Götter und Schnabeltiere

Neue Welten: Die Ausstellung Das göttliche Herz der Dinge zeigt altamerikanische Kunst aus der Sammlung Ludwig

Als sich 1969 eine Münchner Band im Überschwang psychedelischer Erfahrungen nach dem heiligen Buch der Maya Popol Vuh nannte, lebten noch die Vorstellungen von einer friedfertigen Kultur weiser, mittelamerikanischer Astrologen. Ein Paradies auf Erden. Selbst ohne Vorwissen dürfte diese Perspektive den Besuch der Ausstellung »Das göttliche Herz der Dinge« im Rautenstrauch-Joest-Museum schwerlich überdauern. Vielmehr fragt sich der Betrachter verwundert, was zu solch idealisierten Sichtweisen verleiten konnte. Wenn uns etwas menschliches über Kulturen und Zeiten hinweg verbindet, so mögen wir in vielen der Ausstellungsstücke, nicht nur jenen der Maya-Kultur, Gesten aus Kraft, Härte und Schmerz finden — der verstörende Blick in eine fremde Welt.

 

So fremd wie aufregend neu war diese Welt auch für zwei junge Studenten, die 1948 in Mainz Herbert Kühns Vorlesungen zur Kunst und Kultur im präkolumbischen Amerika besuchten. Bald heirateten sie und bereisten als Ehepaar Ludwig Amerika, nun Schokoladeproduzenten und Kunstsammler. Das Altamerikanische ist ein oft übersehener Schwerpunkt vor allem ihrer frühen Sammelleidenschaft, die doch vornehmlich mit dem wachen Interesse am Zeitgenössischen assoziiert wird — zuallererst der us-amerikanischen Pop Art, die im Museum Ludwig ihren zentralen Platz hat. Was die Sammler bis Mitte der 70er Jahre zusammentrugen, schenkten sie 1983 der Stadt Köln, zwei Jahre später präsentierte das Römisch-Germanische Museum die Sammlung, welche erst 2003 von Irene Ludwig dem Rautenstrauch-Jost Museum zugesprochen wurde.

 

Alles nun nochmals in einer Ausstellung zu zeigen, bedeutet auch eine Überarbeitung der Katalogisierung unter Einbeziehung neuen Wissens. Gleich im ersten Saal mit seinen einführenden Landkarten und Grafiken finden sich einige interessante Werke. Kartontafeln in Schubern geben Auskünfte, eine auch im Weiteren verfolgte, sehr sinnvolle Praxis. Doch die Tafeln weisen diese ersten Objekte als Fälschungen aus! Auch davor war das Ehepaar Ludwig nicht gefeit. Das authentische Gros der Sammlung wird in der Folge thematisch aufbereitet. Dem Verständnis hilft die klare Aufteilung in nordamerikanische, mesoamerikanische und südamerikanische Werke, nicht ohne Hinweis auf den Austausch zwischen den Kulturen der Regionen. Die farblich klar gegliederte und dabei sehr elegant gestaltete Präsentation, in der halbtransparente Organza-Vorhänge sacht den Weg weisen, lässt Zusammenhänge erkennen und Bedeutungen nachvollziehen.

 

Gleich ferner Erinnerungen kontextualisieren großformatige Fotografien hinter den Vorhängen die vorbildlich ausgeleuchteten Stücke. Das enorme Spektrum umfasst massive Steinskulpturen, wie jene auf wenige kantige Grundformen reduzierte Raubkatze, welche einst vor einem Tempel gewacht haben mag. Es führt von mannigfaltigen Gefäßen, oft mit erotischen Darstellungen, über Masken, goldenen Nasenschmuck, den man mittels einer Spiegelkonstruktion spielerisch im eigenen Gesicht anpassen kann, bis hin zu einem winzigen goldenen Löffel mit Kolibri-Miniatur, der dazu diente, dem Kokarausch zuträglichen Kalk einzunehmen.

 

Die über 200 von den Ludwigs zusammengetragenen, aus Ton, Stein und Gold gefertigten Objekte genügen jedoch nicht, um alle ­stilistischen Differenzierungen dem Betrachter augenscheinlich werden zu lassen — immerhin decken sie einen Zeitraum von mehr als 2700 Jahren ab! Eher ist es ein kleiner Einblick in viele, auch der Forschung bis heute rätselhaft gebliebene Kulturen. Die unmittelbare Ausstrahlung der gezeigten Werke eröffnet kaum ihren Sinn und Zweck. Doch von einem Zweck ist bei diesen »gött­lichen Dingen« stets auszugehen, wenig hier ist »Kunst für sich« in unserem Sinn. Es dominieren Werke mit unmittelbar religiösem Bezug. So intensiv wie zugleich hochkodiert verweisen diese Arbeiten auf ein Denken, in dem, das scheint den meisten hier ­vertretenen Kulturen gemein, die Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und der Toten zentral ist.

 

All die höchst ästhetisiert dargestellten Schmerzen, Verstümmelungen oder rituellen sexuellen Handlungen verbleiben in einer Distanz.Vielleicht missverstehen unsere Emotionen diese Bilder, zugleich sind es aber auch, wie Peter Ludwig 1970 formulierte,  »Menschen, die uns ganz nahe erscheinen«. Hier könnten christlich geprägte Perspektiven zaghaft eine Spannung aus Unmittelbarkeit und ferner Distanz erahnen, der weltliche Blick versagt kopfschüttelnd oder findet fasziniert Spielzeuge, derart wurde diese Kunst Inspirationsquelle der Moderne. Doch auch in der Vereinnahmung blieb sie enigmatisch. Fremde Welten, selbst dann noch, wenn man in einem 2500 Jahre alten, entenförmigen Gefäß aus dem heutigen Mexiko eine allbekannte beschnabelte Figur der Populärkultur zu erkennen meint.