Geld & Geschlecht

Initiative in NRW: Öffentliche Haushalte sollen geschlechtergerecht erstellt werden.

Gender Mainstreaming gilt als neues und Erfolg versprechendes Konzept, um Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern herzustellen. Die Europäische Union schreibt den nationalen Regierungen das Gender Mainstreaming verbindlich vor, und die Großgewerkschaft ver.di beispielsweise hat es in der Satzung verankert und schickt ihre FunktionärInnen in »Gender-Mainstreaming-Seminare«. Ein Instrument des Gender Mainstreaming, das holprig als »Querschnittsaufgabe Geschlechtergerechtigkeit« übersetzt werden kann, ist das Gender Budgeting: die – gleichfalls unzureichend eingedeutscht – »geschlechtergerechte Haushaltplanung«, denn »jeder Haushalt hat Geschlecht«, wie die Kölner Ökonomin Elisabeth Stiefel sagt.
Schon über 40 Länder versuchen weltweit, ihre Etats so zu analysieren und umzustrukturieren, dass öffentliche Gelder Männern und Frauen gleichermaßen nutzen – immer begleitet von der Frage, wie die unbezahlte Arbeit von Frauen, die den Staat entlasten, zu bewerten ist. Der rot-rote Berliner Senat hat Gender Budgeting in seine Koalitionsvereinbarung aufgenommen, und der nordrhein-westfälische Landtag wird sich jetzt auf Initiative der Grünen damit auseinander setzen. Mit der Tagung »Gender Budgeting: Sperriger Name – lohnendes Ziel« am 30. September haben die Grünen im Düsseldorfer Landtag eine »Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt in NRW« angestoßen. Ausgehend von den dortigen Erfahrungsberichten und Diskussionen mit Frauenorganisationen und -initiativen, feministischen Ökonominnen, Forschungsinstituten und Wohlfahrtsverbänden wollen die Grünen einen parlamentarischen Prozess für die Einführung von Gender Budgeting in NRW anstoßen. Ein entsprechender Fraktionsantrag ist in Arbeit, aktueller Anlass sind die Sparpläne der Landesregierung.
Gender Mainstreaming hat zum Ziel, alle Projekte, Maßnahmen oder Gesetze daraufhin zu prüfen, wie sie sich auf die Situation von Frauen und Männern auswirken. Weg vom reinen Fördern der Frauen, hin zur Geschlechterdemokratie heißt die Devise dieser Strategie, die erstmals 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossen wurde. Das soziale Geschlecht (gender) soll immer als Kategorie im Blick sein. Mainstream bedeutet, dass frühzeitig, regelmäßig, selbstverständlich und konsequent bei allem, was Regierungen oder Institutionen auf allen Politikfeldern tun, das Geschlecht berücksichtigt wird.
Gleichstellung der Geschlechter soll nicht mehr gleichbedeutend sein mit der Verallgemeinerung männlicher Lebensentwürfe und Lebensbedingungen als Norm. Und es soll nicht mehr nur den Frauen überlassen bleiben, Ungleichheiten aufzudecken, sondern beide Geschlechter sollen ihr Handeln überprüfen. Dazu gehört, Männer und Frauen in ihrer unterschiedlichen sozialen Realität, in ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen wahrzunehmen und nicht so zu tun, als ob es einen Typ Mensch gäbe, der eher männlich ist (beispielsweise bei Rentenmodellen), nach dem sich Frauen dann auszurichten haben. Mit dem Amsterdamer Vertrag haben sich die europäischen Regierungen 1998 in diesem Sinne zum Gender Mainstreaming verpflichtet.

»Wenn hauptsächlich Fußballplätze in Stand gehalten werden, handelt es sich um Bevorzugung von Jungen«

Grundlegend für Gender-Mainstreaming-Strategien ist, dass sie Männer und Frauen zum Dialog verpflichten. Sie werden in einigen Organisationen und Institutionen schon angewandt – und man kann sie in Gender Trainings lernen. Da wird dann gefragt: Wo arbeiten Frauen, wo arbeiten Männer, wie werden sie bezahlt, wie ist die Hierarchie strukturiert? Welche Konsequenzen hat das beispielsweise für die Tarifpolitik, was heißt das für die Organisation? Wie wendet man Gender Mainstreaming bei einer Stadtverwaltung im Sozialhilfebereich an? Wie wirkt es sich im Rahmen von europäischen Strukturfonds aus? Genau diese Fragen stellt das Gender Budgeting: Wofür und für wen wird öffentliches Geld ausgegeben? Um das zu erkennen, müssen öffentliche Haushalte als erstes transparent gemacht werden, Gender Budgeting ist demnach ein Instrument zur Durchleuchtung eines Haushaltes.
»Durch Gender Budgeting entsteht Transparenz über das Ausgabeverhalten von Regierungen«, sagt Marianne Hürten, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag. »Es kann einen Beitrag zur Konsolidierung verschuldeter und zum Sparen gezwungener Haushalte leisten. Es bewahrt vor verhängnisvollen Einsparungen, die soziale Probleme verschärfen und als Folge Armut und erhöhten Ausfall von Steuereinnahmen verursachen.« Es geht nicht darum, zusätzliche Mittel für Frauen zu fordern, sondern vorhandene gerechter zu verteilen und Kürzungen unter Gender-Aspekten zu betrachten. So geraten beispielsweise die hoch subventionierten Männerarbeitsplätze im Steinkohlebergbau ins Visier, wie Marianne Hürten zurückhaltend anmerkt.
Die Durchforstung von Haushalten im Rahmen einer Ausgabenanalyse kann nämlich kostenträchtige Merkwürdigkeiten zu Tage fördern. So berichten Initiatorinnen aus Münster, wo Anfang der 90er Jahre eine Gender-Budget-Initiative aktiv war, dass sie im Haushalt Posten fanden, die regelmäßig bedient wurden, an die sich aber keiner mehr erinnern konnte, wie etwa eine U-Boot-Patenschaft von 1952. Kleine Beträge, große Wirkung: Wenn eine kulturelle Einrichtung, die es gar nicht mehr gibt, immer noch per Haushaltstitel bedient wird, kann die Entdeckung von ein paar hunderttausend Euro vielleicht einen Frauennotruf retten. 1,9 Millionen Mark wurden in Münster durch die Gender-Analyse aus dem Stadthaushalt »herausgeholt«.
Wirkungsanalysen sind komplizierter, aber aussagekräftig: Wenn bei Untersuchung der Sportförderung herauskommt, dass hauptsächlich Fußballplätze in Stand gehalten werden, handelt es sich um Bevorzugung von Jungen. Die NRW-Grünen haben solches bei einem ersten Versuch, den Landeshaushalt 2002 geschlechtsdifferenziert zu bewerten, entdeckt. Dabei wurde nach den direkten Wirkungen des Landeshaushalts auf bestimmte Frauen, also nach der Geschlechterverteilung der Personalstellen, und nach den indirekten Wirkungen gesucht. Die Analyse der indirekten Wirkungen fragt einerseits nach dem Nutzen, den Frauen und Männer unter anderem von Zuwendungen und Zuschüssen des Landes haben, andererseits nach dem Schaden, den Männer und Frauen verursachen und der durch Landesausgaben verringert und verhindert werden muss. »Schaden« ist beispielsweise häusliche Gewalt, die fast zu 100 Prozent von Männern ausgeübt wird, deren Folgekosten aber Polizei, Frauenhäuser, soziale Einrichtungen tragen.
Die Analyse des NRW-Haushalts, die die Grünen durchgeführt haben, ist noch grob, klar aber wurde bereits: Etwa 55 Prozent der Ausgaben des Landes (überwiegend ohne Ausgaben für Personal) dienen Männern oder werden von diesen verursacht. Würde man die Gelder, die das Land auf Grund von Bundesgesetzen sowieso bezahlen muss, aus dem Haushalt herausrechnen, ergäbe sich eine noch stärkere Benachteiligung von Frauen. Bewertet man außerdem nur die reinen Fördermittel, bezieht die Ausgaben für Landeseinrichtungen und -verwaltungen also nicht mit ein, ist das Ungleichgewicht noch größer. Es stellt sich heraus, dass beispielsweise Wirtschaftsförderung zu 80 Prozent Männern zugute kommt, auch Verkehrsförderung (Frauen nutzen überwiegend den ÖPNV) ist männerdominiert, Frauen dagegen besuchen viel öfter Beratungsstellen. Programme zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sprechen ganz überwiegend Jungen und Männer an, auch die Kultur- und Forschungsförderung »dient durchweg mehr Männern als Frauen«, so die Analyse. Und wenn drei Viertel aller Sitzenbleiber in NRW Jungen sind und dies das Land 55 Milliarden Euro kostet, sind das Ausgaben, die einseitig dem männlichen Geschlecht zugute kommen. Die Frage stellt sich dann, ob man das Sitzenbleiben abschafft oder Jungenförderprogramme auflegt. Oder: Frauen sind diejenigen, die das Geld aus Unterhaltsvorschusskassen bekommen. Die Verursacher, die Schuldner aber sind zu über 80 Prozent männlich.

»In der Schweiz in durch Gender Budgeting belegt worden, dass Sparpolitik zu Lasten von Frauen geht«

Gender-Budget-Analysen müssen auch zu Kriterien kommen, wie die unbezahlte Arbeit von Frauen ökonomisch zu berechnen ist, denn Steuereinnahmen lassen sich in Zahlen ausdrücken, Reproduktions- und Pflegearbeit nicht. Es geht um mehr als Verteilungsgerechtigkeit. Marion Böker, die zu den Initiatorinnen für einen geschlechtergerechten Haushalt in Berlin gehört: »Es geht nicht nur um Quantität, es geht auch um Qualität, also um Nachhaltigkeit von Haushalten, und darum, wie sich welche Ausgaben auf welche Frauen und welche Männer auswirken, nach sozialem Status, nach Alter. Und es geht um die Effektivität von Ausgaben. Wenn an Krippenplätzen gespart wird, ist die Effektivität beispielsweise gleich null.«
Böker hat mit anderen Frauen, die sich in haushalts- und finanzpolitische Feinheiten eingearbeitet haben, die Erfahrung gemacht, dass Gender-Budget-Initiativen parteiübergreifend sein und von möglichst vielen Verbänden, Nicht-Regierungs-Organisationen, Institutionen, Netzwerken und Allianzen getragen werden müssen. Sie leben vor allem auch davon, dass Frauen selber ihre »ökonomische Alphabetisierung« vorantreiben. In Berlin werden jetzt in drei ausgewählten Bezirken Gender-Budgeting-Analysen zu den Posten Wirtschaftspolitik und -förderung, Verkehr und Bauen durchgeführt. Deutschland ist übrigens Schlusslicht in der internationalen Entwicklung: Schon 1984 haben australische Feministinnen die Geschlechtsneutralität öffentlicher Haushalte in Frage gestellt, in England arbeitet seit 1989 die »Womens’ Budget Group«, in der Schweiz ist durch Gender Budgeting belegt worden, dass Sparpolitik zu Lasten von Frauen geht.
Frauenförderung ist durch Gender Budgeting keinesfalls ausgeschlossen, sondern kann Impulse setzen, wenn die Analyse zeigt, dass auf einem bestimmten Feld Frauen besonders schlecht dastehen. Frankreichs Regierungshaushälter haben nach einer Gender-Budgeting-Analyse einen Fond für Existenzgründerinnen aufgelegt, der sehr erfolgreich ist. Auf den Philippinen hat der Gender-Ansatz dazu geführt, dass 19 Ministerien ihre Ausgaben neu eingeteilt haben: Die Gelder, die nachweislich Frauen zugute kommen, haben sich so seit 1994 verdreifacht. Die Kölner Ökonomin Elisabeth Stiefel berichtet von Beispielen, in denen die Ausgaben- und Wirkungsanalysen ergeben, dass staatliche Zuwendungen reichlicher bei Kindern ankommen, wenn sie den Frauen und nicht den Männern ausgezahlt werden – und dass die Regierungen entsprechende Konsequenzen gezogen haben.
In NRW soll nun nach dem Auftakt durch die Grünen und mit einem entsprechenden Antrag partei- und parlamentsübergreifend für einen geschlechtergerechten Haushalt in NRW geworben werden. Bis 2015, das haben die europäischen FinanzministerInnen beschlossen, sollen alle EU-Länder Gender Budgeting einführen.