Keiner kommt hier lebend raus

Bekannt wurde Daniel Richter für seine dichten, abstrakten Bilder. Mit seiner aktuellen Ausstellung »Grünspan« im Düsseldorfer Ständehaus scheint er eine Kehrtwende vollzogen zu haben: Die 28 großformatigen Ölbilder aus den Jahren 2000-2002 sind figurativ und zeigen albtraumhafte, düstere Szenen. Doch bei näherer Betrachtung löst sich das Konkrete auf.

Wenn man mich fragt, wie ich die heutige Repräsentanzfunktion des Körpers einschätze... Ich will überhaupt keine Körper mehr sehen. Keine schönen, schon gar keine leidenden mehr in der Kunst. Kein Mensch kann das ertragen. Die Kunst hat so viele leidende Körper, so viele pathetische, schwachsinnige Pseudo-Anklagen produziert, da wird einem schlecht«, sagt Daniel Richter in einem Interview für Spex. Fast sechs Jahre ist das her. In der Berliner Galerie »Contemporary Fine Arts« fand gerade eine seiner ersten Einzelausstellungen statt, »17 Jahre Nasenbluten«, und in der Kunstwelt und im Punkunderground (aus dem Richter stammt und für den er unzählige Flyer, Plakate und Plattencover, u.a. für die Goldenen Zitronen, gestaltet hat) war man sich einig: Das ist der kommende Mann.
Seine damaligen Bilder entsprachen seinem dezidierten Statement aus dem Spex-Interview völlig. Es gibt ja die Anekdote, dass die linksradikalen Situationisten vor 40 Jahren auf den Pariser Flohmärkten irgendwelche Kitschmalereien gekauft (gestohlen?) und sie wild und formfrei übermalt hätten. Die Bilder hießen dann: »Der Aufstand der Pariser Kommune« oder: »Die Rebellion von Kronstadt«. So ähnlich muss man sich die frühen Arbeiten von Daniel Richter vorstellen. Nur, dass er da anfing, wo die Situationisten aufhörten. Er begann, das hysterische Chaos zu restrukturieren – ohne dem Chaos auch nur irgendetwas von seinem Gehalt zu nehmen. Richter ist kein Revisionist. Vielleicht bezeichnet man diese Arbeiten am besten als gemalten Free Jazz (Free Jazz ist eine Musik, die enormes Formbewusstsein und Gestaltungswillen voraussetzt). Noch mal Richter: »Alle Leistungen, die Welt zu begreifen, sind abstrakt. Meine Malerei ist in diesem Sinne non-referentiell, aber natürlich fasst sie etwas viel genauer, was eine Abbildung gar nicht könnte.«
Wie gesagt, das ist sechs Jahre her. Wer jetzt in Düsseldorf im Ständehaus »Grünspan« besucht, die erste große Museumsausstellung des mittlerweile 40-jährigen Künstlers, staunt nicht schlecht. Denn es gibt: Körper. Leidende Körper, schwache Körper, verletzte Körper, ausgelöschte Körper. Richter hat 28 großformatige figurative Arbeiten aus den letzten zwei Jahren kompiliert und sie in einem Raum nebeneinander gehängt. Keine Trennwand ermöglicht die Eingrenzung in Werkgruppen – zumindest ist diese Aussage klar: Was hier hängt, ist das, woran der Künstler gerade arbeitet. Nichts Abgeschlossenes, nichts Relativiertes. Aber auch: nichts Revidiertes. Richter geht mitnichten hinter seine Statements von vor sechs Jahren zurück. Was sich bei der ersten Betrachtung als Körper, als eindeutige Situation darstellt, löst sich bei nochmaligem Hingucken auf. Das Albtraumhafte, was diese Arbeiten so nachdrücklich ausstrahlen, erlangen sie jedenfalls nicht durch die unmittelbare Darstellung sadistischer oder angsterfüllter Rituale.
Worum geht es? Auf »Gundula« sieht man, wie vor der Kulisse einer Hochhaussiedlung zwei Gestalten einer dritten zusetzen. »Tarifa« zeigt sieben ängstliche Gestalten, die auf einem Gummiboot inmitten eines schwarzen Meeres kauern. In »Flash« ist ein anderes Boot gekentert, und trotzdem klammert sich daran eine größere Zahl von Gestalten – wohl aussichtslos. Das schwarze Meer ist von roten Schlieren durchzogen, es könnte auch Magma sein. »Dog Planet« ist der martialische Aufmarsch von Vermummten, sie haben Knüppel, tragen Helme, die Hunde sind kurz gefasst. Der Schwarze Block – oder eine Polizeikompanie kurz vor der Prügelorgie.
Die Szenen, in denen Einzelne, sei es willkürlich, sei es in Ritualen, von größeren Gruppen verfolgt und malträtiert werden, wiederholen sich. Zwischendurch wird ein Pferd sadistisch zu Tode geprügelt, oder einzelne Gestalten verlieren sich in dem fahlen Licht einer Nachttankstelle: »Fun de Siècle«.
Aber das Entscheidende scheint nicht zu sein, dass hier Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Vereinsamung (als sei Vereinsamung die Kehrseite kollektiv ausgeübter Gewalt) dargestellt werden. Gewalt ist ein asymmetrisches soziales Verhältnis, das auf etwas abzielt: die Verfügbarkeit über das Leben des Opfers oder schlicht einen materiellen Gewinn. Gewalt macht Sinn – und von so einem Sinn sind die Darstellungen Richters abgekoppelt.
Damit soll nicht behauptet werden, Gewalt werde in diesen Bildern als etwas Menschlich-Allzumenschliches vorgeführt. Es ist vielmehr so, als würden sich die Gestalten einbilden, sie handelten in einem auch nur irgendwie als vernünftig zu vermittelnden Rahmen. Die Akte, die sie vollziehen, scheinen hohl, ziellos, oder besser: zielen auf eine Intention ab, die sich nie erfüllen wird. Mehr noch – es ist, als würden sich die Gestalten sich selbst und ihr Handeln einbilden. Sie wirken absolut irreal, mal so, als hätte Richter Haut und Physiognomie weggelassen, als wären sie nacktes Fleisch, dann wieder animalisch (mit schwarzen Augenhöhlen), und am Ende wirken sie alle wie Geister. Von den Körpern bleibt nur das Ausgelöschte. Hier agieren keine Zombies, keine Untoten ohne eigenen Willen, sondern Geister und Gespenster, die nicht wissen, dass sie tot sind.
Folglich ist die Welt keine fremdbestimmte, wie das bei Zombiedarstellungen der Fall wäre, diese Hölle – gerade in ihrer Unaufgeklärtheit – ist ganz und gar selbstgemacht. Trotzdem scheint sie ungreifbar zu sein, es gibt kaum konkrete Machtverhältnisse, die sich hier materialisieren, auch »Dog Planet« ist ambivalent.
Der von Richter selbst konzipierte Ausstellungskatalog bringt jede Menge Material, u.a. wird der Ausstellungstitel »Grünspan« aufgelöst: Es gibt vom legendären Hamburger Autor Hubert Fichte den Roman »Detlevs Imitationen ›Grünspan‹«. Gut möglich, dass das Material nicht zur Erklärung beitragen will, sondern das Spektrum der Darstellung noch mal auffächert. So sind im Katalog neben die Bilder u.a. die Buchtitel »Franz Jung: Der Weg nach unten«, »Georg K. Glaser: Geheimnis und Gewalt«, »Max Hoelz: Vom Weißen Kreuz zur Roten Fahne«, »Jan Valtin: Tagebuch der Hölle« montiert – Lebenszeugnisse gescheiterter Kommunisten und dissidenter Linksradikaler. Es sind durchweg sehr schwarze, sehr abgründige Texte, die die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts beschreiben. »Ich habe nicht die Sache, die Sache hat mich verlassen«, schrieb das desillusionierte KP-Mitglied Georg Glaser. Aber am Ende handeln diese Texte doch von heroischen Subjekten, die Faschismus und Stalinismus widerstanden haben, während einem zu den Gestalten in Richters Bildern viel eher einfällt: Sie haben nicht das Leben, das Leben hat sie verlassen.
Vielleicht hat Richter in den letzten Jahren sein Verständnis der Weltdarstellung einfach vom Kopf auf die Füße gestellt. Konnte er sich der hyperkonkreten Welt mit ihren grellbunten Konsum- und Medienangeboten nur abstrakt und (oberflächlich) chaotisch nähern, um sie adäquat reflektieren zu können, so ist jetzt die konkrete, (oberflächlich) stumpf-direkte Darstellung einer als nutzlos und irreal, als verrückt und eben dadurch komplett abstrakt erkannten Welt angemessener. Die Abstraktion der Abstraktion wäre die Konkretion, die doppelte Verneinung ergibt das Positive.
Naja, das Positive? Richter bietet keine Versöhnung – z.B. im Sinne einer politischen Maxime, die den Weg weist. Im Katalog dekretiert er: »Politik bleibt Politik, soziales Handeln bleibt soziales Handeln, und Kunst bleibt Kunst.«
Keine Ahnung, wie wir aus dem Schlamassel herauskommen.