Schlimmer Express, trauriger Herausgeber

Mit seiner Kampagne »Klau-Kids« gegen jugendliche Roma hat sich der Express vergaloppiert

Am 22.8. kommt der Express mit der Schlagzeile »Die Klau-Kids von Köln« heraus. »Sie haben Hunderte von Menschen überfallen und beklaut. Und Sie laufen frei herum«, heißt es weiter auf dem Titelblatt. Im Lokalteil werden die Jugendlichen als »Die schlimmsten Diebe von Köln« bezeichnet. Illustriert ist das ganze mit 53 Polizeifotos. Auf den Fotos sind die Jugendlichen gut zu erkennen. Noch am Erscheinungstag demonstrieren 20 Leute vor dem Verlagsgebäude und diskutieren mit Chefredakteur Hans-Peter Buschheuer und zwei weiteren Express-Mitarbeitern. Am 23.8. berichtet der Express weiter: CDU und FDP wünschen sich »geschlossene Einrichtungen« für straffällig gewordene Jugendliche.
In den folgenden Tagen erreichen den Deutschen Presserat mehrere Beschwerden gegen den Express, u. a. vom Rom e.V., dem Kölner Appell und den Grünen im Rat. In Pressemitteilungen verurteilen der Kölner Appell, der Kölner Runde Tisch für Ausländerfreundlichkeit und der Flüchtlingsrat die Berichterstattung. Der Kölner Appell spricht von »hemmungslosem offenen Rassismus, Aufruf zum Pogrom«, der Rom e.V. fragt: »Was bezweckt man beim Express mit solchen Artikeln? Sollen die Leser etwa zur Selbstjustiz greifen, wenn das Blatt ausführlich beklagt, dass Bürger, Ämter, Justiz und Polizei machtlos sind?«
Am 29.8. meldet der Express Vollzug: »Erste Klau-Kids im Heim«, am 30.8. antwortet Buschheuer dem Rom e.V. in einem ausführlichen Brief. Dort heißt es: »Sie werfen dem Express Diskriminierung, Diffamierung und ‘blanken Rassismus’ vor. Diesen Vorwurf weise ich auf das Schärfste zurück. Unser Motiv, diese Fotos zu veröffentlichen, liegt im öffentlichen Interesse. Die Leserschaft hat ein Recht, zu erfahren, wer die öffentliche Sicherheit seit Jahren gefährdet und Teile dieser Stadt in quasi rechtsfreie Räume verwandelt. Die Leser müssen die Möglichkeit haben, sich gegen Straftäter vorzusehen.«
Am 1.9. schreibt Buschheuers Chef, Express-Herausgeber Alfred Neven DuMont unter der Überschrift »Wir müssen aufmerksam bleiben« in seinem Blatt: »Die ungewöhnliche und reißerische Gestaltung des Vorgangs in der Zeitung kann den Eindruck einer pauschalen Anklage von allen Roma-Kindern erwecken, bei Einzelnen – was sicherlich nicht gewollt war – des ganzen Roma-Volkes. (...) Auch das unbedachte Auftreten des Express in Sachen Roma-Kinder zeigt, dass wir aufmerksam bleiben müssen. Der Vorgang erfüllt den Herausgeber des Express mit Trauer. Zugleich möchte er auch im Namen seiner Frau und seines Hauses bei dem Volk der Roma, das wundervolle Menschen hervorgebracht hat, (...) sein Bedauern zum Ausdruck bringen.«
Am 11.9. vermeldet der deutsche Presserat: »Der Beschwerdeausschuss sah eine grobe Verletzung der Persönlichkeitsrechte (Ziffer 8) und des Diskriminierungsverbots (Ziffer 12) gegeben. Aufgrund der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Berichterstattung und der Entschuldigung des Verlegers des Express sah der Beschwerdeausschuss jedoch von einer Maßnahme ab.«
Mittlerweile haben einige Kölner BürgerInnen bei der Staatsanwaltschaft gegen Buschheuer und die beiden Autoren des Artikels, Peter Käsmacher und Chris Merting, Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Im entsprechenden Paragrafen heißt es, wer »die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.« Die Staatsanwaltschaft wird entscheiden müssen, ob es sich bei den Betroffenen um definierte »Teile der Bevölkerung« handelt.
Ein ganz anderes Gesetz griffe in diesem Fall mit Sicherheit, falls sich Kläger fänden: Das »Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie (KUG)«, bekannt als »Recht am eigenen Bild«. Kein Richter wird in den Jugendlichen »relative Personen der Zeitgeschichte« sehen wollen, deren Fotos man ohne ihr Einverständnis veröffentlichen darf. Hier könnten die Abgebildeten Genugtuung, z.B. in Form von Geld einfordern.
Sie könnten den Express auch wegen Beleidigung verklagen. Niemand muss sich als »Die schlimmsten Diebe von Köln bezeichnen lassen«, es sei denn, es stimmt. Doch selbst mit den behaupteten 100.000 Straftaten dürften sie die Schadenssumme der Kölner Korruptionsaffären nicht erreicht haben.
Ein Ermittlungsverfahren ist in der ganzen Sache immerhin eingeleitet worden. Und zwar von der Polizei gegen Unbekannt, wegen Verrats von Dienstgeheimnissen. Die Fotos stammen nämlich aus einem BKA-Blatt mit dem Vermerk: »VS – Nur für den Dienstgebrauch«. Doch die Auflage des BKA-Blattes ist hoch, und dementsprechend auch die Zahl derer, die Geglegenheit hatten, die Fotos dem Express zu geben oder zu verkaufen.
Buschheuer beklagt übrigens in seinem Schreiben an den Rom e.V.: »Köln ist unseres Wissens nach die einzige deutsche Großstadt, in der die öffentlichen Verkehrsbetriebe in ständigen Lautsprecherdurchsagen auf den Bahnhöfen ihre Fahrgäste auf Taschendiebstähle und Überfälle hinweisen müssen.« Vielleicht. Woanders hängen einfach launige Schilder in der Bahn: »Gedränge nur dem Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand auf’s Geld«.