Foto: Manfred Wegener

»Die Geld­­vernichtungs­maschine«

Nach zweieinhalb Jahren erwirtschaftet die Stiftung Stadtgedächtnis nicht einmal ihre Betriebskosten

Der Konjunktiv II ist der Freund der Verzweifelten. Im Kulturausschuss beantwortete Kulturdezernent Georg Quander vor drei Monaten eine Anfrage von Thor ­Zimmermann von der Wählergruppe Deine Freunde mit dem schönen Satz: »Sollte die Stiftung irgendwann eigene nennenswerte Mittel generiert haben.« Gemeint war die Stiftung Stadtgedächtnis, für die selbst der Kulturdezernent inzwischen offenbar kaum noch Hoffnung hat.

 

Gegründet wurde die Stiftung Stadtgedächtnis im Juli 2010 mit dem Ziel, Spenden für die Restaurierung der beim Einsturz des Stadtarchivs beschädigten Dokumente des Historischen Archivs zu akquirieren. Davon ist sie nach zweieinhalb Jahren weit entfernt. Nachdem in der Öffentlichkeit Gerüchte aufkamen, die Stiftung zehre ihr Kapital auf, ohne nennenswerte Spenden einzuwerben, legte der Vorstandsvorsitzende Stefan Lafaire, der seit Oktober 2011 im Amt ist, jetzt Zahlen vor. Danach wurden seit Gründung gerade einmal 119.000 Euro an Spenden eingeworben.

 

Weitere Einnahmen von 295.000 Euro stammen aus der Anlage des Stiftungskapitals, wobei allerdings vor allem in den ersten beiden Jahren offenbar Fehler gemacht wurden. Darauf deutet der Passus »Verluste aus Wertpapiergeschäft« über 11.970 Euro hin. Alle Erträge zusammen genommen sichern aber nicht mal die Betriebskosten für zweieinhalb Angestellte, zwei 400-Euro Kräfte und sonstige Ausgaben, die sich bis heute auf rund eine Million Euro summieren. Kapitalverzehr ohne nennenswerte Gegenleistung, könnte man das nennen. Immerhin verfügt die Stiftung über rund vier Millionen Euro Stiftungs- und drei Millionen Euro Startkapital.

 

Hoffnung auf die Prozesse gegen die mutmaßlichen Verursacher des Einsturzes

 

Bettina Schmidt-Czaia, Leiterin des Historischen Archivs, kann ihre Ratlosigkeit nicht verbergen. Auf 350 Millionen Euro werden die Kosten für die Restaurierung geschätzt. 61 Millionen flossen aus der Versicherungspolice des Archivs, doch die sind inzwischen aufgebraucht. »Ich brauche die Stiftungsmittel dringend«, sagt Schmidt-Czaia. Es klingt bestimmt und flehentlich zugleich. Bisher hat sie gerade einmal rund 127.000 Euro für Gefriertrocknungen, die Restauration einer Gerichtsakte sowie die Stellen von zwei Studentinnen von Stefan Lafaire bekommen. Und da offenbar mehr nicht drin ist, musste die Stadt in Vorleistung gehen: Der Etat des Archivs wurde mehr als versechsfacht, um die Restauratorenstellen oder die Logistik finanzieren zu können. Eine Hoffnung auf Refinanzierung der Schäden liegt nun auch in den Prozessen gegen die mutmaßlichen Verursacher des Einsturzes.

 

Mit wem man auch spricht, der Glaube an den Erfolg der Stiftung geht gegen Null. Die kulturpolitische Sprecherin der Grünen Brigitta von Bülow bezweifelt, dass nennenswerte Spenden herein kommen: »Ich sehe nicht, dass das bürgerschaftliche Engagement so hoch ist«. Sie fordert mehr Kontrolle durch den Rat. Für Ralph Elster, kulturpolitischer Sprecher der CDU, droht die Stiftung angesichts des derzeitigen Wirtschaftsplanes zur »Geldvernichtungsmaschine« zu werden. Auch er bemängelt die fehlende Steuerungsmöglichkeit und fordert mehr Transparenz: »Der Oberbürgermeister muss uns angemessen informieren.« Bisher war die Stiftung eher eine closed-shop-Veranstaltung. Der Vorstand informierte das Kuratorium, in dem Oberbürgermeister Jürgen Roters als Vertreter der Stadt Köln sitzt, und dabei blieb es. Weder die Politik noch die Bürger erfuhren, was mit ihrem Geld passiert.

 

LVR drängt auf verbesserte Kommunikation gegenüber der Bevölkerung

 

Die Konstruktion der Stiftung verärgert inzwischen auch institutionelle Geldgeber. Sofort nach dem Einsturz des Archivs stellte der Landschaftsverband Rheinland (LVR) seine Restaurierungsstätten zur Verfügung. Milena Karabaic, Leiterin des Dezernats Kultur, beziffert den Gegenwert der zugesagten Hilfe von 2009 bis 2013 auf rund 835.000 Euro. Man möchte auch gerne weiter helfen, aber »der LVR hat beschlossen, der Stiftung als Zustifter unter der Bedingung beitreten zu wollen, dass Anpassungen in der Satzung und im Stiftungsgeschäft erfolgen« so Karabaic auf Anfrage. Soll heißen: Mehr Geld gibt es erst, wenn der LVR mit dauerhaftem — und nicht mit begrenztem, wie derzeit — Stimmrecht im Kuratorium vertreten ist. Außerdem drängt Milena Karabaic auf eine verbesserte Kommunikation gegenüber der Bevölkerung.

 

Welche Kommunikation? Bis heute ist die Stiftung in der Öffentlichkeit nicht präsent. Es hat fünfzehn Monate gedauert, bis sie durch Kulturdezernent Georg Quander ins Leben gerufen wurde und weitere fünfzehn Monate, bis mit Stefan Lafaire ein Vorsitzender gefunden war. Bisher wurden unter seiner Leitung gerade mal ein paar Merchandisingprodukte wie Taschen, Becher und Mousepad aufgelegt. Das soll ab 2013 mit der Anzeigen-Kampagne »Jedes Stück zählt« anders werden. »Wir emotionalisieren ein Thema aus dem Archiv und bringen es an die Zielgruppe«, sagt Lafaire.

 

So sollen zum Beispiel Noten von Jacques Offenbach bei Musikfreunden um Spenden werben. Hört man Lafaire zu, klingt das wie angewandtes Marketing. Er spricht davon, »ein neues Produkt zu entwerfen«, »Bedarf zu schaffen« und »zu verkaufen«. Der Spender als Konsument. Lafaire hat Recht, wenn er sagt, dass das Archiv als Gebäude keine Emotionen weckt, sondern nur die Inhalte. Doch wie tote Papierschnipsel auf Plakatwänden Gefühle auslösen sollen, bleibt sein Geheimnis.

 

Stiftungschef gibt sich nach heftiger öffentlicher Kritik kleinlaut

 

Vier Faktoren sind für die Spendenbereitschaft der Bürger von entscheidender Bedeutung: Zeit, Visualisierung, Emotionalisierung und Personalisierung. Das zeigt der Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar 2004. Das Bild, sagt Bibliotheksleiter Dr. Michael Knoche, habe sich den Bürgern tief ins Gedächtnis eingegraben. Noch während des Brandes wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Es waren zunächst vor allem private Spender aus dem lokalen Umfeld, die sich engagierten; schon nach drei Monaten klang diese Hilfsbereitschaft fast völlig ab, dafür nahmen öffentliche Institutionen und Firmen das Signal auf. Inzwischen belaufen sich die Spenden in Weimar auf rund 35 Millionen Euro, die immerhin die Restaurierungskosten der beschädigten Archivalien decken.

 

Das in Köln zu erreichen hält Michael Knoche für sehr schwierig. Die Stadt habe sehr lange gebraucht, um sich zu sortieren. Außerdem: »Es gab anfangs keine glaubwürdige Figur an der Spitze, die für das Unglück stand, weil die Stadt der Archivdirektorin einen Maulkorb verpasst hatte«, so Knoche. Er bedauert den Kölner Stiftungschef geradezu, denn der habe den »schwierigsten Job der Welt«.

 

Stefan Lafaire will den Vergleich mit Weimar nicht gelten lassen und verweist auf den emotionalen Bezug der Einwohner zu ihrer Bibliothek. Doch man merkt ihm an, dass er nach der heftigen öffentlichen Kritik kleinlauter geworden ist. Einen Zeitplan will er nicht nennen und von den avisierten Spendengeldern in Höhe von einer Million Euro pro Monat ist auch nicht mehr die Rede. Jetzt sollen für jeden eingesetzten Euro drei Euro zu­rückkommen. Stefan Lafaire fordert Geduld, doch viele Aufschläge dürfte er nicht mehr haben. Er wird derzeit verantwortlich gemacht für den von der Stadt selbst verschuldeten Zeitverzug und die Intransparenz. Sollten sich der Spendenrückfluss mit der neuen Kampagne nicht merklich verbessern, dürfte sich die Stiftung »irgendwann« ins abgeschlossene Perfekt verabschieden.