Foto: Manfred Wegener

Der Preis, den man zu zahlen hat

Mit steigenden Temperaturen wird auch die Diskussion um den Brüsseler Platz wieder hitziger. Dabei könnte der Konflikt nur ein Muster kommender Streitigkeiten sein

Nein, Detlev Wiener glaubt nicht daran, dass das nun laufende güterichterliche Verfahren zu einer Lösung des Konflikts um den Brüsseler Platz führen wird: »Ich sehe keine langfristige tragende Lösung in diesem Konflikt. Auch im vergangenen Jahr mit seinem kalten Sommer gab es 50 Nächte, in denen es noch nach Mitternacht zu laut für die Anwohner war, weil hunderte Menschen auf dem Brüsseler Platz gefeiert haben. Das wird man nur durch massive Polizeieinsätze eindämmen können, und das will zum Glück kaum jemand. Ich glaube, dass der immer wieder auftretende Lärm ganz einfach der Preis ist, den man zahlen muss, wenn man am Brüsseler Platz wohnt.«

 

Was Wiener da formuliert, ist nicht weniger als das Eingeständnis, dass die eigenen Vorschläge nichts gebracht haben. Detlev Wiener ist der Moderator, der in Zusammenarbeit mit Hausbesitzern, Anwohnern, Kneipenwirten, Kirchengemeinde und Platz-Besuchern vor drei Jahren nach mehrmonatigem Moderationsprozess ein Abschlusspapier vorgelegt hat, das unterschiedlichste Empfehlungen aussprach: Polizeibeamte und Ordnungskräfte sollten die Besucher ab 23 Uhr sanft drängen, den Platz zu verlassen, der Kiosk gegenüber nicht die ganze Nacht hindurch Alkohol verkaufen dürfen, zudem sollten Tafeln auf mögliche Bußgelder wegen Ruhestörung hinweisen.

 

Wiener glaubt mittlerweile nicht mehr, dass diese Maßnahmen viel bringen: »Es kommen verschiedenen Entwicklungen zusammen. Noch immer hält der Trend an, dass Menschen gerne draußen feiern. Das wird in den kommenden Jahren eher noch zunehmen.« Der Brüsseler Platz wird perspektivisch vielmehr einer unter vielen sein, das Problem wird sich ausbreiten, da ist sich Wiener sicher. Auch wegen des verschärften Rauchverbots in Nord--rhein-Westfalen. Seit dem 1.Mai darf in Gaststätten nicht mehr geraucht werden, auch die so genannten Raucherclubs sind seither Geschichte. »Das Rauchverbot wird dazu beitragen, dass sich das Problem auch an anderen Orten noch zuspitzen wird«, glaubt Wiener.

 

Wiener sieht für den Brüsseler Platz nur noch eine technische Lösung: einen besseren Lärmschutz durch bauliche Maßnahmen. -Thomas Tewes, der Hauptgeschäftsführer des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins, will zunächst die Schlichtung abwarten. Dass sie viel bringt, glaubt allerdings auch er nicht: »Der Richter spricht von einer Einigungsschlichtung, aber wer soll sich da mit wem einigen? Die Seite der Hausbesitzer kann man ja leicht fassen, aber nicht die der Besucher. Das sind die unterschiedlichsten Menschen, das wechselt auch, da gibt es ja keine Organisation.« Nach der Schlichtung müsse der Richter vor allem Rechtssicherheit schaffen: »Es muss festgestellt werden, wer -welche Rechte hat — die Hausbesitzer und die Anwohner haben ebenso Rechte wie diejenigen, die auf dem Platz feiern wollen. Ich hoffe auf klare Regeln.«

 

Tewes ist keiner jener Fanatiker, die einen Brüsseler Platz mit Friedhofsruhe wollen. Er kann mit dem Ergebnis von Wieners Schlichtung leben: »Köln ist eine Großstadt, da muss man auch akzeptieren, dass nicht um Punkt zehn Ruhe ist, auch wenn es schwer fällt. Aber dass es noch deutlich nach 24 Uhr laut ist, das muss kein Anwohner akzeptieren.« 

 

Er sei ein freiheitsliebender Mensch, aber die Freiheit des Einzelnen höre nun einmal da auf, wo in die Freiheit des anderen eingegriffen werde. Das Belgische Viertel sei nun mal kein Kneipenviertel wie die Düsseldorfer Altstadt: »Wer da lebt, weiß seit Jahrzehnten, worauf er sich einlässt. Aber das ist im Belgischen Viertel anders. Im Vergleich zur Düsseldorfer Altstadt sind ja nicht viele Kneipen am Brüsseler Platz.« Und die, die es gebe, seien auch nicht das Problem. Mit den Gastronomen könne man ja reden, da gebe es feste Ansprechpartner. Auch Maßnahmen wie Alkoholverbote schätzt Tewes nicht. Eine Polizeihundertschaft, die nachts den Brüsseler Platz räumt, will er ebenso wenig. Aber eine Bewirtschaftung des Platzes kann er sich vorstellen, auch eine temporäre Umzäunung. 

 

Es wären Veränderungen mit weitreichenden Konsequenzen: Öffentlicher Raum würde verschwinden, er würde privatisiert werden, wenn Verzehr nur noch in den Biergärten des Platzes möglich wäre — und dort weitere Biergärten hinkämen, wo heute noch Bänke stehen. Beispiele dafür gibt es zuhauf: Im Bochumer Bermudadreieck, einem der größten Kneipenviertel in Nordrhein-Westfalen, gibt es schon lange keine Bänke und Blumenkästen mehr. Sie wurden alle abgebaut. Wer sich heute dort hinsetzen will, auf den warten tausende von Stühlen — und Kellner.

 

Mit der Tendenz zur Privatisierung des öffentlichen Raums und dem Ende der Toleranz gegenüber allem, was der Einzelne als Störung empfindet, treffen zwei mächtige Strömungen zusammen. Sie werden dazu führen, dass viele Freiräume, die in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen wurden, vernichtet werden. Schon hat Ordnungsamtsleiter Robert Kilp in der Kölnischen Rundschau angekündigt, hart gegen Kneipen ohne Konzession für Außengastronomie vorzugehen, die zulassen, dass ihre Gäste mit einem Bierglas vor der Tür stehen. Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) hat klar gemacht, gegen Lärm vor Kneipen durchgreifen zu wollen. Und die Stadt Köln bietet auf ihrer Internetseite das Beschwerdeformular »Rauchen in Gaststädten« an, mit dem man Kneipen, die sich nicht strikt an Rauchverbot halten, ganz praktisch online melden kann. Denunzieren leicht gemacht.

 

In ein paar Jahren könnte es in Köln gesitteter, ruhiger und sauberer zugehen. Die Menschen werden weniger Alkohol trinken und seltener rauchen. Wer sich ungesund ernährt oder zu dick ist, wird sich rechtfertigen müssen in der heranbrechenden Ära des Neopuritanismus. So gesehen ist der Konflikt um den Brüsseler Platz auch ein symbolischer, der auf eine Frage hinauslaufen könnte: Bleibt Köln rheinisch und wird auch in Zukunft die rheinische Toleranz nach dem Motto »Jede Jeck es aners« gelten, oder wird die von Max Weber so trefflich beschriebene »rationale Lebensführung« die Stadt endgültig erobern?