Echte Gefühle, falsche Welt

Mit »Dem Himmel so fern« erfindet Todd Haynes das klassische 50er-Jahre-Melodram neu

Dass im Science-Fiction-Klassiker »Invasion of the Bodysnatchers« außerirdische Invasoren sich der Körper kleinstädtischer Bilderbuch-Amerikaner bemächtigen, wird gemeinhin als Metapher für die zeitgenössischen Ängste vor kommunistischer Unterwanderung verstanden. Die steife Gefühlskälte, durch die in Don Siegels Film die Aliens in Menschengestalt auffielen, mag zugleich aber eine andere unterschwellige Sorge berührt haben: dass nämlich unter den uniformen Fassaden der vorstädtischen Eigenheim-Idylle, die in den 50er Jahren für immer mehr Amerikaner repräsentativ geworden war, ein Gefühl der Entfremdung lauerte.

Aus heutiger Perspektive scheint auch die damalige Ikonographie der Werbung und des Fernsehens diese Entfremdung zu belegen: Selbst wenn all diese aufgekratzt fröhlichen, rotwangigen Menschen, die in Familienformation immer wieder um den Esstisch oder vor dem Fernseher gruppiert sind, keine Aliens in Menschengestalt sein mögen – irgendetwas stimmt mit ihnen nicht! Diese Sicht der Ära Eisenhowers teilt in letzter Zeit vereinzelt auch das US-Kino. Vor allem in »Pleasantville« entpuppte sich das Amerika jener Jahre als von gefühlskalten, steifen Klötzen bevölkert, denen es ganz essenziell an Lebendigkeit mangelte.

Wenn »Dem Himmel so fern« mit geradezu stereotypen Bildern weißen, mittelständischen Familienlebens im Neuengland des Jahres 1957 beginnt, kann Drehbuchautor und Regisseur Todd Haynes darauf bauen, dass sein Publikum intuitiv Risse unter der perfekten Oberfläche vermutet. Das gilt umso mehr, als der Film deutliche Anleihen bei den Melodramen Douglas Sirks macht, in denen sich die Lebenswelten der weiblichen Hauptfiguren als zutiefst entfremdend entpuppen. Bereits die erste Einstellung zitiert das offensichtlichste Vorbild, »Was der Himmel erlaubt«, in dem Jane Wyman als wohlhabende Witwe die Ressentiments ihrer Freundinnen und Kinder ertragen muss, weil sie sich in einen einfachen Gärtner (Rock Hudson), der noch dazu wesentlich jünger ist, verliebt.

Auch Cathy Whitaker (Julianne Moore) verliebt sich in ihren Gärtner, doch sind es in ihrem Falle nicht soziale und Altersunterschiede, die dem gemeinsamen Glück im Wege stehen. Wie Fassbinder in seiner Sirk Hommage »Angst essen Seele auf« verknüpft Haynes die Konstellation aus »Was der Himmel erlaubt« mit dem Thema Rassismus. Es ist die schwarze Haut von Raymond (Dennis Haysbert), die bei den eigentlich unverfänglichen Treffen des Paares feindliche Reaktionen der braven Bürger von Hartfort, Connecticut, provoziert. Als wäre das nicht Konfliktstoff genug, erlebt Cathys Ehemann (Dennis Quaid) währenddessen, sehr widerwillig, sein Coming Out.
Dadurch dass Haynes gleich zwei der großen Tabus des Amerikas der 50er Jahre addiert, lässt er keine Zweifel an der Konstruiertheit seines Drehbuchs. Dazu passt das artifizielle Schauspiel der Darsteller: Die verbissene Verdrängung der eigenen Homosexualität scheint Quaids Figur jeden Schritt zu erschweren, während Cathys Verkörperung des von Betty Friedan
beschriebenen »Weiblichkeitswahns« in Moores eingefrorenem, aber fragilem Dauerlächeln ihren Ausdruck findet.

Am auffälligsten ist indes Haynes’ Farbdesign. Abgesehen von einer kurzen Miami-Episode in Pastell, dominieren Herbsttöne die Bilder von Kameramann Edward Lachman, wobei die Farbnuancen des welken Blattwerks nicht weniger exquisit erscheinen als die der darauf abgestimmten Garderobe. Allein dieser Farbenpracht wegen ist der Kinobesuch ein Vergnügen. Doch was »Dem Himmel so fern« zu einem meisterlichen Film macht, ist die Tatsache, dass dieses Stilelement, wie alle anderen, kein Selbstzweck ist.

Im Melodrama stellt sich dem privaten Glück traditionell die Außenwelt, zumeist in Gestalt einzelner Personen, in den Weg. Bei Haynes sind es aber nicht bloß die üblen Absichten einzelner Klatschmäuler und handgreiflicher Rassisten, derentwegen Cathys Liebe zu Raymond unmöglich ist. Jede öffentliche Berührung der beiden wird sogleich von anonymen Mitmenschen fast geschäftsmäßig unterbunden. Dazu bedarf es eines dichten Gewebes selbstverständlich gewordener rassistischer Diskurse und Praktiken.

Ausgerechnet für die Tatsache, dass die beiden Liebenden diesen kaum greifbaren gesellschaftlichen Kräften ausgesetzt sind, liefert die farbliche Opulenz eine Ahnung. In ihrer Allgegenwart wirkt sie zunehmend erdrückend. Deshalb isoliert Haynes seine Protagonistin just in dem Augenblick, als ihre Emanzipation kurzzeitig im Alleingang möglich scheint, durch einen altmodischen Trick von ihrer farbenprächtigen Umwelt und platziert sie im Studio vor einer Rückprojektion.

Das Schönste an diesem Film ist indes, dass Haynes, anders als Sirk, bei aller Referenzialität und Künstlichkeit auf Ironie in der Inszenierung verzichtet. So bietet ausgerechnet dieses, in gewisser Weise typisch postmoderne Pastiche, was das amerikanische Kino seinem Publikum zurzeit allzu oft vorenthält: anrührende Momente offener, zarter Emotionalität.

Dem Himmel so fern (Far from Heaven) USA 02, R: Todd Haynes, D: Julianne Moore, Dennis Quaid, Dennis Haysbert, 107 Min. Start: 13.3.