»Wir sind der Prototyp des neuen freien Theaters!«

Während die einen der rund 70 freien Kölner Theatergruppen und -Häuser am liebsten dem Stadttheater Konkurrenz machen, suchen andere nach neuen Konzepten. Das ARTheater setzt auf eine Mischung aus Theater und Clubevents – und fährt gut damit. Klaus Fehling hat sich umgesehen.

>?Wie das Haus am Ehrenfeldgürtel zu seinem Namen kam, weiß heute heute niemand mehr so genau. Sicher ist: Unter dem Namen ARTheater wurde das Gebäude, das früher mal einer Feinkosthandlung als Lager diente, bereits vor 1998 als Spielstätte genutzt, und zwar vom damaligen Urania Theater. Für die heutigen Chefs des Hauses, Stefan Bohne und Bernd Rehse (dritter im Bunde ist Bernhard Bötel von der Theaterakademie Köln), steht der Name ARTheater für eine Kombination aus verschiedenen Kunstformen und Theater – und damit auch für das inhaltliche Konzept. Kennen gelernt haben die beiden Schauspieler es während der Produktion »Die geheimen Obszönitäten des Alltags«. Davor hatten sie – nach Schauspielausbildungen in Wien und Petersburg – jahrelang an verschiedenen großen und kleinen Häusern gespielt. Von dem neuen Ort waren sie so begeistert, dass sie im September 1998 ganz einfach die Leitung übernahmen. Seitdem ist das Haus mit der kleinen Bühne und der klassischen Anzahl von 99 Zuschauerplätzen zwar in erster Linie ein Spielort für freies Theater, gleichzeitig aber auch Club, Konzerthalle, Lesebühne und Kneipenbetrieb.
Neben dem Theaterspielplan aus zahlreichen Gastspielen und einer Eigenproduktion pro Jahr gehören Konzertveranstaltungen genauso zum Programm und Konzept wie Ausstellungen und Clubevents. Veranstaltungsreihen wie das »Jazz-o-Rama«, für die das Basement des Theaters jeden Dienstag in einen Jazzclub verwandelt wird, oder die bei Eingeschworenen bereits dem Kultstatus nahe »Mitternachts-Horrorlesung«, bilden einen Teil des Erfolgsrezeptes des Hauses: Sie ziehen ein junges Publikum an. Das wird zwar von vielen anderen Theatern auch gewünscht, aber nur von wenigen erreicht. Der Anteil der unter 25-Jährigen ist dadurch auch bei den reinen Theatervorstellungen sehr hoch. So manches Stadttheater gibt wesentlich mehr Geld aus, um die begehrte junge Zielgruppe, das potenzielle Stammpublikum von morgen, ins Haus zu holen – meist mit weniger Erfolg.
Dass das ARTheater den Nerv dieser Leute trifft, liegt nicht zuletzt an ihren Eigenproduktionen. Es sind abseitige Geschichten mit merkwürdigem Personal, von Regisseur Andreas Robertz stets mit leichtem Hang zum Trash inszeniert: Der paranoide Stän in Anthony Neilsons »Der Penetrator« oder jene »Dead Mother« in David Greenspans schwarzer Komödie, die Stefan Bohne so eindrucksvoll verkörpert, und die auch nach ihrem Tod noch Familienentscheidungen trifft. Diese Aufführungen kommen aber nicht nur beim »ARTheaterpublikum« gut an – wie unterschiedliche positive Kritiken oder die Nominierung zum Kölner Theaterpreis 2001 zeigen. Kritischen Stimmen, die im ARTheater bisher nichts weiter als eine Partybude mit Schauspielambitionen sahen, wird dadurch mehr und mehr der Wind aus den Segeln genommen. Die Macher sehen sich als Pioniere. Bernd Rehse: »Das ARTheater ist ein Prototyp des neuen freien Theaters«. Sicher ist zumindest, dass das Modell seine Vorbilder auch in anderen Städten wie etwa München findet, wo das Pathos Transport Theater seit Jahren erfolgreich Partyevents und professionelles Theater nebeneinander etabliert. In Ländern, in denen Theater nicht in dem Maße subventioniert wird wie in Deutschland, ist das Betreiberkonzept des ARTheaters schon aus wirtschaftlichen Gründen verbreiteter. Das Haus erhält vergleichsweise wenig Förderung von der Stadt (derzeit 10.000 € pro Jahr gegenüber etwa dem Theater am Sachsenring mit 60.000 €). Ohne die Einnahmen aus Parties, Konzerten und nicht zuletzt der Gastronomie, würde das Geld nicht reichen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Bernd Rehse bleibt locker: »Wenn die öffentliche Förderung für Kölns freie Theater wegfallen würde, wären wir eines der wenigen Häuser mit einer Überlebenschance«.
Doch auch die Leiter des ARTheaters wissen, dass professionelles freies Theater in Köln, ob mit oder ohne Fördermittel, nicht ohne Selbstausbeutung zu machen ist. Der Betrieb funktioniert nur mit zahlreichen, oft ehrenamtlichen Helfern und großem persönlichen Einsatz aller Beteiligten, zu denen im ARTheater noch ein Auszubildender für Veranstaltungstechnik hinzukommt. Die Grenzen des Machbaren sind eng. Als im letzten Jahr bereits zugesagte Mittel von der Stadt aufgrund einer vorübergehenden Haushaltssperre nicht bewilligt wurden, musste kurzfristig eine Premiere verschoben werden. Man ist gewohnt zu improvisieren und versucht zu sparen – möglichst ohne die Qualität des Ergebnisses zu beeinträchtigen. Das große rote Blumenherz aus »Dead Mother« wurde von einem Freund zur Verfügung gestellt, der es früher mal geschenkt bekommen hatte. »Das Wichtigste ist Kraft im Output«, meint Bernd Rehse, der mit dem Kollegen Bohne regelmäßig auch selbst auf der Bühne steht. Die schönsten Rollen spielen die beiden gerne selber: eben die tote Mutter im Blumenkleid oder auf der ARTheater-Silvesterparty im schrillen Kostüm. Und doch kennen sie die Schwächen und Grenzen ihrer Arbeit. Was beispielsweise fehlt, ist eine funktionierende Öffentlichkeitsarbeit und Dramaturgie. Sie selber haben kaum Zeit dazu, deshalb müssen ihre Eigenproduktionen meist ohne Programmheft oder angemessene PR-Arbeit auskommen. »Wir können uns einfach niemanden leisten, der sich darum kümmern kann«, sagen sie. Na ja, es ist wohl auch eine Frage der Prioritäten.
Die Qualität des Ergebnisses ist das, was zählt: Nach diesem Kriterium werden auch die Gastspiele ausgewählt. Das ARTheater bietet dabei Raum für Experimente und Bewährtes. Gastspiele bereits erfolgreicher Produktionen von anderen Gruppen und Häusern, Kölner Schauspielschulproduktionen der Theaterakademie oder der Arturo-Schule finden hier ebenso ihr Publikum wie das Jugendtheaterensemble Young Acting Accomplices, das im März seine Interpretation des »Hamlet« zeigen wird. Sogar
Kathrin Sievers’ ideenreiche aber zu lang geratene Inszenierung des verkopften Stückes »Die Zeit und das Zimmer« von Botho Strauß mit Absolventen der Theaterakademie verträgt sich gut mit dem übrigen Veranstaltungsprogramm. Trotz Party und Eventprogramm eben keine Spur von sogenannter Spaßkultur.
Rehse und Bohne sind sich sicher, dass es in Köln noch mehr Leute mit mutigen Theatervorstellungen gibt: »Die sollen nur kommen. Wir haben noch Platz für gute Ideen«. Kooperationen auch struktureller Art mit anderen Häusern der freien Szene, wie sie mit der Studiobühne geplant sind und mit dem Gebäude 9 bereits laufen, soll es in Zukunft häufiger geben. Das Interesse der Kollegen wächst. Den Neid und das Konkurrenzdenken unter Kölns freien Theatern sehen die beiden kritisch, aber gelassen. Die Szene steht sich damit, das wissen auch sie, oft selbst im Weg, anstatt nach Synergien zu suchen und vorhandene Kapazitäten gemeinsam zu nutzen. Denn schließlich wollen ja fast alle in einem Punkt das gleiche: In Köln ein Publikum für ihre Vorstellung von Theater finden. Die nächste Eigenproduktion, wieder mit Regisseur Andreas Robertz, ist für September geplant. Dann werden auch Stefan Bohne und Bernd Rehse sicherlich wieder in einer jener ARTheater-typischen abgründigen Fantasien vorstellig werden. Doch bis dahin gibt es noch viele Gastspiele, Lesungen, Parties und Konzerte zu organisieren. ARTheaterarbeit eben.

Infos: www.ARTheater.de
Termine u.a. im Februar:
»Die Zeit und das Zimmer« von Botho Strauß, R:
Kathrin Sievers, eine Produktion der Theaterakademie Köln, 6.-8.2., 21 Uhr.; »Die Insel« von Athol
Fugard, R: Irina Miller, eine Produktion der Theaterakademie Köln, 1. (Premiere), 14.-16.2., 21 Uhr. »Zirkuskind«, gespielte Poesie von perVers, mit Christof Seeger-Zurmühlen (Words), Christoph Schlimbach (Piano), 13. (Premiere), 14.2., 21 Uhr
Reihen: Jazz-o-Rama: dienstags, 21 Uhr; Horrorlesung, 28.2., 0 Uhr