Im Auftrag gegen die Verblendung: Regisseur Bolat Atabayev

Die Angst ist nur im Kopf

Der kasachische Regisseur Bolat Atabayev inszeniert im Artheater

Aus dem Mund von Bolat Atabayev klingt der Begriff "Zivilgesellschaft" noch wie ein Versprechen. Vor zwei Jahren hatte sich der Theaterregisseur mit streikenden Ölarbeitern im westkasachischen Shanaosen solidarisiert, deren Aufstand von der Polizei blutig niedergeschlagen wurde. Es gab hunderte von Verletzten, zwölf Menschen wurden erschossen. Daraufhin werden die angeblichen intellektuellen Drahtzieher verhaftet, darunter der 60-jährige Atabayev. Erst durch internationalen Druck kommt er im Sommer 2012 wieder frei. Jetzt steht der Regisseur im Artheater und spricht von zivilrechtlichen Standards, für uns selbstverständlich, die aber unter der autoritären Regierung des seit 1990 regierenden Nursultan Nasarbajew nicht vorkommen.

 

Die Bedrohung für Atabayev, der am Deutschen Theater in Almaty inszeniert hat und heute die freie Gruppe "Aksaray" leitet, ist derzeit so groß, dass er nach der Verleihung der Goethemedaille in Weimar im August, nicht mehr in seine Heimat zurückgekehrt ist. Unterschlupf findet der Regisseur derzeit in der Theaterakademie Köln, wo er Meisterkurse hält und demnächst zwei Stücke herausbringen wird. Jetzt gastiert er im Artheater mit der Parabel "Lawine", aus Kasachstan ist dafür eigens sein Ensemble angereist.

 

In einem kleinen Dorf dürfen die Bewohner neun Monate des Jahres nur flüstern, in der verbleibenden Zeit darf gefeiert, gesungen, dürfen Kinder geboren werden. Wird die Stille durchbrochen, droht sich eine Lawine loszulösen. Auf farbenfrohen Decken, die später als Kimonos dienen, sieht man drei Paare. Sie beten, lehnen schlafend aneinander oder verfluchen sich mit wilden stummen Gesten. Eine Beischlafszene wird zur gegenseitigen erotischen Fütterung. Plötzlich bricht Panik aus: eine Frau hat Geburtswehen.

 

Atabayev inszeniert den Stoff mit viel Sinn für Komik. Die Dialoge werden gedämpft hervorgepresst, unterbrochen durch kleine brechtsche Störmanöver. Mit dem Auftritt der Ordnungsmacht kippt die Inszenierung in die Groteske: Fünf große wandelnde grüne Uniformjacken mit Goldlitzen und fünfstöckigen Zweispitzen stehen als wichtigtuerischer Chor da und versuchen die Schwangere in einer Decke zu ersticken. Bis der Ehemann eine Pistole zieht und schießt: Entsetzen - doch die Lawine geht nicht nieder. Schlimmer noch, aus dem Off tritt ein Schnösel auf, der offenbar alles inszeniert hat. Die Lawine hat nur im Kopf existiert, das hatten die Streikenden in Kasachstan verstanden.