Spacecut

Rückblick auf die einstige Filmkunst-Metropole Köln, an die heute wenig erinnert

Als Kirk Douglas 1955 im Film »Lust for Life« den Maler Van Gogh spielte, nahm er sich den Part so zu Herzen, dass er sich von seiner Gage einen echten Van Gogh kaufte. Das konnte man sich damals noch leisten; sein Haus glich später einem Impressionistenmuseum. Seit seinen Anfängen hat sich das Kino eine Tür zur Kunst offen gehalten. Schon die Brüder Lumière verfilmten Leonardos Abendmahl. Und in den 20er Jahren begründete der Kulturfilmer Hans Cürliss, später oberster Filmarchivar des Dritten Reichs, den Künstlerfilm: Kandinsky gehörte zu den ersten Malern, deren Schaffensprozess er mit der Kamera dokumentierte. Um die selbe Zeit vollzog sich der mediale Austausch in umgekehrter Richtung: Am Bauhaus betrieb Moholy-Nagy filmische Experimente; Man Ray und Duchamp nahmen die Kamera selbst in die Hand. Die Konjunkturen des Kinos in der bildenden Kunst blieben indes zeitlich begrenzte Erscheinungen. Fernand Léger, Max Ernst und Pablo Picasso schenkten dem Film nur vorrübergehend ihre Gunst; die Dominanz der etablierten Kunstformen blieb bis in die 60er Jahre unangetastet. Andy Warhol war schließlich der erste Maler, der für Jahre ganz zum Film überwechselte.

Seit ein paar Jahren ist es wieder einmal so weit: Während auf der vor kurzem beendeten Documenta 11 nur ein halbes Dutzend Maler ausgestellt waren, waren jene Künstler, die Technik und Mythologie des Kinos adaptierten, nirgends zu übersehen: Shirin Neshats Schleier-Choreografien, Stan Douglas’ Geisterbilder Grimm’scher Märchen, William Kentridges animiertes Schattentheater, die fleißig ratternden Super-8-Projektoren in Dieter Roths Heimkino oder Steve McQueens videografischer Rohdiamant über südafrikanische Grubenarbeit: Film ist Trumpf in jeder wichtigen Übersichtsausstellung.

Da ist es nicht überraschend, wenn sich die SK-Stiftung Kultur jetzt in einer sogenannten KunstFilmBiennale engagiert. Außer Pierre Huyghes relativ aktueller Arbeit »The Third Memory« allerdings treten die ausgewählten Filme nicht in Konkurrenz zum Ausstellungsbetrieb. In verschiedenen Retrospektiven lässt sich vielmehr vor allem die Entwicklung des Mediums Film in der bildenden Kunst seit den 60er Jahren verfolgen. »Künstlerfilme« – also Filme von bildenden Künstlern – und Dokumentarfilme über Kunst sind zu sehen. Diese Beschränkung auf die traditionellen Formen des Kunstfilms mag man bedauern; angesichts der gegenwärtigen Flut filmbezogener Kunstausstellungen aber ist die Auswahl durchaus eine Alternative. Daneben stehen populäre Spielfilme wie Alan Rudolphs Surrealismus-Satire »Investigating Sex« oder M. Andreacchios kurioser Gauguin-Film mit Thomas Heinze »Paradise Found« für das, was man früher volkstümlich mit »Kunstfilm« assoziierte – und damit für die Beständigkeit des Kinotraums, Milieus und Materialien von Kunstgeschichte gleichsam lebendig und fiktionalisiert vor sich zu sehen. Zuletzt konnte man dies in »Pollock« erleben: Bilder fast zum Hineinsteigen, wie es Martin Scorsese in der Rolle Van Goghs buchstäblich in Kurosawas Film »Träume« vollführte.

Gerade in Köln hat die Verbindung von Kunst und Film eine besondere Geschichte, an die Initiator und Kurator Heinz Peter Schwerfel bewusst anknüpfen möchte. Schon 1970 gehörte Harald Szeeman, der zuletzt auf dem Filmfestival von Locarno und Venedigs Kunstbiennale filmbezogene Kunstausstellungen kuratierte, zu den Initiatoren der legendären Ausstellung »Happening und Fluxus« im Kölnischen Kunstverein. Der (16mm-)Film war damals nicht nur das bevorzugte Dokumentationsmedium für Kunstaktionen. Der Wiener Aktionist Kurt Kren hatte in den frühen 60er Jahren demonstriert, wie eine im Stakkatoschnitt flackernde Leinwand den Eindruck der gefilmten Performance deutlich steigern kann. Angeregt vom New Yorker Undergroundfilm und dem in den Realraum erweiterten »Expanded Cinema«, nutzte vor allem die deutsche Pop- und Fluxusszene das Kino als Ausdrucksform – und Köln war ein Zentrum. Ebenfalls 1971 publizierte die lange in Köln tätige Filmkünstlerin Birgit Hein ihr Buch »Film im Underground«. Gemeinsam mit Wilhelm Hein hatte sie seit 1967 Experimentalfilme gedreht, die vorgefundenes und neues Material zu »Strukturellen Studien« – so der Titel eines ihrer Filme – komponierten.

Birgit und Wilhelm Hein waren die prominentesten der »X-Screen«-Künstler. Der Rohbau der Tiefgarage am Neumarkt war 1968 die Kulisse für das spektakulärste der Filmhappenings dieser Kölner Bewegung – Film im Untergrund eben. Andy Warhols »Chelsea Girls« – auf der KunstFilmBiennale noch einmal als Doppelprojektion zu erleben – wurde bei seiner Kölner Aufführung im längst geschlossenen Lux am Dom zu einem Massenspektakel. Später kam auch Jack Smith, Warhols Antipode im schwulen New Yorker Underground, an den Rhein.

In den späten 60er und frühen 70er Jahren wurden die Gesetze des Kinos von Künstlern ein zweites Mal vermessen. Valie Export (heute Professorin an der Kölner Kunsthochschule für Medien) und Peter Weibel wandten sich mit ihren Filmaktionen an das »emanzipierte Publikum« auf der Straße. Wie wichtig das Thema Film für die Kunst damals war, schlug sich auch 1972 und 1977 auf den Documentas nieder, bei denen nicht nur die Heins vertreten waren. Das hatte nicht wenig mit dem Rheinland zu tun. Der Oberhausener Werner Nekes, dessen weltberühmte Sammlung von Kinomaschinen gegenwärtig im Museum Ludwig ausgestellt ist, gehörte seinerzeit zu den führenden Experimentalfilmern, die es zu Documenta-Ehren brachten: Sein Hauptwerk »Spacecut« erweiterte die Sinne der Zuschauer durch die in zigtausend Einzelbilder zerlegte Drehung der Kamera um alle möglichen Achsen.

Wenn Köln zeitweilig zu einem intellektuellen Zentrum des Avantgardefilms wurde, verdankte sich dies der Pionierleistung Wulf Herzogenraths, der als Direktor des Kölnischen Kunstvereins 1977 – gemeinsam mit Birgit Hein – die bedeutendste Übersichtsausstellung über den Film im Kunstkontext organisierte, die es bis dahin gegeben hatte: »Film als Film«. In den 80er Jahren widmete sich Herzogenrath mit gleicher Akribie der Videokunst und sogar dem Popvideo, das er – mehr als zehn Jahre vor dem ersten Clip in Oberhausen – im Kunstzusammenhang rezipierte. Wenn Köln in dieser Zeit ein Zentrum der Filmkunst war, so lag dies freilich auch an einer reichen Kinolandschaft, die den notwendigen filmhistorischen Kontext dafür bereit stellte: Drei Repertoirekinos, Lupe 1, Lupe 2, Savoy, die Cinemathek, später auch das Uni-Center konnten auf ein allgemeines Interesse an der Filmgeschichte bauen, das heute nicht mehr existiert. Im Kölner Stadt-Anzeiger bespielte Filmredakteur Hans-Christoph Blumenberg dazu zwei wöchentliche Filmseiten, die sich ausführlich filmgeschichtlichen Entdeckungen und dem Avantgardefilm widmeten.

Trotz der privaten Initiative des Filmclub 813, dessen von subjektiver Entdeckungsfreude geprägten Programme stets auch Experimentalfilmklassiker von Fischinger bis Matthias Müller umfassten, ist diese Ära heute vorbei. Dies hat gewiss auch mit einem geringeren allgemeinen Interesse am Film als Kunstform zu tun, das sich unmittelbar an den Besucherzahlen der noch immer existierenden Lupe 2 ablesen lässt. Mit dem Verlust der funktionierenden Institutionen Broadway und Cinemathek wurde diese Entwicklung allerdings in tragischer Weise beschleunigt.

Es ist von trauriger Ironie, dass gerade das erste wirkliche Großereignis der Filmkunst in Köln seit Jahrzehnten all diese Versäumnisse noch einmal sichtbar gemacht hat. Kein Ort steht so sehr für die tragische Beziehung dieser Stadt zur Filmkunst wie das Museum Ludwig. Matthew Barney führte uns in seiner Cremaster-Schau auf leisen Sohlen über den blauen Astroturf-Fußboden von seinen Filmen in die dazu gehörigen Installationen. Für einen angegammelten Funktionsbau wie den Museumskomplex war dies mehr als er sich je erträumen konnte. Es ist die einzigartige Verbindung von Kinosaal, Museum und Konzertsaal, die diesem Haus seinen wohl größten Auftritt beschert hatte. Aber es ist auch eben diese Besonderheit, das eingebaute Kino, das Köln um eine seiner wenigen echten cineastischen Attraktionen gebracht hat – die Cinemathek.

Der Vertrag mit dem Betreiberverein war noch nicht abgelaufen, als Direktor Kaspar König in einem symbolträchtigen Akt die Metallbuchstaben über dem Eingang abschrauben ließ. Gewiss, die Geschäfts- und Programmpolitik des Betreibervereins war umstritten. Aber wenigstens war es ein Ort, an dem man zumindest die Klassiker Hollywoods in beständiger Regelmäßigkeit studieren konnte. Außer in Köln gab es nur zwei Orte auf der Welt, an denen sich die Pop Art in der Nähe ihrer flimmernden Ahnen studieren ließ – das New Yorker MOMA und das Pariser Centre Pompidou. Die amerikanische Mythenschmiede aber ist die unverzichtbare Referenzebene so vieler Künstler zwischen Edward Hopper, Andy Warhol, Ed Ruscha, Cindy Shermen oder Douglas Gorden. Die wichtigste originäre Kunstform des 20. Jahrhunderts darf in einem der führenden Museen der Moderne nicht fehlen. Hätte es nicht die Jahrzente lange Tradition eines funktionierenden filmhistorischen Kinobetriebs in den Mauern des alten Museumsgebäudes (des heutigen Museums für Angewandte Kunst) gegeben, Kaspar König verfügte gar nicht über diesen Kinosaal.
Im selben Maße, in dem die bildende Kunst derzeit von Kinomythen zehrt, verschwindet die Filmgeschichte aus dem Bewusstsein. In jeder anderen größeren deutschen Stadt und vielen Oasen in der Provinz gibt es kommunale Kinos und Filmmuseen, die sie lebendig halten. Nur die angebliche Filmstadt Köln besitzt nichts dergleichen. Gäbe es nicht den chronisch von Heimatlosigkeit bedrohten Filmclub 813, das unermüdliche Japanische Kulturinstitut, man könnte nicht einmal ab und zu in Köln einen alten Film sehen. Wer diese Stadt in ihrem jetzigen beklagenswerten Zustand noch einmal eine Filmstadt nennt, macht sich lächerlich.

Schon in vier Jahren wird eine ganze Studentengeneration in Unkenntnis der Filmgeschichte aufgewachsen sein. Ironischerweise ist die Ignoranz durchaus wechselseitig: Das Kölner Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft ist, anders als etwa die Institute in Frankfurt, Berlin und München, stets der Auffassung gewesen, Videokassetten reichten zum Studium aus. Dabei sind ganze Gattungen wie der Stummfilm, der Western, das Musical oder der Heimatfilm auf den Kinosaal und die große Leinwand angewiesen. Man kann nur begrüßen, dass die SK-Stiftung mit ihrem Festival nun an Kölns Kunstfilm-Vergangenheit erinnert. Dass es einmal eine bedeutende Stadt der Filmkultur gewesen ist, gehört heute zum nostalgischen Erinnerungsschatz der Übervierzigjährigen.