation mit einer Million gesichertem Ankaufsetat leicht verbessert. Die Zukunft macht neugierig. »Not yet titled.« hat Philipp Kaiser seine erste Sammlungspräsentation programmatisch betitelt, diese Offenheit darf »der Nachfolger« auch von uns erwarten.