Foto: Manfred Wegener

Das macht krank!

Fluglärm über Köln

Einerseits ist die Debatte um den Köln/Bonner Flughafen und den Fluglärm sehr kompliziert. Es gibt Beschlüsse im Rat der Stadt Köln und den angrenzenden Kreisen, es gibt Entscheidungen auf kommunaler, auf Länder- und Bundesebene, es gibt Gesetze, Verordnungen und Genehmigungen. Es gibt einen Aufsichtsrat des Flughafens, eine Betreibergesellschaft, auch eine Lärmschutzkommission. Es gibt Gerangel um  Zuständigkeiten: Wer darf entscheiden, wer darf Entscheidungen wieder aufheben? Es sind Grenzwerte für den Fluglärm festgesetzt worden, es gibt viele Regelungen und viele Ausnahmen, Zweifelsfälle, Interpretationsspielräume, Klagen, Gerichtsurteile. Und vor allem gibt es eine mächtige Lobby für den Flugverkehr, aber auch immer mehr Initiativen, die sich gegen Fluglärm zur Wehr setzen.

 

Als man 1957 in der damaligen Stadt Porz am Rhein den Militärflughafen in einen modernen Airport für den zivilen Luftverkehr umgestaltete, starteten von dort aus schon bald die ersten Interkontinentalflüge. Wirtschaftlich betrachtet, war die Lage günstig. Dass der Airport mitten im Naturschutzgebiet Wahner Heide lag, nahmen die Politiker in Kauf. Und es kümmerte sie nicht, dass die Starts und Landungen bald schon die Anwohner der stark wachsenden Stadt Porz, aber ebenso die Menschen der umliegenden Gemeinden belasten würde. 

 

In Niehl und Mülheim hört man die Landeanflüge; in Rath-Heumar und Rodenkirchen die Starts. Am Tag mag das gerade so erträglich sein, nachts weckt es Menschen auf oder sie finden erst gar nicht in den Schlaf. Der Fluglärm ist auch in den angrenzenden Kreisen ein Problem. In Siegburg und Lohmar, in Rösrath und Neunkirchen-Seelscheid, in Lindlar und Engelskirchen. Insgesamt meldete Köln/Bonn letztes Jahr 131.000 Starts und Landungen, mehr als ein Viertel davon fanden nachts statt. Laut einer Studie von Euro-Control, der europäischen Organisation zur Flugsicherung, war Köln/Bonn 2009 zwischen Mitternacht und 5 Uhr der am meisten genutzte europäische Flughafen: Mit durchschnittlich 61 Starts und Landungen hängt er Großflughäfen wie Madrid und Amsterdam ab; zwischen 22 und 6 Uhr sind es sogar 90 bis 100 Flugbewegungen. Als der Frankfurter Flughafen noch nachtoffen war, kam es dort zwischen Mitternacht und 5 Uhr laut Euro-Control bloß zu 25 Starts und Landungen.

 

»Das ist absoluter Irrsinn, was uns nachts zugemutet wird«, sagt Wolfgang Hoffmann, der seit Jahrzehnten in Rath-Heumar wohnt. Er ist zweiter Vorsitzender der Lärmschutzgemeinschaft Flughafen Köln/Bonn e.V. und wie die meisten seiner Mitstreiter längst Flugverkehr-Experte, der Flugbewegungen protokolliert und Entwicklungen am Airport verfolgt. Nach einer Auswertung bis zum August 2012 haben die Nachtflüge dieses Jahr im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. »Die besonders lauten Brummer«, sagt Hoffmann, »sogar um 35 Prozent«. 

 

Etwa 30 Prozent der nächtlichen Flüge finden mit Passagiermaschinen statt. Die sind zwar leiser als die veralteten Maschinen, die noch für Transportflüge benutzt werden, aber für die Initiativen bietet sich hier ein Ansatzpunkt. Ein Kampf gegen nächtlichen Frachtflug gilt hingegen mittlerweile als aussichtslos, denn die Lobby für die ansässigen Express-Frachtunternehmen FedEx und UPS ist zu mächtig. So landete etwa der ehemalige NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) 2008 einen Coup, der die Flughafen-Lobby jubilieren ließ. Ohne weitere Auflagen verlängerte er die ursprünglich bis 2015 geltende Nachtflugregelung bis 2030. Er entsprach damit den Wünschen der Flughafenbetreiber — und ignorierte die Proteste der Lärmschutzkommission. 

 

Dabei klagt ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung laut Umweltbundesamtes (UBA) über Fluglärm. Dass Krach krank macht, geht aus zahlreichen medizinischen Studien hervor. Für das UBA analysierte der Fluglärm-Mediziner Eberhard Greiser die Daten von einer Million Krankenversicherten im Raum Köln/Bonn. Es ist die bislang größte Datenbasis für eine derartige Studie. Demnach treten Herzinfarkte, Schlaganfälle und Kreislaufprobleme deutlich häufiger bei nächtlichem Fluglärm auf. Auch das gehäufte Auftreten von Demenz, Diabetes sowie psychischer Erkrankungen sind Greiser zufolge auf nächtlichen Fluglärm zurückzuführen.

 

Für Experten kann das derzeitige Fluglärmgesetz die Bevölkerung nicht wirksam schützen. Es fehlen Schutzziele und verbindliche Lärmobergrenzen, sagen die Lärmgegner. Tatsächlich haben Verstöße kaum Folgen. Die Novelle des Fluglärmgesetzes von 2007 erlaubt tagsüber einen Dauerschallpegel von 65 Dezibel und nachts von 55 Dezibel. Werden außen nachts sechsmal mehr als 72 Dezibel gemessen, kann man zumindest Schallschutzfenster beantragen. Allerdings nur für Schlafräume, nicht in Wohnzimmer oder Küche. In Rath-Heumar lag 2012 bis August der nächtliche Dauerschallpegel bei 54,6 Dezibel, der Maximalpegel bei 86 Dezibel — das entspricht einem ratternden Presslufthammer. Das Risiko steige bereits bei 40 Dezibel erheblich an, so Flug-Mediziner Greiser. Ähnliche Grenzwerte empfehlen die groß angelegte Hyena-Studie im Umfeld sechs europäischer Flughäfen sowie eine umfangreiche Schweizer Studie. »Das Mindeste ist, die Zeit von 22 bis 6 Uhr von Flugbewegungen freizuhalten, und zwar komplett«, fordert Greiser. 

 

In Frankfurt, München, Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart haben Proteste zu Nachtflugbeschränkungen geführt, wenn auch für einen kürzeren Zeitraum als Mediziner empfehlen. Und soeben hatte ein Volksbegehren für ein nächtliches Flugverbot am künftigen Airport Berlin-Brandenburg Erfolg. In Leipzig/Halle, ein ähnlich bedeutender Frachtumschlageplatz wie Köln, gibt es neuerdings ein Nachtflugverbot für Passagierjets. Eine Forderung, für die Lärmschützer in Köln seit 1997 erfolglos kämpfen. Damals verfasste die rot-grüne NRW-Landesregierung ein »22-Punkte-Programm«. Doch die entscheidenden Punkte — Nachtflugverbote für Passagierflieger sowie für Fracht-Maschinen, die mehr als 340 Tonnen wiegen — sind bis heute nicht umgesetzt. 

 

 »Seit 15 Jahren wird den Menschen hier von Politikern etwas versprochen, was nicht eingehalten wird«, sagt Wolfgang Hoffmann von der Lärmschutzgemeinschaft. »Wir haben die Lügen satt.« Im November kamen wieder einmal etwa 800 Menschen im Flughafen zu einer Demonstration zusammen. Ihre Wut richtete sich gegen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der im August dieses Jahres ein Nachtflugverbot für Passagierjets in Köln/Bonn gestoppt hat, das SPD und Grüne durchsetzen wollten. Aber auch die rot-rüne Landesregierung wird attackiert, denn sie will nicht weiter juristisch gegen Ramsauers Ablehnung vorgehen; in Düsseldorf heißt es, dass mehrere Expertisen vorlägen, wonach dies chancenlos sei. Nicht zuletzt reagieren die Demonstranten gereizt auf Bundestagsabgeordnete, die ein falsches Spiel betreiben. So stellen sich die CDU-Politikerinnen Ursula Heinen, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, und Elisabeth Winkelmeier-Becker in ihren Wahlkreisen Köln beziehungsweise Siegburg auf Seiten der Anwohner — während sie in Berlin die Haltung der Bundesregierung mittragen.

 

Die Proteste und die medizinischen Erkenntnisse zu den Folgen von Fluglärm kümmern die Lobbyisten nicht. »Flüge in Tagesrandzeiten«, ein PR-Euphemismus für den Nachtflug, seien »unverzichtbar für Wirtschaft und Arbeitsplätze«, behauptet etwa Klaus-Peter Siegloch. Der frühere ZDF-Journalist und  Moderator des heute journal ist seit kurzem Präsident des Lobbyverbandes BDL, dem Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft. Klar, dass der BDL auch eine Be-steuerung von Kerosin ablehnt und auch gegen die 2011 von der Bundesregierung eingeführte Luftverkehrsabgabe, die sogenannte Ticketsteuer, kämpft — die Umweltverbände zumindest als einen Schritt hin zu ökologischer Preisgestaltung sehen.  

Er hält die Zahlen der Fluglärm-Gegner um Wolfgang Hoffmann für plausibler: Demnach fielen lediglich 270 Jobs weg. Und die nächtlichen Passagierflüge müssten auch nicht alle gestrichen werden, wie die Flughafen-betreiber in ihrer Rechung annehmen, sondern könnten zu mehr als der Hälfte am Tag abge-wickelt werden. Thießen ärgert sich darüber, dass das »Totschlagargument Job-motor« von den meisten so unkritisch übernommen wird und der entscheidende Aspekt der Folgekosten, die durch Lärmschädigungen entstehen, so wenig Beachtung findet: »Die Folgekosten sind um ein Vielfaches höher als das, was der Flughafen mit Nachtflügen verdient. Das wollen aber nur die wenigsten sehen.« Dies könnte sich bald ändern, denn Eberhard Greiser arbeitet derzeit an einer entsprechenden Studie über Folgekosten, die durch die Lärmbelästigung am Köln?/?Bonner Flughafen entstehen. Im April möchte er konkrete
Zahlen vorlegen, zurzeit kann er schon ein Zwischener-gebnis verkünden: »Ich vermute, dass die Gesamtsumme in einem Zeitraum von zehn Jahren bei weit mehr als
100 Millionen Euro liegen dürfte.«
koalieren und zumindest offiziell eine rot-grüne Bundes-regierung anstreben, geraten durch die Haltung der SPD zum Nachtflug in eine heikle Situation. 

 

Dass sein Flughafen eine »Jobmaschine« sei, lässt auch Michael Garvens, Geschäftsführer der Flughafen-gesellschaft, regelmäßig im Image-Magazin nebenan, der sogenannten Nachbarschaftszeitung des Flughafens, mitteilen. 13.375 Menschen in den 128 Betrieben! Doch über die Qualität der Arbeitsplätze, von denen mehr als ein Drittel Teilzeit-Jobs sind, schweigt er. Ebenso über die Nöte der Anwohner. Lieber verweist er auf den passiven Schallschutz, den der Flughafen seit 20 Jahren finanziere. Das sind Lärmschutzfenster, aber auch Belüftungsanlagen für Kellerräume, wenn Anwohner oberirdisch keine Ruhe mehr finden. Mittlerweile ist die Flughafengesellschaft dazu durch das 2007 novellierte Fluglärmgesetz verpflichtet.

 

Derweil propagieren die Flughafenbetreiber störrisch ihre Wachstumsideologie. Ihr Denken und ihre Interessen sind mit einem übergeordneten Verkehrskonzept nicht vereinbar. Flughafenbetreiber konkurrieren um Passagiere, aber vor allem um die Ansiedlung von Airlines und Unternehmen, die — wie immer wieder betont wird — Arbeitsplätze schafften.  

 

Im Passagierflugbereich sieht sich der Flughafen Köln/Bonn im Wettbewerb mit dem nur 50 Kilometer entfernten Düsseldorfer Airport. Außerdem ist NRW mit unzähligen Regionalflughäfen für Billig-Flieger übersät, die mit Kampfpreisen um Fluggäste buhlen und damit geringe Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen rechtfertigen können. Dabei ist der Köln/Bonner Flughafen trotz etwa zehn Millionen Passagieren und Billigflug-Linien wie Germanwings vor allem ein Frachtumschlageplatz und wird in dieser Hinsicht nur von Frankfurt und Leipzig übertrumpft. Heute bestellt, morgen geliefert. Man kann die Beschleunigung aberwitzig finden, doch in Zeiten, in denen immer mehr Kunden ihre Online-Bestellung schon am folgenden Morgen an der Haustür in Empfang nehmen wollen, boomt die Logistikbranche und damit der nächtliche Frachtverkehr.

 

Aber die Flughafengesellschaft will auch am nächtlichen Passagierverkehr festhalten. Durch ein Passagierflugverbot würden in der Region 1700 Arbeitsplätze wegfallen und die Unternehmen erlitten Einbußen von mehr als 100 Millionen Euro. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie vom Airport Research Center, der Unternehmensberatung Booz/Allen/Hamilton und dem Prognos-Institut. Die Studie sei tendenziös und entspreche nicht wissenschaftlichen Standards, sagt hingegen Professor Friedrich Thießen, der an der TU Chemnitz Finanzwirtschaft lehrt. Thießen sagt, es würde eine Verlagerung von Arbeitsplätzen als deren Vernichtung dargestellt.

 

Menschen wie Thießen oder Greiser finden bei der Politik allerdings kaum Gehör. Politiker von CDU, SPD und FDP übernehmen die Argumente der Flughafenlobby — zumindest solange ihr Wahlkreis nicht in einer Einflugschneise gilt.

 

Bei Jochen Ott ist das anders. Der Wahlkreis des stellvertretenden SPD-Fraktionschefs im Landtag umfasst zwar Porz und auch das lärmgeplagte Rath-Heumar. Aber er behauptet: »Die Porzer sind stolz auf ihren Flughafen.« Das wisse er aufgrund seiner Führungen im Flughafen, bei denen er großes Interesse am Betrieb und der Arbeit von Logistikunternehmen wie UPS und FedEx feststelle. So ist auch für Ott der Flughafen ein Wirtschaftsmotor, der 13.000 Arbeitsplätze am Laufen hält. Seinen Wahlkreis hat Ott zweimal gewonnen.

 

Er wolle zwar ein Nachtflugverbot für Passagiermaschinen zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens — aber unter der Voraussetzung »europaweiter Rahmenbedingungen, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt«. Und bis dahin, so Ott, der auch im Aufsichtsrat des Flughafens sitzt, müsse es andere Lösungen geben. Er verweist auf passiven Schallschutz, für den der Flughafen über das gesetzlich vorgeschrieben Maß hinaus finanziell aufkomme. Oder auf die Forschungen am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wo man an einem geräuschlosen Flugzeug-Triebwerk herumtüftelt.

 

Jürgen Roters (SPD) macht keinen Hehl daraus, dass er jegliche Nachtflugverbote in Köln ablehnt: Der Oberbürgermeister will Planungssicherheit für die Firmen bieten, sonst suchten sie sich einen anderen Standort, so seine Argumentation. Im September nutzte er die Ratssitzung, um sich »bei der Lufthansa AG für die Standortentscheidung ihrer neuen Tochtergesellschaft herzlich zu bedanken.« Und weiter: »Wir schätzen es sehr, dass die Lufthansa AG uns das Vertrauen entgegengebracht hat, vielen Dank!« Beifall bei SPD, CDU und FDP. 

 

Offenkundig ist die einzige Idee, mit der die SPD jetzt für etwas Ruhe in der Nacht sorgen möchte, die Staffelung der Entgelte für Flugzeuge. So könnten laute Maschinen für die Fluggesellschaften unattraktiv werden. Bislang sind in Köln noch alte russische Maschinen vom Typ MD-11 im Einsatz, sie gehören zu den lautesten Frachtfliegern. Die Pläne für entsprechende Entgeltregelungen, so Ott, lägen schon bei NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) und könnten 2013 umgesetzt werden. Der Kölner Rat hatte im März dieses Jahres den Beschluss gefasst, die Kölner Vertreter in der Gesellschafterversammlung des Flughafens sollten darauf hinwirken. Dort sitzen Vertreter der Eigentümer des Flughafens, das sind der Bund, das Land und die Stadt Köln, denen je fast ein Drittel gehört; geringe Anteile besitzen außerdem die Stadt Bonn, der Rhein-Sieg-Kreis und der Oberbergische Kreis.

 

Die Grünen, die in Köln und im Land mit der SPD Jörg Frank, Geschäftsführer und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Kölner Rat, gibt sich kämpferisch. Er fordert Ott auf, zu den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen zu stehen, denn Ott habe »durchaus manchmal öffentlich daran Zweifel aufkommen lassen«. Für die von Ott gelobte Geschäftsführung des Flughafens findet Frank, der bis Januar 2010 als einer der städtischen Vertreter im Aufsichtsrat saß, keine anerkennenden Worte. Vielmehr habe die sich »gegenüber der von Nachtfluglärm geplagten Bevölkerung bislang immer ignorant« verhalten.

 

Sein Parteikollege Arndt Klocke aus Nippes kennt die Auseinandersetzungen aus den Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Düsseldorf. Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion hofft, dass die Initiativen den öffentlichen Druck erhöhen und dass ein Regierungswechsel in Berlin bald doch noch den Weg für das nächtliche Passagierflugverbot frei macht. Klocke, der auch auf Demos gegen Fluglärm als Redner auftritt, muss seinen Wählern erklären, warum die Grünen mit der SPD nicht nur an Bundesminister Ramsauer gescheitert sind, sondern im Grunde gar keine gemeinsame Position entwickelt haben. Zwar meint Klocke, es müsse eine Verkehrswende analog zur Energiewende geben. Doch einen angedachten »Masterplan Verkehr« im Rahmen eines »Green New Deal«, wie es mal hieß, wird er mit dieser SPD, für die Arbeitsplätze immer das stärkste Argument sind, kaum aushandeln können. 

 

Michael Groschek (SPD), seit Mai neuer NRW-Verkehrsminister, hat die Lärmgegner vor den Kopf gestoßen. Nachdem Bundesverkehrsminister Ramsauer die Zusage verweigert hat und das Ministerium  unter seinem Vorgänger Harry Voigtsberger (SPD) immer betont hatte, dass der Lärmschutz nicht ausreiche, verkündete Groschek nun lapidar, dass die Häuser durchaus ausreichend schallgeschützt seien: »In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass nach geltendem Luftrecht (Bundesrecht) an einem planfestgestellten Flughafen Flugbetriebsbeschränkungen von der Luftfahrtbehörde als ultima ratio erst verfügt werden dürfen, wenn feststeht, dass baulicher Schallschutz zur Behebung gesundheitsgefährdenden Flugbetriebs nicht ausreicht. Dafür sind am Flughafen Köln/Bonn keine Anhaltspunkte vorhanden.« Und so hat sich die NRW-Koalition darauf verständigt, auf die nächste Bundestagswahl zu setzen. 

 

Die letzte juristische Hoffnung besteht in einem Planfeststellungsverfahren (PFV). Das hat es aufgrund der besonderen Geschichte des Flughafens nie gegeben. Da aber UPS seine Kapazitäten demnächst mit einer neuen Halle verdoppeln will, ist die Frage, ob dies als wesentliche Nutzungsänderung interpretiert werden kann. Denn dann würde ein PFV notwendig — und damit die Möglichkeit, gegen die geltende Betriebsgenehmigung Einspruch zu erheben. Jörg Frank sieht darin eine Möglichkeit, den nächtlichen Flugverkehr durch verbindliche Lärmminderungskonzepte leiser zu machen — etwa durch Regelungen, wie viele Flugzeuge überhaupt dort starten und landen dürfen. 

 

Ähnlich sieht es Horst Becker. Früher vertrat der Grüne die Stadt Lohmar in der Fluglärmkommission des Köln/Bonner Airports. Mittlerweile ist er parlamentarischer Staatssekretär in Düsseldorf, musste aber nach der vorgezogenen Neuwahl 2012 vom Verkehrs- ins Umweltministerium wechseln; sein Einsatz für ein Nachtflugverbot hatte zu Spannungen in der rot-grünen Koalition geführt. Becker verfolgt die Geschichte des Köln-Bonner Flughafens seit Jahrzehnten. Dass es nie ein Planfeststellungsverfahren gegeben hat, obwohl der Flughafen sich bezüglich Infrastruktur und Kapazität ständig erweitert, empört ihn: »Der Flughafen agiert wie immer: Mit einer Salami-Taktik legt er scheibchenweise Neuerungen vor, um das PFV zu umgehen. Und die Stadt Köln — allen voran OB und SPD — legt kein Veto ein! Sie sind nichts anderes als eifrige Dienstleister des Flughafens.« Becker hofft nun, dass Umweltverbände ein solches Verfahren doch noch gerichtlich erwirken.

 

Ja, einerseits ist die Debatte um den Köln/Bonner Flughafen und den Fluglärm sehr kompliziert. — Andererseits ist alles aber auch ganz einfach. Es geht um den Konflikt zweier Auffassungen: Ist der Flugverkehr notwendig für wirtschaftlichen Erfolg, für Arbeitsplätze und Wohlstand? Oder hat die Gesundheit der Menschen, ihr Schutz vor nächtlichem Fluglärm Vorrang? »Im Grundgesetz steht etwas von körperlicher Unversehrtheit«, sagt Horst Becker. »Aber nichts von nächtlichen 4-Stunden-Jobs bei Lohndumping.«