Schrilles Imagi­nie­ren

Yael Bartana rüttelt mit Zwei Minuten Stillstand an nationalen Identitäts­­konzepten

Zwei Minuten können sehr kurz sein. Das umstrittenste Projekt des diesjährigen Theaterfestivals Im­­pul­se hatte die in Berlin lebende Israelin Yael Bartana aufs Gleis gesetzt. Die viel diskutierte Performance »Zwei Minuten Stillstand« lehnt sich an den israelischen Ge­denktag Jom haShoa an, an dem für zwei Minuten der Holocaust im kollektiven Gedächtnis der Israelis präsent ist. Sirenen heulen. Bahnen und Busse halten an. Menschen halten schweigend inne. Bartana versuchte, dieses Ritual als Aktion nach Deutschland zu übertragen. Auf dem Roncalliplatz, dem zen­tra­­len ›Spielort‹ neben der Keupstraße, war ein Hexagon aus Sand, das an ein Stoppschild gemahnte, auf dem Boden ausgelegt, um das sich rund 300 Menschen versammelten. Man stand im Dauerregen betreten im Kreis, Punkt 11 Uhr intonierte ein Blechbläserchor einen sirenenhaften anschwellenden Ton, der nach zwei Minuten verklang.

 

Aus dem ersterbenden Klang schälte sich langsam und voller Pathos die israelische Nationalhymne heraus, die die Gegner des Projekts angestimmt hatten. Die Aktion, an der neben Schulklassen auch die Spieler des FC, die Kulturverwaltung oder die Verkehrsbetriebe der Rhein-Neckar-Region teilnahmen, verlief performativ eher unspektakulär, dafür war ihre diskursive Begleitmusik schrill. Bartanas Versuch, ein Gedenkritual der Opfer ins Land der Täter zu ver­legen, die Behauptung einer »Kettenreaktion« von Holocaust über die Vertreibung der Palästinenser bis zu den Morden des NSU hatten Widerspruch ausgelöst. Von Israel-Bashing und Antizionismus war die Rede. Auch die im Nachhinein anberaumte Podiumsdiskussion verlief merkwürdig mit ihrer Behauptung, Bartana wolle einen neuen Gedenktag in Deutschland einführen oder der Forderung nach faktenvermittelnder »Aufarbeitung« in ARD-Brennpunkt-Rhetorik und Benennung der politischen Ziele der Kunstaktion.

 

Mit Begriffen wie Transfer oder Zitat war der Diskussion nur bedingt beizukommen. Die Verortung der Ak­tion als Performance wurde durch die beharrlich aufgerufene, politische Kontextualisierung immer wieder durchkreuzt. Trotz des simplen Settings besitzt »Zwei Minuten Stillstand« offenbar ein verstörendes Moment, das einen massiven, emotionalen Imaginationsüberschuss freisetzte. Was da­­rauf hinweist, wie stark der Holocaust zu den verfestigten Gründungserzählungen sowohl Deutsch­lands wie auch Israels gehört — aus je unterschiedlicher Perspektive, versteht sich. Genau auf diese geronnene Bedeutung hatte es Bartana schließlich abgesehen.

 

Die Aktion ist dokumentiert auf zweiminutenstillstand.de