Voll authentische Roma

Magdi hatte gerade mit dem Kunst­studium begonnen, als sie ein Kind bekam. Doch der Vater hatte mehr mit Drogen als mit Familie im Sinn, also beförderte sie ihn umstandslos vor die Tür. Der zwanzigjährigen Vicky erging es nicht anders. Magdi und Vicky sind zwei authentische Stimmen in Constanza Macras neuem Stück »Open for everything«. 2010 er­hielt die Choreographin vom Prager Goethe-Institut den Auftrag, einen Abend über die Kultur der Roma in Ungarn, Tschechien und der Slowakei zu machen. Macras recherchierte und castete schließlich, neben sechs Profitänzern aus ihrer Dorky Park Compagnie mit Sitz in Berlin, eine fünfköpfige Kapelle und zahlreiche Laien.

 

Die Großproduktion »Open for everything« segelt hart am Wind des Klischees, weil sie mit Ethno-Zuschreibungen spielt, um sie zu widerlegen. Zu Beginn rumpelt das Blechgerippe eines Lada auf die Bühne, dem das gesamte Ensemble entsteigt. Die Band spielt kräftig Folklore auf, die Lebensgeschichten sind herzzerreißend — und Leni Riefenstahls schon oft angeprangerter Einsatz von Roma aus dem KZ in ihrem Film »Tiefland« darf auch nicht fehlen. Kein Wort vom Versuch der Slowakei, Roma-Kinder in Internate zwangseinzuquartieren oder über die Armenghettos. Dann aber kommen die Dokuszenen von Magdi über die transsexuelle Fatima bis zum jungen HipHopper Adam — aufgehübscht, aber gut. Und schließlich wären da noch die starken Tanzszenen: Der Tanz einer Frau mit Kopftuch über einer gestürzten Touristin zu einem Geigensolo, das den ganzen Kitsch klassisch-romantischer »Zigeunerweisen« verhackstückt. Oder die Massentanzszenen, in denen sich eklektisch HipHop mit Akrobatik, Flamenco, Schuhplattler und Discobeats mischen. Als Substrat bleibt die immer wieder spürbare schwierige Balance zwischen kultureller Selbstbehauptung, Hybridität und dem bevormundenden, westlichen Konzept des Authentischen. Daran arbeitet sich Constanza Macras ab. Es sind die unversöhnten Brüche, die diesen Abend spannend machen.