Foto: Manfred Wegener

Verwirrende Denkpause

Der Wutbürger hat das Sparen entdeckt. Die Initiative »Mut zu Verzicht« fordert, alle Kölner Großprojekte zu stoppen. Der Protest richtet sich vor allem gegen das geplante Jüdische Museum am Rathausplatz

Stuttgart 21, Elbphilharmonie, Flughafen Berlin-Brandenburg - große Bauprojekte scheinen immer im finanziellen Desaster zu enden. Da verwundert es nicht, dass die Initiative "Mut zu Kultur" für ihre Online-Petition, sämtliche Kölner Großprojekte zu stoppen, viele Unterstützer gefunden hat. 2500 Menschen haben die Petition "für ein Moratorium aller Kölner Großprojekte" unterzeichnet. Ist das wohlfeile Empörung per Mausklick? Ein digitaler Stammtisch für Wutbürger? So pauschal die Forderung einerseits ist, so explizit ist sie andererseits: Zwar will man auch den Rheinboulevard in Deutz oder das neue Stadtarchiv am Eifelwall verhindern, aber so richtig gewettert wird nur gegen das längst beschlossene Jüdische Museum, das über der Archäologischen Zone auf dem Rathausplatz geplant ist.

 

Ihre Argumente präsentierten die Schöpfer der Online-Petition Ende Januar der Presse, wobei die drei Initiatoren unterschiedliche Akzente setzten. "Wir treten ein für eine Denkpause", so Frank Deja und verwies auf die schlechte Haushaltslage der Stadt. Deja, sonst Aktivist bei der Ini­tiative "Köln kann auch anders", kritisiert am Jüdischen Museum aber auch, dass nach zehn Jahren Planung, Konzeptänderungen und Finanzierungsproblemen "vom lebendigen Haus der Begegnung nichts mehr übrig" sei. Doch während er sich nach Prüfung des Projekts einen veränderten Weiterbau vorstellen kann, bezweifelt Werner Peters, Gründer der "Partei der Nichtwähler", die Qualität der Grabungsfunde römischer und jüdischer Geschichte unter dem Rathausplatz. Und Karl-Heinz Pütz, unlängst verstorbener Organisator von "Arsch huh", betonte die sozialpolitischen Versäumnisse der Stadt. Schließlich zeigte der Architekt Peter Busmann noch seinen Entwurf für eine Glasüberdachung der Funde auf dem Rathausplatz. Was nun? Soziales vor Kultur? Denkpause oder Baustopp für das Museum - oder gar ein konkurrierender Entwurf von Busmann? Das Spektrum der Initiative ist breit. Kleinster und vielleicht einziger gemeinsamer Nenner: kein Museum nach den derzeitigen Plänen.

 

Der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt weiter gegen die Standortwahl an

 

Zehn Jahre Planung, zehn Jahre kein Protest. Fünf Ratsbeschlüsse hat es zum Projekt Archäologische Zone/Jüdisches Museum gegeben, bis im Juli 2011 der Baubeschluss von SPD, Grüne, FDP und Linke verabschiedet wurde. 2001 waren die ersten Vorschläge zur "Archäologischen Zone" aufgekommen, 2006 begannen die Grabungen. Zeitgleich legte die "Gesellschaft zur Förderung eines Hauses und Museums der jüdischen Kultur" (GMJK) einen ersten Entwurf für ein Jüdisches Museum vor, das sie mit 14 Millionen Euro Baukosten veranschlagte. Weil sich Relikte römischer und jüdischer Geschichte unter dem heutigen Rathausplatz überlagern, sollten beide Projekte zu einem Doppelmuseum unter und auf dem Platz zusammengeführt werden. Das Land NRW sagte dafür einen zweistelligen Millionenbetrag zu.

 

Den Architektenwettbewerb gewann das Büro Wandel Höfer Lorsch + Hirsch fast einstimmig. Der damalige OB Fritz Schramma (CDU) lobte im Juni 2008 noch den Siegerentwurf und warb für das Projekt. Wenige Tage darauf änderte Schramma seine Meinung: Das Museum sei doch zu groß, es störe die Sicht auf Rathaus und Wallraf-Richartz-Museum, dessen Stifterrat übrigens Alfred Neven DuMont vorsitzt. Sein Kölner Stadt-Anzeiger hatte bereits Stimmung gegen die Bebauung der abschüssigen Platzfläche gemacht. Schrammas Sinneswandel wird prominent im Blatt präsentiert, samt unterstützendem Kommentar: Der damalige OB ist vor dem einflussreichen Verleger eingeknickt. Schließlich wird das Museum kleiner dimensioniert, vor allem zum Eingang des Wallraf-Richartz-Museums hin. Der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt weiter gegen die Standortwahl an.

 

Die rot-grüne Koalition im Rathaus hält nichts von einem Moratorium

 

Da kommt es zupass, dass sich 2009 die GMJK zurückzieht. Die vollmundige Ankündigung, das Museum mit Spenden und Sponsoren zu finanzieren, entpuppt sich als Flop. Damit das Projekt nicht scheitert - schließlich stehen Fördermittel vom Land dafür bereit - springt die Stadt selbst als Bauherrin und Betreiberin ein. Im Herbst 2011 gibt es Gespräche mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR), der sich finanziell beteiligen soll. Doch es offenbaren sich Differenzen: in Personalfragen, bei der Konzeption und darüber, wer das Projekt zukünftig steuern darf. Mühsam einigt man sich: Der LVR übernimmt den Betrieb des Museums und die damit verbundenen Kosten, schätzungsweise 6 Millionen Euro jährlich. Das Land NRW kommt für 14,3 Millionen Euro der insgesamt 51,7 Millionen Euro Baukosten auf, den Rest sowie die Bauunterhaltskosten zahlt die Stadt. Im Dezember vergangenen Jahres erteilt der Rat dazu seinen Segen - der bereits sechste Ratsbeschluss in dieser Sache.

 

Klar, dass die rot-grüne Koalition im Rathaus nichts von einem Moratorium hält. Martin Börschel, SPD-Fraktionschef im Rat, verwundert es, dass der Protest sich erst nach zehn Jahren formiert. "Jetzt ist es angesichts der Kosten schlicht zu spät", so Börschel. Auch Jürgen Wilhelm (SPD), Vorsitzender der Landschaftsversammlung des LVR, kritisiert, dass das Projekt nach den zahlreichen Ratsbeschlüssen noch infrage gestellt wird und warnt, Soziales gegen Kultur auszuspielen. Köln sei zwar der größte Beitragszahler des LVR, die Stadt bekomme aber mehr zurück, als sie einzahle, vor allem im sozialen Bereich. Und Wilhelm fragt die Befürworter des Moratoriums, ob sie ernsthaft glaubten, dass Köln in naher Zukunft mehr Geld für Kulturprojekte haben würde. Stoppe man jetzt das Projekt, sei dies sein Ende.

 

Dilettantische Änderung des Wikipedia-Eintrags

 

Auch Brigitta von Bülow, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, fürchtet, dass das Projekt bei einem Moratorium oder Planungsstopp "auf lange Sicht" nicht mehr zu verwirklichen sein werde. Diskussionsbedarf sieht sie bei der Ausgestaltung des Museums, denn es gebe "bisher nur Konzeptvorschläge". Die kolportierte Zahl von jährlich einer Million Besuchern findet von Bülow wie die Kritiker "völlig illusorisch". Die Zahl aber wurde immer wieder genannt, um das geplante Doppelmuseum als "Leuchtturmprojekt" anzupreisen. Als die Stadt den Auftrag für "Kommunikation und Marketing" extern vergibt - und ihn sich 780.000 Euro kosten lässt- spricht sie im entsprechenden Ausschreibungstext 2011 nur von geschätzten 230.000 Besuchern im Jahr. Die schließlich beauftragte Agentur war bislang höchstens durch die dilettantische Änderung des entsprechenden Wikipedia-Eintrags in ihrem Sinne aufgefallen. Der Ruf des Projekts scheint ruiniert, aber wird auch das Projekt selbst zur Ruine? SPD, Grüne und FDP haben - auch unter dem Eindruck des digitalen Protests von "Mut zu Verzicht"  - im Februar die Verwaltung gedrängt, endlich das "externe Kostencontrolling" umzusetzen und "Kostentransparenz" herzustellen; ein erster Beschluss dazu stammt vom Juli 2011.

 

Unterstützung erfährt "Mut zu Verzicht" von der CDU. "Wir sind nicht gegen das Jüdische Museum, wir sind gegen den Neubau", betont der kulturpolitische Sprecher Ralph Elster: Die Stadt sei hoch verschuldet und bei dem Projekt drohten Kostensteigerungen. Für die CDU ist die Archäologische Zone samt Jüdischem Museum ein Grabungsprojekt, das jetzt beendet sei. Die Funde sollten nach ihrem Dafürhalten im Römisch-Germanischen Museum, Stadtmuseum und NS-Dokumentationszentrum präsentiert werden - ohne Beteiligung des LVR. Die Initiatoren von "Mut zu Verzicht" haben dazu bislang nicht öffentlich Stellung bezogen. Wie sie politisch weiter vorgehen wollen, ist unklar. Ein Bürgerbegehren schließt man jedenfalls derzeit aus. Der Rat der Stadt wird sich dennoch bald wieder mit dem Jüdischen Museum und der Archäologischen Zone befassen müssen. Denn gleich zwei Varianten gegen das Projekt schafften es beim Bürgerhaushalt in die Liste der am besten bewerteten Vorschläge.