Taumeln Würgen Kotzen

Iceage zelebrieren Punk nicht als Subkultur, sondern als Lebensgefühl

Es ist gar nicht so einfach, diese Band aus Kopenhagen im Netz zu finden, nicht nur wegen des gleichnamigen Films und des Compu-terspiels, sondern weil es auch zwei weitere Bands gibt, die sich diesen Namen teilen. Vielleicht ist der Name das einzig Unsubtile der Band. Aber — subtil? Denkt man natürlich spontan — was für ein Quatsch! Iceage-Musik ist rüdes Gekloppe und Gestampfe, weggetretener Punk, Gitarren-Geschrammel, das sich zu einem Feedback-Taumel auftürmt. Was soll daran subtil sein? Für diese Art von Rohheit braucht man aber ein ungeheures Feingefühl. Man muss ja erst mal auf die Idee kommen, das Bandlogo per Drucklackierung aufs Cover zu applizieren, man sieht es nur indirekt, wenn man das Cover gegen das Licht hält und es sich im Bandlogo widerspiegelt.

 

Hat man die Band erst mal gefunden (iceagecopenhagen.blogspot.de), schaut man sich sofort das Video zu »Ecstasy«, dem ersten Stück ihres zweiten, gerade erschienenen Albums »You’re Nothing« an. Eine Lärmdusche, durch die  tiefer, selbstmitleidiger, 80er-Jahre-Wave-Gesang (kein Gebrüll: tatsächlich Gesang) hallt. Jugendliche taumeln und stolpern, ein Pogo der Kraftlosen, mittendrin die Band, nackte Haut, toben, wüten, würgen, picklige Haut. Könnte auch eine Larry-Clark-Phantasie sein (allerdings ohne dessen Sex-Apologie). Und da Iceage nun wirklich keine Hype-Band sind und unermüdlich die Jugendzentren dieser Welt beackern (Köln gehört leider nicht zu dieser Welt), liegt die Vermutung nahe, dass sich hier nicht die Kulturindustrie einer vormals rebellischen Jugendkultur bedient, sondern umgekehrt. Iceage verzichten auf spezifische Szenecodes und eindeutige lebensweltlich-politische Aussagen, sondern zelebrieren Punk als allgemeines Lebensgefühl des Nihilismus und Soundtrack zur grassierenden Jugendarbeitslosigkeit im reichsten Europa aller Zeiten.

 

Ältere mögen ungemein viele 80er-Reminiszenzen entdecken, vom schwermütigen Gesang, der aber über die Album-Strecke hinweg mehr und mehr zu einem Schreien wird, bis zum satten Hall-Einsatz. Wären sie New Yorker, sie hätten sicherlich Thurston Moore als Paten. Aber Johan Surrballe Wieth, Dan Kjær Nielsen, Elias Bender Rønnenfelt und Jakob Tvilling Pless — sie legen im aufwändig gestaltenen Booklet auf die volle Namensnennung wert — ist es egal, alle Referenzen auszukosten. Sie setzen auf die Allgemeingültigkeit ihrer Ausdrucksmittel. »You’re Nothing« ist nicht »retro«, sondern perfekt ins Bild gesetzte Perspektivlosigkeit. Hat man sich mit ihr einmal abgefunden, kann man großen Spaß haben, auch das Steineschmeißen fällt leichter.