Idylle mit Deutschem Weideschwein

Volker M. Leprich spaziert durch das Rheinische Freilichtmuseum Kommern

 

Über 60 wieder errichtete Gebäude aus rheinischen Regionen, die die Lebensumstände der Landbevölkerung seit Ende des 15. Jahrhunderts dokumentieren, harren in Kommern der Besichtigung. Dazwischen erstreckt sich eine weitläufige Landschaft mit Äckern, Gärten und Wiesen. Doch als mich der Museumsbus auf dem Parkplatz ausspuckt, keimt der Verdacht auf, dass es sich um ein muffiges Schulausflugsziel handeln könnte.

Okay, es liegt im Wald, aber der quadratisch-praktische Bau des Restaurants zur Linken und der Eingangspavillon zur Rechten sprechen eine andere Sprache. Auf dem Gelände dann weitere Pavillons, die die Ausstellung »Schöne neue Welt – Rheinländer erobern Amerika« beherbergen: Zweckbau, schreiende Farben, eine Art New-York-Skyline, Internet-Café. Zwei Handwerkerpuppen – rheinische »Pilgrim Fathers« – wirken beim Outdoor-Sägen inmitten des Szenarios etwas verloren. Ich biege links ab und suche das Weite über den Weg ins Bergische Land – ein Spaziergang beginnt, der ungefähr drei Stunden dauern, durch festes Schuhwerk erleichtert und angenehme Überraschungen bereithalten wird.

Aufschlussreiche Begegnung

Unterwegs begegne ich einem Herrn mit Gamsbart am Filzhut, der einen Bollerwagen zieht. Seine Wangen sind von der guten Luft gerötet. Ich frage scherzhaft, ob er der hiesige Förster sei. Nein, nein, er sei »Baugruppenleiter Bergisches Land« und dafür zuständig, dass Schulgruppen nicht Schindluder mit den musealen Preziosen trieben. Ich frage weiter, was das für eine Baustelle neben dem Stammhaus der Familie Mannesmann (Grundsteinlegung 1795) sei, deren architektonischer Stil so gar nicht zu den restlichen Altertümchen passe (aber mehr Schick als die eingangs erwähnten aufweise)? Dies werde die neue Unterkunft für Schulklassen, die hier für eine ganze Woche unterkämen, um das damalige Leben auf dem Land kennen zu lernen und diverse Kurse (Handwerk, Hauswirtschaft etc.) zu besuchen.

Beim Abschied rät er mir, auf meinen Kopf zu achten, da sich Menschen ab 1,75 Meter Scheitelhöhe in den Häusern der vier Baugruppen – Bergisches Land, Niederrhein, Eifel/ Eifelvorland, Westerwald/Mittelrhein – selbigen gerne an massiven Balken stießen. Bei der Inspektion der Häuser klopfe ich erst mal auf Holz und stelle fest, dass die betreffenden Stellen freundlicherweise großzügig aufgepolstert wurden. Und tatsächlich, es ist aufschlussreich, sich vor Ort anzuschauen, wie früher nicht besser oder schlechter, sondern anders gelebt wurde.

Sensationen am Niederrhein

Auf dem Weg zum Niederrhein dann eine kleine Sensation: Sechs Störche fühlen sich in der pittoresken Idylle in der Nähe einer Kappenwindmühle (anno 1780) sehr wohl. Auf der nächsten Wiese erwartet mich stoisch das rustikale, rückgezüchtete »Glan-Donnersberger Rind«. Überhaupt »Rückzüchtung«: Auf der Waldweide suhlt sich das Deutsche Weideschwein, das in Zusammenarbeit mit der Universität Gießen wieder in den Urzustand verwandelt wurde. Dieses Schwein ist quasi schon ein bunter Hund. Um die alten Eigenschaften und das Aussehen wieder hervorzuzüchten, war die Kreuzung mehrerer Schweinerassen nötig: Deutsche Landrasse, Deutsches Edelschwein, Hampshire Landschwein, Wildschwein und noch zwei, drei Schweine.

Verführerischer Duft

Im nahe gelegenen Hof treffe ich auf die Hauswirtschafterin, die für eine Schulklasse eine Riesenpfanne verführerisch duftender Bratkartoffeln zubereitet. Sie erklärt mir, dass es wichtig sei, Kindern zu zeigen, wie man mit nichts bzw. »eben dem, was da ist« Schmackhaftes zubereitet. Ich denke an die durchschnittliche Bestückung meines Kühlschranks und überlege, ob ich nächstes Mal nicht auch dazustoßen soll. Dies sei heute allerdings der letzte Tag in Hauswirtschaft. (Was?) Anfang April nächsten Jahres gehe es dann weiter. (Zu spät!) Und natürlich mit Ostereierfärben mit Naturfarben.

Klare Ansagen in der Eifel

Der Weg durch die Eifel macht hungrig, also kehre ich im Westerwald in die Gastwirtschaft »Zur Post« ein. Auf die Frage ob hier Eigenanbau verarbeitet werde, antwortet der Landvogt viel sagend: »Ja, also ... Suppen, kein Problem...« und – mit dem Finger über den Schaltplan der Speisekarte fahrend: »Letzte Woche hatten wir Schlachtfest. Da wurde das Museumsschwein ins Jenseits befördert. Und das gab es dann.«

Gesättigt verlasse ich die Gaststube, um abschließend die Ausstellung zu besuchen, für die Schulklassen eine Führung in Anspruch nehmen sollten. Sie pflegt optisch wie akustisch eine »plakative Anschaulichkeit«, die »die Kleinen«, je nach Grad sittlicher Reife, unvorbereitet ziemlich erschrecken oder zu Albernheitsausbrüchen motivieren könnte: z.B. durch die Darstellung der grausamen Verfolgung der Mennoniten zur Zeit der Reformation. Insgesamt wird hier aber auf interessante, ebenfalls »begehbare« Weise ein realistisches, zuweilen ernüchterndes Bild des »American Dream« vermittelt, der im Wachzustand die Möglichkeit des Scheiterns stets mit einschloss.


Bus und Bahn
Regionalzug nach »Mechernich Bahnhof«, weiter mit dem Museumsbus (Linie 894). Wichtig: Bus mindestens eine Stunde vor Abfahrt anfordern (Tel. 02443-1000). Tipp: Von Köln aus ist ein Mehrfahrtenticket (8 Streifen) günstiger als ein Einzelticket.

PKW
A1, Abfahrt Wißkirchen und dann den Hinweisschildern zum Freilichtmuseum folgen. Der Anfahrtsweg ist ist weiträumig ausgeschildert.

Öffnungszeiten
1.11. bis 31.3. von 10-16 Uhr; vom 1.4. bis 31.10. von 9-18 Uhr.

Preise
Erwachsene 5,50 EUR; Kinder ab 6 Jahre, Jugendliche 2 EUR; Schwerbehinderte, Studierende, Auszubildende 3,50 EUR. Die Familientageskarte kostet 11 EUR.
Gruppen ab zehn Personen: Erwachsene 5 EUR, Kinder u. Jugendliche 1,50 EUR. Die Jahreskarte kostet 23 EUR.

Infos
Rheinisches Freilichtmuseum, Auf dem Kahlenbusch, 53894 Mechernich-Kommern. Besucherinformation: Tel 02443-6176 und 02443-9980131 sowie unter www.kommern.lvr.de