»Osama, komm doch wieder!«

Der erste Kinofilm über den Elften September ist überraschend geglückt

Dachten wir uns doch gleich, dass diese Bilder auf eine Kinoleinwand gehören. Erstaunlich genug, dass die brennenden Türme überhaupt je aus der Endlosschleife unserer medialen Gegenwart verschwinden wollten. Aber sie taten es. Noch bis zu den Jahresrückblicken zu Silvester hatte es keinen Fernsehtag ohne wenigstens ein Bild der Towers gegeben, und dann sah man sie plötzlich, bis zu ihrer sicheren Wiederkehr zum Jahrestag, nur noch ab und an.

Zurück zur Leinwand
Auch wenn es zwischen den elf Filmemachern, die für den Film »11’09’’01« jeweils eine Episode beisteuerten, keine Absprachen gab, war man sich einig, von den Fernsehbildern möglichst die Finger zu lassen. Hin und wieder läuft in einer Ecke ein Fernsehapparat. Dann aber, in der siebten der elf, jeweils genau auf elf Minuten und neun Sekunden plus ein Bild getimeten Folgen (Mira Nair: »Dieses Zeitlimit ist doch französische Konzeptualistenscheiße«), ist die Katze aus dem Sack. Die Leinwand ist voller September. Als hätten die Bilder nur darauf gewartet, endlich an ihren ikonografischen Ursprungsort zurückzukehren und eine Kinoleinwand zu füllen
Alejandro González Iñárritu, der Regisseur von »Amores Perros«, war es so vorsichtig angegangen. Wie ein strenger abstrakter Avantgardefilmer hatte er erst minutenlang Schwarzfilm gezeigt, unterlegt mit Gebetsgemurmel verschiedener Provenienz. Dann plötzlich, blitzartig aufscheinend, jene Todessprünge, die sich schon als Pressefotos ob ihrer grafischen Anmutung von ästhetischer Tücke erwiesen hatten. Dann wieder Dunkelheit. Nun, erstmals aus dem Lärm der Nachrichtenspots befreit, die telefonischen Ab-schiedsgrüße aus dem Flugzeug von Philadelphia. Wieder Dunkelheit. Dann ein Crescendo und doch noch, leinwandgroß und in banaler Deutlichkeit, das bekannte Flammeninferno. Kann man es dem sonst so geschmackssicheren Filmemacher verdenken, der seine Tonfragmente teuer hatte einkaufen müssen und das Kronos Quartett anstellte, um sie musikalisch zu arrangieren? Diese Bilder drängten einfach auf die Leinwand zurück, von der sie gekommen waren.

Nur zwei Ausfälle
Das Überraschendste an diesem Episodenfilm: Kein Beitrag ist dabei, der in leerem Pathos schwelgte, keiner, der sich noch einmal in Beileidsbekundungen erginge. Kennt man die Schwächen der meisten Kurzfilmanthologien mit weniger heiklen Themen, dann sind zwei Ausfälle – von Ägyptens Altmeister Youssef Chahine und Israels Festival-Regisseur Amos Gitai – gut zu verschmerzen. Dass Claude Lelouch, der Stimmungs-Ästhet unter den französischen Filmemachern der 60er Jahre, auch hier seinem Romantizismus treu bleiben würde, sollte man ihm hingegen nicht verdenken. Eine Gehörlose ist in dieser kleinen Beziehungsgeschichte wütend auf ihren Freund, der Touristenführungen in Zeichensprache veranstaltet. Während er zum World Trade Center aufgebrochen ist, plant sie, ihn zu verlassen – bis ihr Blick aus Versehen auf den Fernseher trifft. Das klingt arg konstruiert, eröffnet »11’09’’01» aber in einer poetischen Mischung aus Würde und Spielerei.

Komödie zur Katastrophe
Eine Liebesgeschichte durften wir erwarten. Aber wer hätte gedacht, dass es auch eine Komödie zum Septemberthema geben kann? Idrissa Ouedraogo aus Burkina Faso ist dieses Kunststück im schönsten Stück des Programms gelungen. Ein paar Straßenjungs in seiner afrikanischen Heimat glauben, in einem Touristen Osama bin Laden erkannt zu haben. Mit einer geklauten Videokamera lauern sie ihm auf, dann mit Speeren und Spielzeugpistolen: Unvorstellbar, was sie mit den 25 Millionen Dollar Kopfgeld anstellen könnten, zumal die Oma dringend Medikamente braucht. Schon das Umrechnen in Franc übersteigt ihre Vorstellungskraft. Doch der Bartträger mit Turban entwischt. »Osama, komm doch bitte wieder!«, rufen sie enttäuscht, bis ihnen einfällt, dass dann wohl die Amerikaner ihr Land plattbombardieren würden. Schnell haben sie eine bessere Idee: Sie verkaufen die Kamera, und der Oma wird auch ohne Osama geholfen.
Die Amerika- und Globalisierungskritiker unter den Regisseuren finden filmische, oft poetische Formen für ihre Anliegen: Ken Loach hat sich einfach für den 11. September 1973 entschieden, das Datum des gewaltsamen Endes der Allende-Demokratie in Chile, dargestellt als mit Archivfilmen illustriertes, melancholisches Chanson. Sean Penns surrealer Beitrag zeigt einen sterbenden alten Mann, dessen dunkles Zimmer beim Fall der Türme erleuchtet wird.
Und Japans Altmeister Shohei Imamura, dessen Beitrag das Programm krönend beschließt, führt in seinem pazifistischen Gedicht weit weg ins Japan des Zweiten Weltkriegs: Ein geistig verwirrter Soldat hat beschlossen, den Rest seines Lebens als Schlange zu verbringen. Von seiner Familie mit Unverständnis bedacht, findet er seinen Frieden darin, am Boden zu kriechen und Ratten zu essen. Im Schlussbild erklärt eine lebendige Schlange mit schriller Stimme und spitzer Zunge unumwunden, was wohl alle Teilnehmer des Programms unterschreiben würden: Dass es einfach keinen gerechten Krieg geben könne. Dieses Wissen, das meint wenigstens der magische Realist Shohei Imamura, der seinen schönsten Film über einen Aal gedreht hat, haben uns eben die Schlangen voraus.

11’09’’01 (dto) F 02, R: Sean Penn, Shohei Imamura, Samira Makhmalbaf u.a., D: Ernest Borgnine, Maryam Karimi, Emmanuelle Laborit, 130 Min. Start: 28.11.