Der Alltag eines Jedi-Ritters

Computerspiele werden gerne für alle möglichen Verfallserscheinungen westlicher Gesellschaften verantwortlich gemacht. Wenn sich in Köln regelmäßig Fans des virtuellen Sports treffen, um den Profis am Joystick zuzuschauen, muss man allerdings keine Angst vor Hooligans haben. Christian Gottschalk hat sich bei den Spielen der Electronic Sports League umgesehen.

Fat Randy hat Nachtelfen im Team, während Orcs die Rasse sind, die er am meisten hasst. Allerdings sollte ein Spieler in dieser Klasse alle Rassen gleichermaßen beherrschen, seien es auch Untote und Humans. Drei Spiele wird Fat Randy, der übrigens gar kein Übergewicht hat, gemeinsam mit seinem Teampartner Ixtana gegen das Schroet-Kommando an diesem Abend austragen
Sie werden Ritter erledigen und Zauber anwenden in einer für Außestehende recht unübersichtlichen Welt, jener Welt des Computerspiels Warcraft 3. Zwei bis drei Stunden trainiert Randy am Tag, und heute kann er vor Publikum beweisen, dass er zu den besten Spielern Deutschlands gehört.

Ziemlich normale Jugendliche
Die Electronic Sports League (ESL) hat in den Future Point in der Richmodstraße geladen, 40 Zuschauer, überwiegend Jungs zwischen 16 und 23 Jahren sind gekommen, um sich das Match zwischen den Profis anzuschauen. »Es ist nicht so, wie es häufig dargestellt wird, dass die Spieler vereinsamt in ihren Wohnungen abhängen und bei nächster Gelegenheit den Waffenschrank des Vaters plündern und losziehen und irgendwelche Leute totschießen«, sagt Lars Müller aus Düsseldorf, der hier als Zuschauer angereist ist.
Tatsächlich scheinen sich hier ziemlich normale Jugendliche zu treffen, denen man auch zutraut, ein Skateboard zu bedienen und auf Schulparties zu tanzen. Im abgedunkelten Kellerraum sind drei große Leinwände aufgestellt, auf die das Spiel projiziert wird. In einem Nebenraum stehen die Computer, an denen Fat Randy, Ixtana und das gegnerische Team sich messen. Über die Leinwände huschen Massen merkwürdiger Fabelwesen, die Häuser und Türme bauen, sich gegenseitig mit Blitzen beschießen oder mit Morgensternen traktieren. Taktische Vorstöße von Rittern gegen Nachtelfen werden von einer kompetenten Doppelmoderation im Sportreporterduktus ebenso kommentiert wie der dringende Einsatz Feuer speiender Drachen, und bei manchen Aktionen geht ein anerkennendes Raunen durch den Raum.

Erste deutsche Profiliga
Friday Night Games hat die ESL dieses Ereignis getauft, bei dem bis zu den Finals Ende Dezember regelmäßig freitags Spieler aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland in Köln aufeinandertreffen. Die ESL bietet die erste deutsche Profiliga an, die ESL Pro-Series (EPS), es geht um Preisgelder von insgesamt 80.000 Euro verteilt auf vier ausgesuchte Spiele: Warcraft 3 (Echtzeitstrategie), Counterstrike, Jedi Knights 2 (alles Schießspiele) und Nascar (Autorennen). Das beste Duo in Warcraft 3 kann am Saisonende immerhin 15.000 Euro einstreichen.
Dass Computerspieler sich in Ligen oder Ranglisten messen ist nicht neu. Im Internet treffen sich virtuelle Rennfahrer, schießwütige Spezialeinheiten und todesmutige Kampfflieger bei den unterschiedlichsten Anbietern, um online gegeneinander zu spielen. Auch im »real life«, wie die Spieler das wirkliche Leben gern nennen, trifft man sich zu Netzwerkparties. Sei es, dass man im privaten Rahmen fünf Computer vernetzt oder auf großen Lan-Parties über 2000. Dass jedoch live vor Publikum und um Geld gespielt wird, ist neu in Deutschland.
Welche Spiele publikumstauglich sein könnten, entscheidet die ESL. An diesem Abend geht sie mit Warcraft 3 und Counterstrike auf Nummer sicher. Counterstrike ist auch für den unbedarften Zuschauer zu verstehen. Zwei Mannschaften – hier Squads genannt – zu je fünf Personen treten gegeneinander an. An den Computern sitzen also zehn normale Jugendliche, die zehn martialische Kämpfer auf dem Schirm bedienen. Die Mannschaft, die am seltensten komplett umgebracht wird, hat gewonnen. Dabei ist es von Vorteil, sich in der jeweiligen Map, der virtuellen Umgebung also, gut auszukennen. Aber das ist für Profis wohl selbstverständlich.
Bei besonders gelungenen Aktionen, zum Beispiel Gegner erschießen, vom Balkon springen, dem feindlichen Feuer ausweichen, nächsten Gegner erschießen, gibt es Szenenapplaus. Die Mannschaft Ping of Death gewinnt überlegen mit 2 : 0 gegen Shuuk.

Wem gehört die Liga?
Die Übertragungsrechte für die Fußballbundesliga gehören Günter Netzer, wem aber gehört die ESL? Betreiber der Internetseite www.esl-europe. net ist Turtle-Entertainement. Seit September 2000 bietet Turtle Spielern die Möglichkeit online gegeneinander anzutreten. Hervorgegangen ist diese Liga aus der Deutschen Clan Liga, die schon fünf Jahre vorher existierte und sich als größte und wichtigste Liga im Internet bezeichnete. Die Pro-Series finden in diesem Jahr zum ersten Mal statt, und weil damit erstmal kein Geld zu verdienen ist, bezahlt der Prozessorenhersteller Intel den ganzen Spaß. Intels Logo ist somit bei den Friday Night Games überall präsent, die Firma hofft auf einen Image-Gewinn und vermutlich auch darauf, dass Pro-Gaming in Deutschland größer und präsenter wird und Intel dann von Anfang an dabei war. Die Spieler selber wählten auf der ESL-Seite dennoch den Intel Pentium 4 lediglich auf Platz vier.
Ein anderer Freitag ein anderes Spiel. Nach einem Warcraft 3 Showkampf zwischen den Team-Kollegen Horror und SubSeven, der ersatzweise angesetzt wurde, weil die gegenerische Mannschaft nicht anreisen konnte, stehen die Jedi-Ritter auf dem Programm, genauer das Spiel Jedi Knights 2. Das Team Helix, in schwarzen gesponserten T-Shirts angereist, trifft auf proGaming, ein renommiertes Team, oder in der Szene-Sprache ein renommierter Clan, der in den unterschiedlichsten Spielen erfolgreiche Squads am Start hat. Sie sind die eindeutigen Favoriten heute Abend, doch die Vorberichterstattung im Netz sorgt für Spannung: »Mit einem Sieg für pG wäre die Saison entschieden – wer sollte pG da noch einholen? Für Helix wäre es dann jedoch wieder knapper, FAiRLiGHT und Spirit of Darkness könnten sich noch auf den 2. Platz der EPS vorarbeiten. Falls Helix das Match jedoch für sich entscheiden könnte, wäre der Ausgang der Liga wieder um einiges offener und Helix wäre mit 4 Siegen, 1 Unentschieden pG gegenüber sogar im Vorteil.« So spannend kann der Liga-Alltag eines Jedi-Ritters sein.

Traumberuf für kleine Jungs
Antje Unger, eine der wenigen Frauen in diesem Sport, unterstützt Profi Jens Hilgers als Spezialistin bei der Moderation von Jedi Knights 2. Sie lobt den Raketenwerfer als sehr effektive Waffe, allerdings können durch Einsatz der Macht Raketen abgewehrt werden. Ob nicht gerade die Macht, wirft Hilgers ein, den Sex-Appeal des Spiels ausmache? Während dessen hüpfen rote und blaue Jedi-Ritter über die Leinwände, ballern, fuchteln mit ihren Lichtschwertern herum und versuchen sich gegenseitig eine Fahne abzuluchsen. Die Map sieht ungefähr so aus, wie eine James-Bond-Bösewicht-Weltbeherrschungszentrale, mit Aufzügen und Galerien, und alle naselang fällt ein Jedi-Ritter in die Tiefe. Das Spiel ist schnell und hübsch anzuschauen. Für den Anfänger aber unübersichtlich. Alexander Tobias Müller, »Director Marketing Sales« bei Turtle Entertainement, hofft aber, dass E-Sports sich irgendwann zur Zuschauersportart entwickelt: »Wir wollen diesen Sport so aufbauen, dass die Leute das gerne sehen wollen, also sogar diejenigen, die nicht selber spielen, eine Begeisterung dafür entwickeln können.« Bislang aber sind die Freitagabende Szene-Treffen. Leute, die sich vom »Zoggn« oder aus den entsprechenden Foren im Internet kennen, treffen sich hier erstmals von Angesicht zu Angesicht. Bei Spitzenspielen«, so Müller, »sind hier 200 Leute.«
»Sicherlich entsteht hier gerade ein Traumberuf für viele kleine Jungs. Wie wird man denn nun Profi-Spieler? »Talent und extrem viel Training«, sagt Müller. Nun, wie in jedem Sport. In den Sport einsteigen kann jeder, der einen Computer mit mindestens Pentium 3 hat, eine ordentliche Grafikkarte und mindestens eine ISDN Internetverbindung und das entsprechende Spiel hat. Er meldet sich an und fordert in einer »Ladder« andere Spieler heraus. Dort kann man sich, wenn man gut ist, an die Spitze arbeiten. Nach sechs Monaten wird die Ladder ausgewertet, wer oben steht kann aufsteigen in die Liga, und aus der Liga kann er aufsteigen in die Pro Series. Das Mindestalter beträgt 16 Jahre.
Ein Höchstalter gibt es nicht. Doch häufig steigen die Spieler auch sehr jung wieder aus – gehen »inactive«, wie sie es nennen. Die Begründung ist immer ungefähr gleich: »Muss mich verstärkt um das real life kümmern.« In »Stromguard«, dort wo die Ritter in Warcraft 3 um ihr Leben kämpfen, kann man halt kein Abitur machen.

Info:
Mit einer guten Leitung kann man sich die Friday Night Games auch live im Internet anschauen. www.esl-europe.net. Die Finals finden vom 13.-15.12. im Future Point in der Richmodstr. 13 statt. Genauere Infos standen zum Redaktionsschluss noch nicht fest, können aber auf der oben angegebenen Homepage abgefragt werden.