Jetzt mal richtig ernst

Haftbefehls Offenbacher Gangstarap bekommt garantiert keinen Integrations-Bambi

Nicht nur »Chabos wissen, wer der Babo ist«. Der Babo, was auf türkisch soviel wie »Boss« bedeutet, ist Aykut Anhan, ein Deutsch-Kurde aus Offenbach. Er war Kokaindealer, wofür er ins Gefängnis ging, betrieb ein Wettbüro. Als Haftbefehl trägt er mit seinem neuen Album »Blockplatin« gerade die deutsche Rapkrone. Von der Gallus bis zu den Charts weiß jeder, wer der Babo ist: Es ist Haftbefehl. 

 

Dafür ist zuerst sein Jargon verantwortlich. Haftbefehl vermischt Frankfurter Slang mit Türkisch, Arabisch, identifiziert sich mit Charakteren aus den Mortal-Kombat-Videospielen und verneigt sich vor HipHop-Legende KRS-One. Und über allem steht sein tief in der Kehle gesprochenes »H« — »Chaftbefehl«. So gewinnt man Schulhöfe und angehende Germanisten zugleich.

 

Aber anders als seine Berliner Pendants gibt sich der Straßenrapper Haftbefehl nicht mit den stereo-typen Images des Kleinkriminellendaseins, den Nutten, dem Koks und den derben Sprüchen gegen Schwule und Frauen zufrieden, die erst Sozialarbeiter provozieren und dann mit dem Integrations-Bambi ausgezeichnet werden. Es geht ums Ganze. Im Video zu »Generation Azzlack« steht Haftbefehl in Weitwinkelperspektive vor einigen Limousinen und wird mit Aufnahmen der Frankfurter Skyline, Paris und dem größenwahnsinnigen Londoner »Shard« gegengeschnitten. Von Berlin keine Spur.

 

Das hört man. »Blockplatin« klingt so professionell produziert wie kaum ein anderes deutsches HipHop-Album. Zwischendurch hört man ein paar Trapbeats, dann wieder vollstes Streicherpathos.

 


So richtig mag man nicht glauben, dass diese Platte immer noch per Indielabel den Weg auf die Anlage findet. Kein Wunder, dass Haftbefehl auf die Frage nach seinem Vorbild mit »Jay-Z« antwortet, dem HipHop-Star der auch im Weißen Haus Gehör findet — wegen seiner Kunst und seines Geschäftssinns. 

 

Das alles ist selbstverständlich kalkulierte Pose, aber gerade weil sie so perfekt durchgehalten wird, erzählt sie von mehr. Nachdem im sarrazinierten Gegenwartsdeutschland eine ökonomische Verwertbarkeit als Integrationskriterium endgültig den Multikulturalismus der rot-grünen Berliner Republik abgelöst hat, kommt halt einer, der die Sprachkonventionen hinter sich lässt und die Bilder des sozialen Aufstiegs in übersteigerter Form zurückschleudert: »Azzlack fickt den Markt, locker easy.« 

 

So affirmieren diejenigen den Markt, die ständig von ihm ausgewiesen werden. Und zu dieser
verkorksten Haltung gehört auch die Schwundstufe der Kapitalismuskritik — der Antisemitismus. »Frankfurter, Freimaurerstadt« rappt Haftbefehl in einem älteren Track und an anderer Stelle erzählt er vom Kokain, dass er »an die Juden von der Börse« verkauft. Nur, wer hätte in einem Land, in dem sich Ökonomiekritik auf das Anprangern von »Heuschrecken« und die Forderung nach »Bankenregulierung« beschränkt, etwas anderes erwartet? Babos wissen, wie der Deutsche tickt.