Die Arroganz der Ignoranz

Ex-Intendant Meinhard Zanger inszeniert am Theater der Keller ein Kammerspiel über Sexismus

Es ist das Stück der Stunde. Eine Studentin fühlt sich von ihrem Professor sexuell belästigt. Ihr Verlangen nach Wiedergut­machung ruiniert die Karriere des Professors. Wer ist Täter, wer Opfer? Eine Frage, auf die »­Oleanna« keine Antwort bietet. Einfache Schuldzuweisungen sind die Sache von Autor David Mamet nicht. 1992 am Broadway urauf­geführt, ist Mamets Machtspiel, so der Untertitel, von erstaunlicher Aktualität.

 

Zu sehen gibt es das polarisierende Stück im finanziell angeschlagenen Theater der Keller — als »Solidaritätsgastspiel«. Inszeniert hat Ex-Hausherr Meinhard Zanger, der seit 2006 das Wolfgang ­Borchert Theater in Münster leitet. Dort feierte »Oleanna« im Januar Premiere. Aber das Zwei-Personen-Stück passt auch hervorragend in das Theater der Keller, zumal es ein Wiedersehen mit Kölner Schauspielern ermöglicht — an der Keller-Schauspielschule ausgebildet die Eine, langjähriger Publikumsliebling der Andere: Nagmeh Alaei  und Bernd Reheuser stehen sich hier in dem Duell einer jungen Studentin mit einem doppelt so alten Professor gegenüber. Jedenfalls garantiert die Besetzung, das in der Packung das drin ist, was drauf steht: Literarisches Sprechtheater auf hohem Niveau.

 

Und Sprache ist es, die im Zentrum der Auseinandersetzung von Carol und John steht. Es geht um Deutungshoheit: Welches Wort ist in einer Situation angemessen oder gar richtig? Wer hat das erste Wort, wer das letzte? Reheuser und Alaei liefern sich als John und Carol eine sorgfältig choreografierte Redeschlacht: Sie fallen einander ins Wort, hören nicht zu, missverstehen sich. Sätze bleiben unvollendet. Der arrogante, überhebliche und unterschwellig aggressive Professor, der in Jeans und Sakko Jugendlichkeit ausstrahlen und die ehrgeizige, naive Studentin, die alles richtig machen will, verstehen sich nicht.

 

Wenn sie in Johns Büro aufeinander treffen, verschwimmen Grenzen des korrekten Umgangs. Darf ein Prof einer Studentin die Hände auf die Schultern legen? Darf eine Studentin einen Familienvater in den finanziellen und beruflichen Ruin treiben? Carols Wandlung zur selbstbewussten Aktivistin, von Nagmeh Alaei eindrucksvoll und doch subtil deutlich gemacht, offenbart auch das Dilemma einer ganzen Generation junger Frauen: Wie dem Sexismus Grenzen setzen, ohne selbst Macht zu missbrauchen?