»Ich fiepe, also bin ich?« Die KünstlerInnen S. E. Struck, Peter Licht und Alexandra Dederichs

»Kapitalismus ist der Tinnitus im Weltohr«

Die Künstlergruppe SEE! und PeterLicht sausen durch das Schauspiel Köln

Ob »Lieder vom Ende des Kapitalismus«, »Melancholie und Gesellschaft« oder »Das Ende der Beschwerde«, schon auf seinen Alben grub und suchte Indiepop-Musiker PeterLicht in realen Erfahrungswelten und gewann Erkenntnisse wie: ‚Gesellschaft ist toll, wenn nur all die Leute nicht wärn‘. PeterLicht nennt seine Arbeit: ‚Die Gegenwart anbohren. Sehen was raustropft und daraus was machen, was schön ist.‘ Nach zahlreichen Ausflügen in die Theaterwelten in Berlin, Düsseldorf, Basel, München oder Leipzig, hat der Dichter und Denker nun Text und Musik für einen Theaterabend am Schauspiel Köln geschrieben: »Das Sausen der Welt.« Inszeniert wird er von der Kölner Tanz- und Performancegruppe »SEE!«. Dahinter verbergen sich die Künstlerinnen Alexandra Dederichs und Esther Struck. In Köln sorgten die beiden vor fünf Jahren für Aufsehen, als sich ihre Protagonisten in einer Schlaf-Performance auf den Böden öffentlicher Ämter rollten und durch Boutiquen tanzten.

 

Herr Licht, woran haben Sie eigentlich festgestellt, das Ihre Texte ins Theater gehören?

 

Licht: Theater ist die zweite Spur, das finde ich total toll. Es ist ein utopischer Raum, frei und offen. Auch bei dieser Produktion ist diese Offenheit sehr spürbar. Ich mag das gern. Es werden so Art Laborbedingungen angezettelt. Man weiß nicht, was am Ende dabei heraus kommt. Das hat etwas wunderbar Freies.

 

Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit SEE! gekommen?

 

Licht: Das war die Idee von Jan Hein, einer der Dramaturgen hier am Haus. Gemeinsam mit Esther Struck habe ich vor vier Jahren an den Kammerspielen in München das »Festival vom unsichtbaren Menschen« kuratiert. Zusammen hatten wir da »Räume räumen« inszeniert, eine begehbare Rauminstallation. Die hatte er gesehen und da kam die Idee auf, daraus ein Stück fürs Schauspiel zu entwickeln mit komplett neuem Text.

 

Für den Kölner Abend haben Sie sich den Titel »Das Sausen der Welt« ausgesucht. Was genau saust denn da herum?

 

Licht: Der Ausgangspunkt war relativ banal. Viele Leute in meinem Umfeld haben Tinnitus. Der hat ja diesen Super-Effekt, dass man etwas hört, was niemand sonst auf der Welt hört. Wenn man sich jetzt vorstellt, dass ganz viele Menschen das haben, dann hören doch alle gemeinsam etwas, was trotzdem niemand hört. Das ist so ein Trennmoment. Wie reagiert man darauf? Man setzt Geräusche zur Überdeckung darüber. Wenn ich jetzt dieses Fiepen, dieses Ssssss, mit Begriffen ersetze wie Produkte, Gerechtigkeit oder Kapitalismus, dann wird dieses hochfrequente System, was vor sich hinschwingt, interessant: der Kapitalismus ist der Tinnitus im Weltohr. Und so empfinde ich Gesellschaft. Es saust in mir. Doch ich muss Sinn produzieren und Lebensqualität und um das zu erreichen, müssen die Überdeckungsgeräusche lauter sein als das Ssssss.

 

Der Tinnitus, wie Sie ihn beschreiben, liefert also den Sound für das Stück?

 

Dederichs: Ja, PeterLicht kommt über den Klang und das Rauschen auf den Krach dieser Welt. Krach gleich Krise gleich Kapitalismus.

 

Doppeldeutigkeit macht PeterLichts Poesie aus. Was zunächst harmlos poppig klingt, entwickelt durch seine scheinbare Leichtigkeit oft eine subversive Kraft bis zur revolutionären Pose oder Verweigerungshaltung. Wie erspielt man sich das im Theater?

 

Dederichs: Wir gehen von der Syntax, der Struktur, der Musikalität und dem Rhythmus des Textes aus. Es treffen drei Musiker, vier Sänger, fünf Schauspieler und drei Tanzperformer aufeinander. Wir arbeiten mit der Idee einer Körper-Text-Achse, dass es aus dem Körper herausbricht, spricht und singt. Es wird keine vierte Wand geben. Wir schaffen einen Spielraum, einen Ereignisraum.

 

Struck: Das funktioniert gut, weil der Text aus mehreren heterogenen Flächen besteht. Die Perspektive wechselt ohne Ankündigung. Mal ist er lyrisch, mal ganz banal dialogisch, aber er erzählt immer aus einer Wahrnehmung heraus. PeterLichts Worte mit ihrer hohen Dichte an Bildern eignen sich sehr gut, daraus eine theatrale Installation zu inszenieren fast wie ein lebendiges Gemälde im Raum. Der Abend fordert auf zur Assoziation. Man sollte sich da nicht nur als reiner Konsument reinsetzen. Ohne das eigene Denken, wird einem nichts erzählt werden.

 

Normalerweise produzieren Sie mit SEE! Performances im öffentlichen Raum, weil es Ihnen um die Unmittelbarkeit von Erlebnis, Authentizität und das Aufbrechen von Sehgewohnheiten geht. Was hat Sie dazu bewogen in einen geschlossenen Theaterraum zurückzukehren?

 

Struck: Für uns war es einfacher, weil es die EXPO ist. Hier hat sich die klassische Theatersituation aufgelöst. Das ist für uns unglaublich spannend. Diese Halle mit ihren zwei theatralen Räumen funktioniert wie eine riesige Wohnung, in der der Beton durchgeht und einen nur die Wand vom Nachbarn trennt — beziehungsweise in der EXPO sind es Vorhänge. Diesen Raum wollen wir erobern. Wir werden versuchen, die Wahrnehmung in alle Richtungen zu öffnen.