Der Dichter der Technik

R. Buckminster Fuller, 1895-1983. Forscher, Designer, Architekt, Ingenieur, Erfinder, Mathematiker, Geograf, Autor, Philosoph - mindestens. Seit 1999 tourt die Ausstellung »Your Private Sky« zum Lebenswerk dieses unkonventionellen Geistes und ist jetzt überarbeitet im Kölner Museum für Angewandte Kunst zu sehen.

 

Man könnte mit einer Anekdote beginnen: Nein, »schön« sei diese Ausstellung eigentlich nicht, meinte der Mann vom Wachdienst im Museum für Angewandte Kunst, der die Kuratoren beim Aufbau der Modelle, Bildtafeln und Displays beobachtete. Aber faszinierend. Und dann, nach einer Pause, die Frage: »Sagen Sie, haben diese Modelle etwas mit dem Universum zu tun?«

Ja. Eine Menge. Und vielleicht sollte man sich von ganz weit da draußen dem Denken und Lebenswerk des Universalisten Richard Buckminster Fuller nähern; das heißt nicht mit seinen einzelnen Entdeckungen und Erfindungen beginnen, sondern eher mit einer Douglas-Adams-Perspektive per Anhalter durch die Galaxis einschweben. Anfangen mit dem tragisch weitreichenden Fuller-Satz »We are all Astronauts«, der den Erdenbürger als Weltraumbewohner definiert. Oder mit dem Bild vom »Spaceship Earth«, das Fuller für das ökologische Gesamtsystem Erde gebrauchte – 1951, lange bevor »Ökologie« in Wort und Bedeutung im allgemeinen Bewusstsein ankam und lange, bevor die ersten aus dem All aufgenommenen Fotografien des Erdballs sich in unser Bildgedächtnis einnisteten. Seine Idee einer »One-Town-World« ist aus dem Weltraum betrachtet evident, bekam aber erst mit dem Begriff »Globalisierung« Konjunktur.
Was sich über die spacigen Formen und die Athmosphäre der Fuller-Modelle intuitiv vermittelt, in Fuller-Texten zur Theorie gerinnt und heute so wegweisend erscheint, ist sein tatsächlich planetarisches Bewusstsein. Eines, dem die Gefährdung des Lebens auf diesem Planeten äußerst präsent ist. Das Raumschiff Erde wurde ohne Gebrauchsanweisung geliefert – für Fuller sowohl bitterer Fakt als motivierende Entwicklungsaufgabe. Ob er futuristische Wohntürme, mobile One-Family-Houses oder ein halbfliegendes »Dymaxion-Auto« entwickelte – »How to make the world work«, dieser Frage war er Zeit seines Lebens auf der Spur.

Man mag sich fragen, ob es denn gleich das ganze Universum sein muss und das Wohl der gesamten Menschheit. Fullers Haltung ist nicht frei von Pathos. Tatsächlich aber war für ihn selber der Blick aus der räumlichen und zeitlichen Ferne des Weltalls völlig selbstverständlich: In seinen vielen Vorträgen sprach er über Raumschiffe und die Weisheit des Weltdesigns wie die Architektenkollegen über die aktuellen Normen für Türrahmenmaße. Bauen? Bauen bedeutete für Fuller nicht die Errichtung eines Gebäudes auf einer planen Grundstücksfläche; Bauen bedeutete die Installation eines Wohnbehältnisses auf dem Planeten Erde. Einige seiner Skizzen zeigen, in der Art von Kinderzeichnungen, den runden Globus, von dem Wohntürme rundherum nach außen in die Atmosphäre ragen. Die Bewohner leben darin in Fullers Vorstellung nicht »oben« oder »unten«, sondern weiter »innen« oder »außen« – Richtung Erdmittelpunkt oder Universum eben. Fuller wurde wegen dieser für den Durchschnittserdling gewöhnungsbedürftigen Perspektive auch bespöttelt, aber seine universale, von Sachzwängen ungebremste Denk- und Gestaltmethode macht bis heute seine Bedeutung aus. Nicht zuletzt, weil dieser »Sterngucker« zahlreiche konkrete Problemlösungen entwickelte, neue Technologien zur Realisation brachte und gültige geometrische Entdeckungen machte.

Wie bannt man nun ein solch umfassendes Lebenswerk in eine Ausstellung? Es existiert die Legende, R. Buckminster Fuller sei jenes Individuum, das den bisher umfangreichsten Nachlass auf diesem Planeten hinterlassen habe. Fast 20 Jahre nach seinem Tod wurden für »Your Private Sky« Originalskizzen und Konstruktionszeichnungen, Modelle, Fotos und Druckschriften zusammengetragen und durch Nachbauten, Filmausschnitte und Diasequenzen ergänzt: Gedankenprotokolle, keine Kunstwerke. Nach u.a. Zürich, London und Tokio ist die Schau jetzt als letzte Station in einer leicht überarbeiteten Form in Köln zu sehen – was sich als sehr gelungen heraustellt.

Die Kuratoren ordneten die über 500 Exponate um einen inhaltlichen Dreh- und Angelpunkt in Fullers Schaffen: die »Dymaxion World Map«. Eine völlig neuartige Weltkartenprojektion, die nahezu verzerrungsfrei die Land- und Wassermassen der Erde darstellt. 1943 im US-Magazin life als Bastelbogen zum Ausschneiden veröffentlicht, wurde sie spielerisch der breiten Öffentlichkeit zugänglich. In mehreren Entwürfen hängt die Fullersche Weltkarte in der großen Treppenhalle des MAK, ihr zur Seite gestellt die konventionellen Darstellungen, die sich seit dem Mercator-Entwurf von 1569 nicht sehr verändert haben: Europa in der Mitte, Australien unten rechts und in Ost und West hört die Welt einfach auf – als sei sie immer noch eine Scheibe, so ist unser gewohntes »Weltbild« in den Köpfen gespeichert. Fullers Projektionsmethode, die er während und wohl auch unter Einfluss des Ersten Weltkriegs entwickelte, korrigiert diese mentale Karte zu einer dynamischen und nicht-hierarchischen Weltsicht: ideologisch konnotierte Begriffe wie Peripherie und Zentrum sind außer Kraft gesetzt. Am schönsten zeigt das die Sicht der »Air Ocean World«, die alle Kontinente als eine Insel im Weltozean vereint. Für den politischen Zeitgeist war die »Map« aber zweifellos eine Provokation.

Von dieser Denk- und Designleistung Fullers im Mittelpunkt der Schau erschließen sich viele andere seiner Projekte. Aus den Berechnungsprinzipien der Map folgt seine wohl erfolgreichste Erfindung, die »geodätischen Kuppeln«: 200.000 größere und kleinere dieser zeltartigen, mobilen runden Hauben wurden weltweit nach seiner Konstruktionsmethode gebaut. Im Museums für Angewandte Kunst konnten die Kuratoren zudem lokale Bezüge aufgreifen: Im Treppenhaus hing lange Jasper Johns nach Fullers Vorlage gemaltes Bild »Map«, dessen Umrisse sie auf den Boden der Ausstellungshalle projizierten. Johns malte es 1967 für die Schau »American Painting Now« auf der Weltausstellung in Montreal im US-Pavillon – Fullers wohl berühmtestem Kuppelbau. Heute hängt Johns’ »Map« im Museum Ludwig, wo sie zusammen mit Zeitdokumenten zu sehen ist – ein wichtiger Hinweis auf Fullers Rezeption in der Kunstszene.

Fullers technische Revolutionen sind Denkrevolutionen. Faszinierend lässt sich das an einem weiteren der sogenannten »Dymaxion-Projekten« studieren, dem Dymaxion-Haus. Dymaxion (eine Wortbildung aus Dynamic+Maximum) steht für Fullers ressourcenschonende Designmethode, die dynamische Kräfte und Synergien nutzt: »Don’t fight forces, use them« ist ein Kernsatz Fullers. Das Dymaxion-Haus wurde als revolutionärer Entwurf wahrgenommen: nur drei Tonnen schwer, mit einem Tragmast im Zentrum, von dem aus die Wohndecks an Kabeln gespannt sind, die Außenwände lichtregulierende Screens, die Räume innen durch ein Spiegelprismensystem indirekt beleuchtet. Fuller dachte nicht an Privateigentum, sondern an ein Service-Dienstleistungs-Konzept: Verfügbarkeit auf Zeit per Bestellung, ähnlich wie ein Telefonanschluss.

An vielen weiteren Beispielen zeigt die Ausstellung den Autodidakten Fuller, der Spezialistentum verachtete, als genialischen Designer und Forscher, der während seines Lebens enorm viele Tätigkeitsfelder bespielte. Man kann man sich mit größtem Vergnügen in einer Fülle von Material verlieren und diesem abenteuerlichen Denken nachforschen. In dem im Grafikraum eingerichteten »Studiolo« kann selber in Skizzen geblättert, gelesen oder einem 40-Stunden-Vortrag des Technik-Philosophen mit Hang zur Performance gelauscht werden. Ebenso lässt sich Fullers Lebensweg verfolgen, man begegnet dem erfolglosen Harvardstudenten und dem Marineoffizier Fuller im Ersten Weltkrieg – die Navigation als umfassende Kunst des Kurshaltens im Umgang mit dynamischen Kräften blieb bis zum Ende seines Lebens ein Leitbild.

Während der Besucher selber durch Fullers Denk- und Designuniversum navigiert, wird er akustisch begleitet von dessen Freund und Denkgefährten John Cage. Der war dem Künstler-Wissenschaftler Fuller, den die Öko- und Hippiebewegung ebenso zu ihrem Guru machte wie die »Alles ist technisch zu lösen«-Positivisten auf der anderen Seite, sicherlich näher als mancher falsche Fan.


Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtsschule 5,
di-so 11-17, mi 11-20 Uhr, bis 15.12.

Zur Ausstellung sind zwei Katalogbücher erschienen:
»Your Private Sky. R. Buckminster Fuller« und
»Your Private Sky. R. Buckminster Fuller. Diskurs«, hrsg. von Joachim Krausse und Claude Lichtenstein, Museum für Gestaltung Zürich, Verlag Lars Müller, Baden/Schweiz 1999 u. 2001.