Koran im Klassenzimmer

NRW weitet den Modellversuch des

deutschsprachigen Islamunterrichts aus

Welche Getränke enthalten Alkohol?« »Red Bull«, platzt Kadir heraus. »Und Kölsch«, ergänzt sein Sitznachbar Çagatay. »Ist Alkohol für Muslime erlaubt oder nicht?« fragt Frau Can die Schüler der fünften Klasse weiter. Alle 13 Kinder, die selbst Muslime sind, rufen: »Nicht erlaubt!« Die Hauptschule Reutlingerstraße ist eine von zwei Kölner Schulen, an denen derzeit das Fach »Islamische Unterweisung in deutscher Sprache« neu eingeführt wird. »Der Unterricht muss dem Alter entsprechen«, sagt Medina Can, deren zweites Fach Türkisch ist. Die fünfte Klasse lernt die Grundelemente des Islam kennen.
Islamische Unterweisung ist keineswegs eine der hysterischen Blüten, die der 11. September hervorgebracht hat, sondern wird in den Schulen Nordrhein-Westfalens bereits seit 1986 angeboten. Die islamische Unterweisung war zunächst nur Teil des arabischen, türkischen und bosnischen Mutterspracheunterrichtes. Seit 1999 läuft sie im Rahmen eines landesweiten Modellversuchs erstmals auf Deutsch. Dies treffe in Köln auf einen »Riesenbedarf mit steigender Tendenz«, wie Harald Grieser vom Schulamt feststellt. Derzeit wird der Modellversuch landesweit von 25 auf 55 Schulen ausgeweitet, von denen zwölf in Köln liegen.
Ziel des Modellunterrichts ist die Integration muslimischer Schüler, deren Sprachkompetenz im Deutschen so deutlich gefördert werde. Im Gegensatz zum christlichen Religionsunterricht ist er rein informativ und muss auf eine Verkündung des Glaubens verzichten. Dass mit der Ausweitung des Unterrichts den Koranschulen das Monopol genommen wird, junge Muslime zu unterrichten, ist aufgrund der bestehenden Vorbehalte sicher keine unerwünschte Wirkung.
Die »Islamische Unterweisung in deutscher Sprache« wird von der ersten bis zur zehnten Klasse in allen Schulformen angeboten. Schwerpunkt sind jedoch die Hauptschulen, bei denen in Köln rund 25 Prozent der SchülerInnen Muslime sind. Die Reaktion der Eltern fielen bisher positiv aus: »In einigen Modellschulen fragen die Eltern sogar ganz ungeduldig nach, wann der angekündigte Unterricht endlich losgeht«, sagt Helmut Bürvenich vom Regierungspräsidium Köln.
Ziel ist es, den Modellversuch in ein reguläres Schulfach zu überführen, das dem christlichen Religionsunterricht gleichgestellt wäre. Dies liegt jedoch in weiter Ferne. Der Islam ist eine vielgestaltige Religion, die sich in unterschiedliche Rechtsschulen teilt. Bisher gibt es in Deutschland keine Dachorganisation, die den Islam so vertritt wie die Kirchen das Christentum. Die Vielzahl muslimischer Interessensverbände wirkt auf HaraldGrieser zuweilen wie ein »Flickenteppich von Zuständigkeiten«.
Zuletzt hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 2. November 2001 bestätigt, dass die beiden größten Dachverbände, der »Zentralrat der Muslime« und der »Islamrat«, keine repräsentative »Religionsgemeinschaft« darstellen. Für den Fortgang des Modellversuchs ist diese Rechtslage entscheidend: Das Grundgesetz fordert für die Einrichtung eines regulären Religionsunterrichts eine Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner. Da der fehlt, kann bis auf weiteres kein islamischer Religionsunterricht an Schulen eingeführt werden.
An einem »Runden Tisch« sollten auf Initiative des NRW-Bildungs-Ministeriums eigentlich die »islamischen Organisationen zunächst gemeinsame Erwartungen an einen Lehrplan« formulieren. Dies kam bisher nicht zustande, da einzelne muslimische Organisationen ein solches Treffen stets abgelehnt hätten. Daher empört sich Ali Kizilkaya vom »Islamrat«, der an einem »Runden Tisch« gern teilgenommen hätte: »Es ist eine Anmaßung, dass wir nicht in die Gestaltung des Lehrmaterials einbezogen sind.« Klaus Gebauer vom Landesinstitut für Schule in Soest, das Richtlinien und Lehrpläne in NRW erstellt, resümiert hingegen: »Auch die Gestaltung des christlichen Religionsunterrichts ist Aufgabe des Staates, nicht der Kirchen.« Dass die muslimischen Verbände zumindest eine Billigung aussprechen, ist vom Land jedoch ausdrücklich erwünscht.
Dennoch verdoppelt das Ministerium nun die Anzahl der Schulen, die an dem Modellversuch teilnehmen. Ab dem 1. Februar 2003 erarbeitet das Landesinstitut für Schule erstmals ein landesweit einheitliches Lehrmaterial. Und während bislang die LehrerInnen, die den muttersprachlichen Unterricht anbieten, die »Islamische Unterweisung in deutscher Sprache« übernommen haben, werden ab dem 1. Februar 2003 zusätzlich Islamwissenschaftler eingestellt. Doch auch dies ist nur eine Zwischenlösung. An der Universität Münster wird das Centrum für Religiöse Studien aufgebaut, in dem ab 2010 die ersten ausgebildeten IslamkundelehrerInnen ihr Examen absolvieren sollen.
Während die weitere Formierung der muslimischen Organisationen vorraussichtlich noch einige Zeit braucht, beginnt man parallel den zeitintensiven Ausbau des Unterrichtsfachs und hofft, dass beide Entwicklungen aufeinander zuwachsen.