Galit Eilat, Foto: Manfred Wegener

Raumschiff in der Stadt

Die Akademie der Künste der Welt hat nicht nur endlich eine Präsidentin, sondern gewinnt auch zunehmend an Profil

Die neue Atmosphäre war mit Händen zu greifen. Hatte bisher Generalsekretärin Sigrid Gareis die Zügel der Akademie der Künste der Welt in der Hand gehabt, so kam es bei der ersten Salonveranstaltung im Dezember zu einem Wechsel bei gestrecktem Galopp. Die fünf Wochen zuvor gewählte neue Präsidentin Galit Eilat übernahm temperamentvoll die Regie. Sie begrüßte die Gäste, moderierte selbst ihre eigene Lecture-Performance an — was offensichtlich auch Sigrid Gareis verblüffte — und hielt dann einen inspirierenden Vortrag.

 

Mit Galit Eilat besitzt die Akademie nun endlich eine offizielle Ansprechpartnerin, die zudem über viel Elan und Überzeugungskraft verfügt. Das kann diesem institutionellen Frischling nur gut tun — gerade auch angesichts der schwierigen Haushaltslage und der wenig kulturfreundlichen Haltung großer Teile der rot-grünen Koalition im Rat der Stadt. Die Israelin verfügt außerdem über Erfahrungen im Aufbau von Institutionen aus ihrer Zeit als Gründungsdirektorin des »DAL — The Israeli Center of Digital Arts«. Dass sie auch auf theoretischem wie kunstpraktischem Feld zu Hause ist, hat sie als Professorin an der Bezalel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem sowie als Kuratorin am Van Abbemuseum in Eindhoven bewiesen.

 

Als eine ihrer ersten Amtshandlungen schickte die neue Präsidentin einen Brief an die Akademie-Mitglieder. Da ging es um externe und interne Kommunikationsstrategien, um Abstimmungsverfahren unter den Mitgliedern und Budgetfragen, vor allem aber um Ideen für eine »­clearer vision of the academy«. Damit ist neben den Salons vor allem die Auffassung von der Akademie als »think tank« gemeint. »Wir reden zum Beispiel über Verantwortung oder Gastfreundschaft«, erläutert Galit Eilat im Gespräch. Sie möchte diese Debatten demnächst auch öffentlich führen.

 

Das klingt nach diskursivem Höhenkammkraulen, doch die Präsidentin bricht das humorvoll herunter, wenn sie die Akademie mit der eminent politischen TV-Serie »Star Trek« aus den 60er Jahren vergleicht, in der Wesen von unterschiedlichen Planeten und Kulturen zusammentreffen. »Die Akademie ist aber kein Raumschiff, das über der Stadt schwebt, sondern das mittendrin gelandet ist und offene Zugänge besitzt«, erläutert sie den Vergleich. Sie selbst sei in einem Land aufgewachsen, das sich über die Isolation von seinen Nachbarn definiert. Deswegen sei ihr immer wichtig gewesen, den eigenen Ort mit anderen Orten in der Region zu verbinden. »Das war meine Vision«, sagt sie. Das verbindet die Akademie auf verblüffende Weise mit der persönlichen Geschichte ihrer Präsidentin, die seit Januar ihr Domizil für drei Monate am Rhein aufgeschlagen hat, um Stadt, politische Akteure, Institutionen und Szenen besser kennenzulernen.

 

Die bisherigen Veranstaltungen der Akademie — ob das Eröffnungssymposium oder die Salons — schärften vor allem das intellektuelle Profil und knüpften an internationale kunsttheoretische sowie gesellschaftspolitische Diskurse an. Das kann erst einmal nicht schaden in einer Stadt, die nicht gerade als geistige Oase gilt. »Cutting Edge« lautete der Titel des Eröffnungssymposiums der Akademie, das das Thema Beschneidung aus gender-, queertheoretischer und feministischer Warte diskutierte.

 

Es ging um Beschneidung und das bipolare Geschlechtermodell, um Genderbending, also die Feminisierung des Jungen während der Zeremonie oder um Menschenrechtskategorien bei weiblicher und männlicher Beschneidung. Mit Gästen aus dem Libanon, aus der Türkei oder Ägypten wurde die Rolle der Beschneidung im arabischen Raum diskutiert, die dort weniger theologisch als habituell begründet und oft biopolitisch instrumentalisiert wird. Allein diese Begegnungen zeigten schon, wie die Akademie plötzlich den Horizont aufreißen kann, wie sie Blickwinkel verschiebt. Wie die Begegnung mit Fremden in ein paar Minuten  eigene Sichtweisen relativiert. Das gilt umso mehr für die akademieeigenen Salons. Das Format dient vor allem dazu, Stipendiaten während ihres Aufenthalts den Kölnern vorstellen, aber es soll auch Raum für Vorträge und Lectures schaffen. Als erste Akademie-Fellows stellten sich die aus Ramallah stammenden Künstler Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme vor, die für neun Monate jetzt in Köln arbeiten. Die beiden, jeweils Jahrgang 1983, präsentieren ihre Lecture-Performance »Die zufälligen Rebellen«, die anhand von alten Postkarten, Filmausschnitten und experimentellen Sounds das Schicksal anarchistischer Banden aus Paris und Palästina mit Roberto Bolaños Roman »Die wilden Detektive« verknüpft. Der Extrakt aus der Installation »The Incidential Insurgents« beeindruckte und verdeutlichte das ästhetische Ziel von Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme: die Suche nach einer neuen politischen Sprache zwischen Recherche, Aktion, Kunst und Anarchismus — ausgehend vom palästinensischen Kontext. Darüber hinaus beschäftigen sich die beiden mit dem sogenannten »Ramallah Syndrome«, das die Paradoxie eines normalen Lebens im Ausnahmezustand beschreibt.

 

Natürlich boten die Veranstaltungen bisher vor allem kulturellen Highbrow-Diskurs. Nichtsdestotrotz: Der rege Zuspruch bewies, dass viele Kölner gierig nach intellektueller Nahrung sind. Zu kritisieren ist allerdings das Übergewicht der Bildenden Kunst. Da wünscht man sich dringend mehr Ausgewogenheit. Zeit wird es auch für den sichtbaren ästhetischen Rückstoß der Akademie in die Stadt. So haben die Mitglieder inzwischen mehrere Projekte mit Kölner Künstlern beschlossen, darunter »Mitumba«, ein Tanzprojekt der Mouvoir Company/Stephanie Thiersch oder das Performanceprojekt »Burning down the house« der indischen Gruppe Raqs Media Collective. 

 

Wichtiger aber: Die ersten Mitglieder der Jugendakademie — von Galit Eilat als »Botschafter aus der Nachbarschaft« bezeichnet — wurden ernannt. Im Frühjahr findet ein Workshop zur Sequential Art, also Bildergeschichten und Comics, statt. Hierzu sollen die Jung-Botschafter aus ihren Veedeln Zeichner, Schreiber, Streetartists, Musiker, Filmemacher zusammentrommeln, die dann gemeinsame Sache machen. Und auch ein weiteres Projekt verspricht hörbaren Benefit für die Stadt. Akademiemitglied Liza Lim hat mit der in Köln beheimateten musikfabrik nrw ein großes Musiktheater-Projekt vereinbart. Vorlage wird das neue Buch von Jonathan Safran Foer »Tree of Codes« sein, das mittels Textausstanzungen ein Rewriting von Bruno Schulz‘ Roman »Die Zimtläden« unternimmt. Liza Lim wird dieses Verfahren zur Grundlage ihrer Komposition machen und eng mit den Musikern zusammenarbeiten. »Das ist für uns Neuland«, erzählt musikfabrik-Geschäftsführer Thomas Oesterdiekhoff. So muss ein neues digitales Partiturverfahren für das iPad entwickelt werden, das Musikern erlaubt, ihre individuelle Stimme aus den parallel jederzeit verfügbaren Kompositionsschichten zusammenzustellen. Ende 2014 soll Premiere in Köln sein.

 

Es sind solche Anstöße in die Kulturinstitutionen der Stadt, die die dezentrale Struktur der Akademie veranschaulichen und von denen man sich noch viele erhofft. Ob die Kölner Politiker das verstanden haben, lässt sich nicht sagen — außer bei der Eröffnung haben sie sich bisher bei den Akademieveranstaltungen nicht blicken lassen. Der kölsche Tellerrand ist für manche eben doch verdammt hoch.