Krise ohne Ende

Selbst während sich die Hotelbesitzerin Monica di Garozzo und ihre Angestellte Francesca Lombardo lieben, laufen im Hintergrund die Fernsehnachrichten von den Unruhen in Island. Die Botschaft ist klar: Die Krise ist allgegenwärtig.

 

»Für mich sind Krisen als Geschichten fruchtbar, sie versetzen Menschen in Extremsituationen, in denen man sie besser erforschen kann«, sagt Pjotr Magnus Nedov über seinen ersten Roman »Zuckerleben«, der Ende Februar erscheint. Im Mittelpunkt stehen gleich zwei Krisen: der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und die aktuelle Finanzkrise.

 

Der 30-jährige Nedov erzählt die Geschichte von Tolyan Andreewitsch, der 2011 von Moldawien unterwegs nach Island ist. In Italien nimmt er zwei selbstmordgefährdete Jugendliche mit. Parallel zu ihrem Roadtrip erzählt Andreewitsch den beiden Jugendlichen, die zuvor krisenbedingt ihren Job in einer italienischen Zuckerfabrik verloren haben, die Geschichte der Besetzung einer moldawischen Zuckerfabrik und vom Zusammenbruch der Sowjetunion.

 

Dem Brinkmann-Stipendiaten 2011 gelingt dabei eine zwischen Ernst und absurder Komödie changierende Geschichte voller wundersamer Bilder und skurriler Charaktere und netter kleiner Unerhörtheiten. So wird der Selbstmörder Pippo Calabrese posthum zu Dejan Calabrese, weil der einzig anwesende Geistliche orthodoxen Glaubens ist und vor der Beerdigung auf einer Taufe des Toten besteht.

 

Nedovs großzügige Ideenfülle überrascht nicht, schaut man sich sein bisheriges Leben an. Geboren wurde er in der Sowjetunion, aufgewachsen ist er in Moldawien, Rumänien und Österreich. Er studierte Anthropologie und Filmwissenschaften in Paris, Moskau, Montreal und Wien, 2008 promovierte er in Philosophie. Nebenher drehte er Filme, schrieb Geschichten und arbeitete als Archäologe, Dolmetscher oder Masseur. Seit 2009 lebt er in Köln, an der Kunsthochschule für Medien hat er soeben seinen Diplomfilm eingereicht.

 

Von einer (Schaffens-)Krise keine Spur. Und überhaupt: »Das jetzt ist keine wirkliche Krise, Junge […] 1991 bei uns, das war eine wirkliche Krise. Eine hässliche Krise. Ohne Regeln und mit ungewissem Ausgang«, klärt Andreewitsch seinen Mitreisenden auf. Trotzdem spiegeln sich auch bei Nedov die Ereignisse: Der Selbstmörder in der UdSSR schreibt in seinem Abschiedsbrief die gleichen Worte wie der Selbstmörder in Italien.

 

 

Pjotr Magnus Nedov, »Zuckerleben«, 380 Seiten, 2013 Dumont Verlag, 19,90 Euro