Kabarettist und Schauspieler Serdar Somuncu, Foto: Manfred Wegener

»Der Zuschauer kann mich am Arsch lecken«

Wir haben mit dem Kölner Kabarettisten und Schauspieler Serdar Somuncu über Provokation, Integrations-preise sowie den Unterschied zwischen deutschem und türkischem Humor gesprochen

Serdar Somuncu macht Witze über alles und jeden. Über Schwule, Juden, Kinder oder gleich über schwule Judenkinder. Behinderte nicht zu vergessen, auch die wollen schließlich teilhaben. »Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung«, sagt Somuncu.

 

Überregional bekannt wurde der 44-Jährige mit Lesungen aus »Mein Kampf«, mit denen er in den 90er Jahren weit mehr als 1000-mal auftrat. In »national befreiten Zonen« in Ostdeutschland, in Schulen. Dafür erhielt er 2004 den Prix-Pantheon-Jurypreis »Frühreif & Verdorben«. 

 

Somuncu, der Tausendsassa, der Hans Dampf in allen Gassen. Er macht so viele Dinge, dass diese kaum in ein Leben zu passen scheinen: Neben seinen Bühnenshows hat er sehr, sehr viel Theater gemacht. Er hat Bücher geschrieben, und im vergangenen Jahr hat er sein erstes Musikalbum veröffentlicht. Im Fernsehen ist er regelmäßig bei ZDF Neo zu sehen, im Internet auf seiner eigenen Hate-Night-Seite. Man kann Stunden bis Tage damit verbringen, die vielen Bewegtbild-Spuren von Somuncu im Netz zu durchforsten. Eigentlich habe er alles erreicht, sagt Somuncu, künstlerisch sei er mit allem durch. Was fehlt, sei vielleicht nur noch die große Samstagabendshow. Beim ZDF, »dem Sender meiner Wahl«.

 

Ach ja, natürlich ist so ein Mann auch leidenschaftlicher Fußballfan. Er trägt auf der Rückseite seines Schals das Wappen seines Lieblingsvereins Borussia Mönchengladbach. Das will er später unbemerkt in die Sendung »TV Total« mit FC-Fan Stefan Raab schmuggeln. 

 

 

Serdar Somuncu, wenn man Texte über Sie liest, fällt verlässlich ein Begriff: Provokation. Welche Rolle spielt Provokation in ihrer Arbeit?

 

Für mich war nicht der ausschlaggebende Grund, auf die Bühne zu gehen, dass ich Leute provozieren will. Das hat sich so entwickelt, weil im Laufe der Jahre die Programme immer kontroverser wurden. Und eigentlich auch nicht die Programme, sondern eher die Reaktionen darauf. Die Leute haben gesagt: Oh, der macht ganz heikle Sachen, bestimmt, um uns zu ärgern. Eigentlich ist das ein Offenbarungseid. Wenn sich jemand von so etwas ärgern lässt, nimmt er das ja in Schutz. Meinen Umgang mit Hitler in Schutz zu nehmen, hieße dann auch, Hitler in Schutz zu nehmen. Da würde ich mir als Zuschauer eher Gedanken drüber machen, als über die Frage, ob man so was darf.

 

Das heißt, die Zuschauer verstehen Ihre Haltung und Ihr Ansinnen auf der Bühne schlichtweg falsch?

 

Der Zuschauer kann mich, salopp gesagt, am Arsch lecken. Ich bin ja kein Dienstleister. Fragen Sie mal einen Maler, ob er ein Bild malt, weil den Leuten das gefällt. Ich mache, was ich mache, die Leute kommen dahin, und im Optimalfall nehmen sie was mit. Die können auch sagen, das gefällt mir nicht. Ich versuche nicht, manipulativ zu sein. Letztlich sind meine Programme eine nach außen getragene innere Auseinandersetzung.

 

Häufig hat man allerdings den Eindruck, dass die Lacher an den falschen Stellen kommen, und dass Sie das geplant haben. Als Witze getarnte Fallen, bei denen das Lachen der Leute auch ihre Manipulierbarkeit zeigt.

 

Warum? Die Lacher kommen, wenn sie kommen. Da gibt es kein Falsch und kein Richtig.

 

Aber es gibt Stellen, an denen Leute lachen und dann merken, dass sie eigentlich an so einer Stelle von ihrem eigenen Moralanspruch her nicht lachen sollten, zum Beispiel bei Witzen über Juden.

 

Ich bin mit der Rezeption meiner Programme nicht ganz glücklich. Da wird vieles verfälscht, oder reduziert. Das war schon bei den »Mein Kampf«-Lesungen so. Da war dieses Märtyrerimage des mutigen Türken, der in den Osten fährt, für viele Menschen das einzig Interessante. Mir geht es aber nicht darum, dass die Leute sagen: Boah, ist der mutig, der provoziert die Nazis. Es geht um den Inhalt. Der besteht nicht nur aus Provokation. Der ist sehr geplant, und sehr ernst. Wie kann man sich als Mensch selbstbestimmen, in einer Welt, die immer mehr geprägt wird von virtuellen Medien? Wie subtil wird man beeinflusst, und sind das nicht eigentlich Diktaturen, von denen man sich bestimmen lässt? Das zu hinterfragen ist zum Beispiel ein zentrales Thema meiner Programme, verpackt in einen Kabarett-Comedy-Theater-Abend. Daher bin ich nicht glücklich, dass ich immer Fragen beantworten muss, die das Klischee der Vorstellung treffen, aber nicht den Kern.

 

 

Ein Problem für viele Menschen scheint zu sein, dass es schwerfällt, zwischen der Kunstfigur und dem Menschen Serdar Somuncu zu differenzieren. Gibt es da überhaupt einen Unterschied?

 

Klar gibt es Situationen, wo sich das mischt. Wenn ich auf der Bühne bin, und ein Zuschauer stört die Veranstaltung, kann es sein, dass ich in dem Moment privat zu ihm sage: Halt die Schnauze und geh’ nach Hause. Das ist ja auch das Spannende, dass man diese Ebene verwischt und nicht immer klar macht, was man wirklich meint und was die Kunstfigur meint. Anfangs habe ich in meinem Programm »Der Hassprediger« ganz bewusst fremde Texte eingebaut, zum Beispiel Teile aus »Mein Kampf« oder Schriften von Scientology. Irgendwann habe ich das gelassen, weil ich dachte: Viel cooler ist es doch, wenn du nicht die Texte auswendig sprichst, sondern verinnerlichst. Wenn du lernst, wie ein Scientology-Vertreter spricht, oder aus dem Kopf eines Nazis heraus redest,  ist das viel interessanter, weil die Zuschauer komplett auf ihr eigenes Urteilsvermögen zurückgeworfen sind. Das ist spannend, weil es eine Anleitung zum selbständigen Denken ist. Und das ist die Pflicht jeder Kunst, finde ich. Wichtig ist aber natürlich der Kontext. Bei einem Theaterabend ist die Erwartung anders, als wenn ich bei Anne Will sitze und sage: Ich mag keine Juden.

 

Gerade das wird Ihnen aber auch vorgeworfen. Der Blogger Stefan Niggemeier zum Beispiel bemängelt, dass Sie die Anführungszeichen oft nicht klar setzen, wenn Sie zum Beispiel homophobe Aussagen tätigen.

 

Es passiert oft, dass Leute sich aufregen, und ich denke auch fast jedes Mal darüber nach, ob das eine Berechtigung hat. Aber ich muss mich für meine Arbeit nicht rechtfertigen.

 

Sie bezeichnen sich selbst als Theatermensch. Am Anfang ihrer Karriere waren sie an den Schauspielhäusern in Bochum, München, Berlin oder Hamburg, und durften keinen deutschen Satz sagen, sondern wurden immer nur als Ausländer gecastet, für Exotenrollen. Ist das immer noch Alltag an deutschen Bühnen?

 

Das ist immer noch so, weil die Ausländer das mit sich machen lassen. Weil Kaya Yanar, Bülent Ceylan oder auch Schauspieler an den Schauspielhäusern lieber eine Rolle annehmen, in der sie radebrechend Deutsch sprechen, als arbeitslos zu sein. Es geht nicht nur um die, die engagieren, sondern auch die, die sich engagieren lassen.

 

Ist das verwerflich, was Bülent Ceylan und Kaya Yanar machen?

 

Jeder denkt an Kohle, wenn er arbeitet, sonst würde er nicht arbeiten. Die Frage ist, ob man sich missbrauchen lässt von Fernsehsendern, die dieses Bild bewusst transportieren, um Quote zu machen. Oder ob man das macht, weil es einem Freude macht, aus seinem eigenen Leben zu erzählen. Kaya Yanar erzählt ja keine erlogenen Geschichten. Der erzählt aus seinem Leben, das mag alles auch so gewesen sein. Nur: irgendwann gibt er die Verantwortung dafür ab, wie es inszeniert wird. Da hat er schon eine Verpflichtung sich selbst gegenüber, den materiellen Profit in Relation zum Schaden auf der inhaltlich-moralischen Ebene zu setzen. Ich glaube aber nicht, dass Bülent und Kaya sich wochenlang Gedanken machen über die Inhalte ihrer Programme. Ich glaube, die sind total happy, wenn RTL sie ausstrahlt und sie eine gute Quote haben und sie dabei möglichst viel von sich transportieren können.

 

 

Kaya Yanar hat sogar einen Preis für besondere Verdienste um die Völkerverständigung bekommen. Das finde ich schwierig. Denn seine und auch Bülent Ceylans Rechtfertigung für klischeehafte Darstellungen speist sich ja daraus, dass sie sich über sich selbst lustig machen. Aber inwiefern machen sie sich über sich selbst lustig? Sie sind Deutsche, hier aufgewachsen, Deutsch ist ihre Muttersprache, sie sprechen kaum oder kein Wort Türkisch. So gesehen sind es ja doch wieder die Anderen, über die sie sich lustig machen.

 

Man kann sich darüber unterhalten, ob das gerechtfertigt ist oder nicht, ich finde aber sinnvoller, zu schauen, wer die Integrationspreise vergibt, und warum. Dann löst sich das Rätsel schnell. Der Burda-Verlag zum Beispiel, der den Integrations-Bambi vergibt, ist ja nicht bekannt dafür, dass er Integration zum Schwerpunkt seiner Veröffentlichungen macht, der will einfach seine Auflage erhöhen, indem er sich ein weltoffenes Image gibt. Genauso ist es mit RTL. Ob es da wirklich um Integration geht, wage ich zu bezweifeln.

 

Einer der für mich klarsten Momente in Bezug auf Integration war im vergangenen Jahr, als ich in Istanbul war und festgestellt habe, dass ich mit Ach und Krach »Hallo« und »Danke« sagen kann.

 

Gerade, wenn man die Bundesrepublik Deutschland von außen betrachtet, ist das eines der augenscheinlichsten Mankos dieser 50 Jahre, in denen wir Türken und Deutsche jetzt zusammenleben. Es wurde immer sehr vehement von uns Türken gefordert: Lernt Deutsch! Auch heute glauben viele noch, dass die Türken kein Deutsch können, obwohl es nachweislich nicht so ist. Aber wenn Deutsche mal in die Türkei fahren, merken sie, dass sie kein einziges Wort Türkisch gelernt haben. Daran sieht man, wie einseitig, wie unsensibel und verfälscht das Thema besprochen wird. Da helfen auch Integrationspreise nicht weiter.

 

 

Sie sind vor einigen Jahren in der Türkei aufgetreten. In der ARTE-Reihe »Durch die Nacht« haben sie gesagt: »Der Humor in der Türkei ist fremd und gewöhnungsbedürftig«. Wie unterscheidet sich der türkische Humor vom deutschen?

 

Der türkische Humor ist sehr asiatisch. Wenn man sich mal japanische, chinesische oder thailändische Comedy-Sendungen anguckt, stellt man Ähnlichkeiten fest. Da reicht es schon, dass eine Kuh furzt, und die Leute kriegen sich nicht mehr ein. Es geht um simple Bilder, und Übertreibung. Der deutsche Humor ist sprachlastiger und doppeldeutiger. Das ist in der Türkei sehr schwer zu verstehen, denn Doppeldeutigkeit ist grundsätzlich heikel in der Türkei. Weil nicht nur die politischen oder religiösen Empfindungen schnell tangiert werden, sondern weil auch Ironie als Stilmittel der Sprache nicht sehr verbreitet ist.  In der Türkei kannst du mit bestimmten Sätzen wirklich tiefgreifende Differenzen oder Irritationen auslösen. Insofern ist es ja auch eine wertvolle Errungenschaft der deutschen Lachkultur, dass man ironisch sein kann, ohne dass gleich der nächste Feuilletonist schreibt: Der muss das in Anführungszeichen setzen, sonst könnten die Nazis das falsch verstehen. 

 

 

Sie beschreiben die deutsche Lachkultur fast schon als progressiv.

 

Ich würde nicht von progressiv sprechen. Sie ist anders. Man kann ja auch nicht jeden deutschen über einen Kamm scheren. Es gibt sehr schlechten Humor, zum Beispiel den Comedian, der sich auf die Bühne stellt und sagt: Ich muss euch was erzählen, ich war gestern bei Ikea. Das ist nicht deutscher Humor, das ist einfach nur oberflächlicher Müll. Aber es gibt auch deutschen Humor, der klug ist. Dabei muss man zwar ein bisschen mitdenken, aber am Ende darf man vielleicht sogar lachen.

 

Sie haben einen Song auf ihrer im vergangenen Jahr erschienen Platte, der »Comedy« heißt und eine Abrechung mit deutschem Humor ist. Was ist für Sie guter, intelligenter Humor aus Deutschland?

 

Ich kann nur sagen, was ich scheiße finde: fast alles. Ich war in den letzten zehn Jahren in keinem Programm, wo ich am Ende gesagt habe: Das hat mich komplett geflasht. Es gibt weniges, was ich gut finde. Oliver Polak zum Beispiel hat starke Momente in seinem Programm. Wenn er als Jude sagt: Pass auf, ihr verzeiht uns den Friedmann, und wir vergessen die Sache mit dem Holocaust, finde ich das witzig. Alles in allem aber finde ich 99 Prozent der Sachen langweilig und sacklos und dazu auch noch schlecht präsentiert. Ständig dieses Rückversichern. »Seid ihr gut drauf, kennt ihr dies und das?« Das ist Konsensklamauk auf Abifeierniveau. Gerade bei Künstlern, wo ich denke: Du bist jung, keiner kennt dich, du könntest dir so viel erlauben — warum erzählst du zum tausendsten Mal diese Geschichte über die Telekom? Warum stehst du auf der Bühne, wenn du nichts zu sagen hast? Sag doch einen Satz, der eine Spur in mir hinterlässt, anstatt Allgemeinplätze abzuarbeiten. Das führt uns wieder zu RTL. Humor wird ritualisiert: Eine Frau in rosa Flanellanzug kommt auf die Bühne, und man lacht. Warum? Weil sie fett, weil sie Ossi ist, weil sie berlinert und einen Kranz im Haar hat. Die Witze, über die eine Gesellschaft lacht, sind auch immer ein Einblick in ihre geistige Verfassung. In Deutschland wird zu oft über hohles Zeug gelacht, und die Künstler gehen zu wenig Risiken ein.

 

Kein Interview mit Ihnen kommt ohne mindestens eine Frage zu »Mein Kampf« aus. Diese Tradition wollen wir auch hier fortsetzen. Immerhin haben Sie den meisten Leuten, auch denen, die sich nun vehement an der Diskussion über die Freigabe von »Mein Kampf« 2015 beteiligen, etwas voraus: Sie haben das Buch gelesen, mehrmals. Können Sie immer noch Stellen auswendig?

 

 

Selbstverständlich, und zwar sehr viele. Ich könnte Ihnen jetzt drei Stunden lang daraus rezitieren. Aber ich bin Schauspieler, ich kann auch Shakespeare-Texte auswendig, das ist jetzt nicht so besonders. Aber Sie fragen halt: Können Sie »Mein Kampf« auswendig, und bekommen eine Gänsehaut, wenn ich ›Ja‹ sage. Bei Shakespeare kriegen Sie die leider nicht. Ich wünschte, es wäre andersherum. Shakespeare hat definitiv die besseren Texte.