Bedenklicher als plumpe Zensur

Eigentlich sollten die Korruptionsforschungen des Kölner Ehepaars Scheuch im Buch »Ganz unter uns« vertreten sein. Dann aber lehnte der Verlag J.P. Bachem das Kapitel ab. Ein Kommentar von Hans Leyendecker.

Die Stelle, wo der Sehnerv in das Auge eintritt, ist nicht, wie man vermuten würde, der Inbegriff der Sehkraft, sondern der so genannte »blinde Fleck«. Die Stadt Köln hat ihren blinden Fleck dort, wo sie mit sich selbst konfrontiert ist. Kritiker wie der Korruptionsforscher Erwin K. Scheuch oder der frühere Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes werden totgeschwiegen. Der Verleger Alfred Neven DuMont, der unter anderem den Kölner Stadt-Anzeiger, die Kölnische Rundschau und den Express herausgibt, beherrscht die Stadt. Das Wort ist Ware geworden.
Es gibt in Köln einen Sumpf der Kameraderie, der Verfilzungen und Inkompatibilitäten, wo jeder von jedem auf Gegenseitigkeit gelobt wird, nur die Nörgler müssen draußen bleiben. Nun ist es wirklich kein Vergnügen, eine doppelte Moral »anzuprangern«, die nie etwas dazugelernt hat. Der erste Dieb, der »Haltet den Dieb!« rief, mag ein kluger Kopf gewesen sein – wenn die Spektabilitäten einer Stadt nach diesem Schema vorgehen, öden sie nur noch an. Die Reaktion der Herrschenden auf das Erscheinen des Initiativkreises »Alternative Ehrenbürgerschaft« vor einigen Monaten war erbärmlich. Jetzt hat auch noch der traditionsreiche Kölner Verlag J.P.
Bachem, der unter anderem das Kirchenblatt des Erzbistums herausgibt, vorgemacht, wie mit denen umzugehen ist, die quer liegen. Ein für das Buch »Ganz unter uns« von dem Ehepaar Ute und Erwin K. Scheuch geschriebenes Kapitel über den Kölner Filz wurde rausgeworfen. Die in Köln mittlerweile üblichen Abhängigkeiten ließen das Geschriebene der Zensur anheimfallen. Der Herausgeber des Buches, der Kölner Professor Jürgen Bennack, war völlig perplex. Er überlegte, ob er seine Herausgeberschaft zurückgeben sollte, aber er mochte die anderen Autoren nicht im Stich lassen. Bennack ist ein anständiger Mann.
Der Verlag teilte den Autoren Erwin K. und Ute Scheuch mit, der Beitrag könne nicht erscheinen, da »eine Vielzahl von Personen und Ereignissen in einer Form mit dem Kölner Klüngel in Verbindung gebracht werden, die wir als Kölner Verlag nicht so veröffentlichen können«. Man befürchte »rechtliche wie auch ökonomische Konsequenzen«. Nun war der Beitrag der Scheuchs bei näherem Hinsehen nicht sonderlich aufregend. Vieles von dem, was sie geschrieben hatten, hatten sie früher schon so ähnlich zu Papier gebracht. Es waren die sattsam bekannten Charaktermasken wie CDU-Bietmann & Co. Aber der real existierende Klüngel duldet nicht einmal mehr Recycling.
Die Freiheit der Meinungsäußerung wird in der Domstadt immer mehr durch Direktiven und wirtschaftliche Erwägungen eingeengt. Bloß das, was zwischen den Zeilen steht, ist in einigen Blättern noch lesenswert. Alles gelangt heute überall hin, ist aber morgen schon nicht mehr da gewesen. Es gibt Zusammenhänge zwischen Redaktion und Administration, zwischen Text und Inseraten, und all das ist noch bedenklicher als die plumpe Zensur. Seit 2000 Jahren hat Köln Erfahrung mit fremden und einheimischen Herrschern gemacht, und die Bewohner haben gelernt, sich zu arrangieren. Sie tun so, als wären sie liberal und schmeicheln sich gern selbst. Auch deshalb ist die gängige Literatur über Köln ein Kompendium von Idyllen, Anekdoten und Klischees. Das Büchlein »Der Dom op Kölsch. Blitzsauber erzählte Geschichten« verkauft sich gut; auch »Dem Här zo Ihre« war ein großer Erfolg. Aber als der Stänkerer Werner Rügemer sein Buch »Colonia Corrupta« veröffentlichten wollte, winkten Kölner Verlage ab. Das Buch erschien dann bei einem Münsteraner Verlag. Dass in einem harmlosen Bändchen wie »Ganz unter uns« für die beiden Autoren Scheuch kein Platz war, offenbart die Armseligkeit der Herrschenden. Klüngler mit kleinstem Karo wollen vorgeben, was in der Millionenstadt real sein soll. Verschiedentlich hat Heinrich Böll, der fast ein ganzes Leben lang in Köln gelebt hat, darüber nachgedacht, welches Wappen zu dieser Stadt passen würde. In »Stadt der alten Gesichter« schrieb er: »Der Dom würde nicht in mein Wappen passen; dass er so offensichtlich von Bomben verschont wurde, während man die herrlichen romanischen Kirchen keiner Schonung für würdig befand, gehört zu den sentimentalen Irrtümern über das Kölnische: Der Dom ist viel weniger kölnisch als andere Kirchen.« Böll empfahl der Stadt, sich »unbedingt« ein Wappen mit zwei Händen zuzulegen – die »eine die andere waschend« (zu Ungunsten der dritten Hand). Vielleicht wäre »ein kleines Gitter ... als zusätzliches Moment in meinem Wappen angebracht«.