Wir sind die Institution!

Während immer mehr Menschen beklagen, dass die Differenz zwischen Arbeit und Freizeit schwindet, wird von Künstlern immer noch die Identität von öffentlicher und privater Person als Zeichen von Authentizität erwartet. Die 1965 geborene amerikanische Künstlerin Andrea Fraser entwickelt ihr Werk aus diesem und anderen Widersprüchen der Künstlerexistenz.
So verkörperte sie in ihrer frühen Performance »May I Help You?« (1991) eine Galeriemitarbeiterin, die Besucher in ein Gespräch verwickelt. Fasziniert folgte man ihren Interpretationen (»Dies ist ein sehr gewagtes Werk!«) und Bekennt­nissen (»Wo ich aufgewachsen bin, gab es keine Kunst.«) — um am Ende festzustellen, dass es sich dabei um eine Collage handelt: Zitate aus Interviews mit Künstlern, Sammlern und Galeristen oder Pierre Bourdieus soziologischem Klassiker »Die feinen Unterschiede«.

 

Seit den 90er Jahren gehört Fraser zu den Vertreterinnen einer als Institutionskritik bekannt gewordnen  Kunstpraxis. Kontrovers wurde die Debatte über ihre Arbeit, als sie Baudelaires Gleichsetzung von Kunst und Prostitution wörtlich nahm: Gegen Honorar dokumentierte sie in dem Video »Untitled« (2003) ihre sexuelle Begegnung mit einem Sammler. Hier wurde nicht nur die Schaulust des Publikums gespiegelt. Auch die alten Fragen nach Verdinglichung und Kommerzialisierung des Kunsthandels standen neu im Raum — in einer Zeit, in der Finanzkrise und Kunstmarktboom Hand in Hand gehen.

 

Dabei verortet Fraser ihre Kritik nicht in einem imaginären Außen: »Es geht darum, welche Art von Institution wir sind, welche Werte wir institutionalisieren, welche Praktiken wir belohnen, welche Belohnungen wir anstreben«, schrieb sie 2005. »Die Institutionskritik verlangt, dass wir diese Fragen vor allem an uns selbst richten, weil die Institution Kunst von Individuen verinnerlicht, verkörpert und aufgeführt wird.« Frasers Werkschau anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises wird gute Gelegenheiten bieten, sich mit der intellektuellen und psychologischen Doppelbödigkeit ihrer Inszenierungen — live oder in filmischen Dokumentationen — zu konfrontieren.