Weiter an der Legende kratzen

»1933: Köln wird braun... wie die Nazis die Macht übernahmen« heißt eine Veranstaltungsreihe zu acht historischen Daten aus dem Prozess der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Köln, die das NS-Dokumentationszentrum mit zahlreichen Kölner Organisationen ausrichtet (siehe nebenstehende Übersicht). Ein Gespräch mit Dr. Werner Jung, dem neuen Leiter des NS-Dokumentationszentrums, über Anlass und Inhalt des Programms.

StadtRevue: Warum gibt es gerade 70 Jahre nach 1933 diese Veranstaltungsreihe? Der Anlass scheint auf den ersten Blick etwas »gesucht«.

Werner Jung: Sie haben Recht, eigentlich macht man »runde« Gedenktage nach 75 Jahren. Aber ein Vorstandsmitglied unseres Fördervereins El-DE-Haus, Heinz Humbach, ein sehr engagierter ehemaliger Kölner Widerstandskämpfer, hat uns eindringlich klar gemacht, dass die ZeitzeugInnen immer weniger werden. Wer weiß, wer in fünf Jahren noch da ist? Auf seine Anregung hin haben wir das Konzept entwickelt. Wir bieten keine Ausstellungen oder Publikationen, sondern Vorträge, Gespräche, Aktionen, Mahnwachen.

Sie haben viele MitveranstalterInnen gewonnen. So fällt auf, dass beispielsweise die katholische Karl-Rahner-Akademie gemeinsam mit der evangelischen Melanchthon-Akademie zur Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus diskutiert.

Ja, das ist ein sehr gutes Ergebnis, das auch zeigt: Es hat sich im Umgang mit unserer Geschichte etwas geändert. Wir hatten keinerlei Probleme, viele sehr verschiedene Organisationen und Institutionen für die Reihe zu gewinnen. Dass unsere Auftaktveranstaltung am 4. Januar über »Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus« in den Räumen der IHK stattfand, war besonders erfreulich. Auch die Kölner Polizei, mit der wir vor drei Jahren das Projekt über ihre Rolle in der Nazizeit entwickelt haben, war sofort bereit, mitzumachen.

Die Veranstaltungen orientieren sich, wie Sie gerade sagten, an Daten: Vom 4. Januar, dem Geheimtreffen von Hitler und Papen im Hause des Bankiers von Schröder am Stadtwaldgürtel über den 13. März, die Machtübernahme in Köln, bis hin zur Bücherverbrennung am 17. Mai. Welches Konzept steckt hinter diesem Gerüst?

Wir wollten damit den Prozesscharakter der Machtergreifung und Gleichschaltung deutlich machen – vor allem auch, wie rasant dieser Prozess vonstatten ging.

Nun hält sich aber in Köln die Legende, der von Natur aus liberale Kölner wäre nicht besonders anfällig für den Nationalsozialismus gewesen, hätte sich also diesem Prozess des Terrors weniger ergeben als der Rest des Reiches.

Es stimmt, dass diese Legende sich immer noch hartnäckig hält. Es stimmt auch, dass Köln vor 1933 keine Hochburg der Nazis war. Aber der Prozess der Gleichschaltung hat sich in Köln genauso rasch und ohne Unterschied zu den frühen Hochburgen vollzogen. Köln hat, anders als viele gerne glauben, keine Sonderrolle gespielt: Die KölnerInnen waren genauso sehr Nazis wie die Menschen es im gesamten Reich waren. Aber das Kratzen an der Legende, zu dem wir viel beitragen, ändert langsam etwas: Auf unser Programmheft hin, in dem wir Kölner Orte und Namen nennen, haben schon viele erstaunt reagiert, nach dem Motto: »Das wusste ich ja gar nicht.« Sie wussten es wirklich nicht. Legenden sind langlebig. Dabei ist es eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet im völlig zerstörten Köln die steinernen Zeugen des Terrors, wie die Gestapo-Zentrale im EL-DE-Haus, die Gauleitung der NSDAP in der alten Universität oder die Messe nahezu unversehrt erhalten sind.

Es gibt in der Reihe sehr viele Vorträge und Diskussionen. Kommt das nicht ein bisschen trocken daher?

Das glaube ich nicht. Bei der Auftaktveranstaltung gab es lebhafte Diskussionen über die Rolle der Wirtschaft beim Aufstieg Hitlers und danach. Es war ein sehr heterogenes Publikum dort, und es war sehr gut besucht. Wenig »trocken« wird sicherlich auch die Inszenierung von Thorsten Fischer vom Schauspiel Köln sein, die er extra für unsere Veranstaltungsreihe für den 30. Januar in der Halle Kalk konzipiert. Oder der 1. April: Da erinnern wir an den Boykott jüdischer Geschäfte mit Aktionen vor diesen Geschäften. Oder die Aktion zur Bücherverbrennung, wo prominente Patinnen und Paten mit Lesungen an verfolgte AutorInnen erinnern. Ich glaube, die Mischung stimmt.

Bei den Geschlechtern stimmt sie nicht: Die Vortragenden und Diskutanten sind fast alle männlich.

In der Vorbereitungsgruppe war die Hälfte Frauen. Aber es stimmt, da spiegelt sich leider die Realität der akademischen Welt. Immerhin erinnern wir bei der Veranstaltung zur Bücherverbrennung auch an drei Autorinnen, nämlich Claire Goll, Else Uri und Anna Seghers. Das war bisher leider auch nicht selbstverständlich.

Mir ist außerdem aufgefallen, dass bei der Vielfalt der Themen das Thema »Gleichschaltung der Medien in Köln« nicht vorkommt. Ist das der Tatsache geschuldet, dass der Herausgeber des Kölner Stadt-Anzeigers, Alfred Neven DuMont und der WDR-Intendant Fritz Pleitgen zu den Schirmherren gehören?

Nein. Wir können nicht jedes Thema behandeln und wir haben acht ausgewählt. Es liegt auch an der Forschungssituation: Anders als bei der Polizei, die inzwischen sehr gut erforscht ist, fehlt es bei den Medien eindeutig noch an wirklich ausreichenden Forschungsergebnissen. Fritz Pleitgen hat darauf hingewiesen, dass der WDR ein entsprechendes Forschungsprojekt bis 2005 abschließen will, und der Vertreter des Hauses DuMont Schauberg hat auf unserer Eröffnungspressekonferenz zugesagt, dieses Thema in der Chefredaktion zu diskutieren. Wenn wir solches mit unseren Veranstaltungen anstoßen, sind wir sehr zufrieden.

Gibt es noch mehr Bereiche, die fehlen, weil sie noch nicht genug erforscht sind?

Auf jeden Fall. Zum Beispiel die Rolle der Kölner Justiz im Nationalsozialismus, da sind wir seit langem im Gespräch mit den Gerichtspräsidenten über ein gemeinsames Projekt. Oder nehmen Sie die Kölner Stadtverwaltung, das Regierungspräsidium, die Medizin, das Vereinswesen, die soziale Lage der Menschen, selbst den Bereich »Widerstand« und vieles mehr. Es gibt noch genug zu tun.

Wollen Sie als neuer Leiter des NS-Dokumentationszentrums hier neue Akzente setzen?

An einigen Bereichen, die ich eben nannte, sind wir schon dran. Für mich ist entscheidend, dass wir jetzt in eine Umbruchphase kommen, was die Vermittlung von Geschichte betrifft: Es sterben die Letzten jener Generation, die noch aus eigenem Erleben etwas über diese Zeit vermitteln können. Das ist bald vorbei. Für uns heißt das, dass wir die museumspädagogische Arbeit verstärken müssen. Denn wir wenden uns ja hauptsächlich an SchülerInnen, an Jugendliche, wir brauchen jemanden, der LehrerInnen beraten kann, Unterrichtsmaterialien und Projekttage entwickeln kann. Dies wird notwendiger denn je, wenn die ZeitzeugInnen nicht mehr da sind, damit wir BesucherInnen auch erreichen. Dabei bleibt das Gestapo-Gefängnis, das als authentischer Ort ja einmalig in der Republik ist, besonders wichtig. Und ich habe berechtigte Hoffnung, dass wir eine halbe museumspädagogische Stelle schaffen können.

Welche Projekte stehen momentan an?

Unsere nächste Ausstellung im Mai wird sich mit der Zwangsarbeit in Köln beschäftigen, geplant ist eine Ausstellung zum Israelitischen Asyl. Und dann bauen wir ein multimediales Videoarchiv auf, mit Zeitzeugeninterviews und Erzählungen, quasi als Gedächtnis Kölns. Dafür haben wir dankenswerterweise von der Imhoff-Stiftung eine halbe Million Euro erhalten.