Die Probleme der Leute

Große finanzielle Beteiligungen der Städtischen Bühnen an einer Tanzproduktion waren in Köln lange Zeit rar. Laut Intendanz soll sich das ab März mit der Uraufführung der Schweizer Alias Compagnie unter Guilherme Botelho ändern. Gesa Pölert stellt die Genfer Gruppe vor und wirft einen Blick auf das restliche Tanzprogramm der Bühnen bis zum Sommer.

Die finanzielle Zukunft der Städtischen Bühnen und des Kölner Kulturetats hängt bekanntlich an seidenen Fäden. Ins bürgermeisterlich verordnete Sparschwein passen ganze Spielstätten, Produktionen und wer weiß, was noch alles. Wer da mitten ins Verhandlungschaos hinein auch noch nach der versprochenen Residenzcompagnie für die vor Jahren geschlossene Tanzsparte fragt, vernimmt aus dem Intendantenbüro Marc Günthers nach wie vor Absichtserklärungen und die erneute Versicherung, Tanz hätte »Prioritätsstufe A«.
Was also feststeht, ist lediglich der Spielplan bis zur Sommerpause. Dort sind immerhin noch zwei Tanz-Highlights und eine Auftragsproduktion verzeichnet: Im Juni gibt William Forsythes Ballett Frankfurt ein Gastpiel in der Oper. Forsythes Compagnie steht für das letzte ganz große Tanz-Experiment an deutschen städtischen Bühnen – von der Frankfurter Kulturpolitik wurde es trotzdem in den Wind geschossen: Es wird 2004 aufgelöst. Jetzt im März hat die Oper außerdem das Nederlands Dans Theater I (NDT) geladen und das Schauspiel die Schweizer Compagnie Alias mit einer Choreografie beauftragt.
»Le Poid des Éponges – Das Gewicht der Schwämme«, so der Titel dieser Arbeit, wird anteilig vom Kölner Schauspiel, der Kunstsalon Stiftung und Alias finanziert. Für die im wesentlichen in Genf choreografierte und dann nach Köln verfrachtete Koproduktion hat Marc Günther immerhin auf eine von ursprünglich zehn geplanten Sprechtheaterpremieren verzichtet. Mit Guilherme Botelho, Choreograf von Alias, will Intendant Marc Günther den Tanz für ein breites Publikum »wieder populär machen, ohne populistisch zu sein.«
Günther schildert Alias als einen Mittelweg, als eine Art »Handlungsballett von heute«. Botelho, in Sao Paulo geboren, hat lange am Grand Théâtre de Genève getanzt und zuletzt auch choreografiert, bis er 1993 sein eigenes Ensemble (ebenfalls in Genf) gründete. Mit Stücken wie »Moving a Perhaps« (1995) und »Contrecoup« (1996) ist er vor allem in der Schweiz erfolgreich gewesen. Was Botelho interessiert? »Die Leute und ihre Probleme, ganz einfach. Der Wunsch, geliebt zu werden«. Letzteres ist ein direktes Pina-Bausch-Zitat. Ganz eigenständig wirkten auch seine bisherigen Stücke nicht. Botelho-Produktionen wie »Contrecoup« oder »L’odeur du voisin« (2001) erinnern ebenfalls ans Wuppertaler Tanztheater, im Verein mit Anleihen bei zeitgenössischem Vokabular: Viele theatrale Elemente, Musik-Collagen mit Zitaten von Salsa bis Akkordeon; dazu realistische Bühnenbilder, die aber auch als Tore ins Absurde funktionieren.
»Das Gewicht der Schwämme« – Botelho weiß nicht mehr, von wem diese Zeile stammt, aus einem Gedicht jedenfalls. Vor allem, so erzählt er, passt sie perfekt zum Anliegen seines neuen Stücks (s. Interview). Die Choreografie für Köln dreht sich um die Austauschbarkeit der Wahrnehmung, will auf einer vielstimmigen Klaviatur möglicher subjektiver Empfindungen spielen. Immer wieder zeigt Botelho in seinen Stücken Alltag, wie er entgleist, wie er verschwindet in ausgeblendete Realitätsschichten. »Mr. Winter« (2000) etwa spielte in einem mediterranen Souvenirgeschäft voller Madonnenfiguren, Bibeln und Zeitungen. Verschiedenste Menschen begegnen sich dort. Ihre unterschiedlichen Wirklichkeiten lösen den Eindruck des Absurden aus. Botelhos Qualitäten in solchen gesprochenen und getanzten Surrealismen: Gekonnte mimische Typisierungen, absurde Komik, genau verfolgte Beziehungsstrukturen.
Ende März kommt dann das NDT mit einem absoluten Hochglanz-Programm, ein Muss nicht nur für das Tanz-, sondern auch das Musikpublikum: »Click-Pause-Silence« und »Psalmensinfonie« von Ji<breve>ri Kylián, dazu »Safe as Houses« von Paul Ligthfoot und Sol León. Das Paar hat in dieser Spielzeit die künstlerische Leitung des NDT übernommen. Beide haben lange unter ihrem Vorgänger Kylián getanzt und choreografiert, ohne je zu dessen Epigonen zu werden. Sie haben eine sinnlich überwältigende eigene Sprache gefunden, die trotzdem perfekt in die Linie der NDT-Tradition passt: Eine neue Klassik des zeitgenössischen Balletts. »Safe as Houses« choreografieren sie zu Musik von Bach als überwirkliches Spiel mit dem Raum.
Passend dazu ist auch Kyliáns »Click-Pause-Silence« Bach gewidmet. Mit Hilfe des Komponisten Dirk Haubrich trennt der Choreograf das »Wohltemperierte Klavier« in Stücke, lässt diese in der Stille schweben und beschwört so die Ewigkeit von Augenblicken. Kommen, Bleiben, Gehen ist das Thema. Ein Kreisen in der Musik und in der Zeit. Die vier TänzerInnen zeigen es in reduzierter, vollendet musikalischer Linie. Erstaunlich auch ein Wiedersehen mit der mittlerweile 25 Jahre alten »Psalmensinfonie« zu Strawinskys gleichnamiger Komposition. Mit diesem Stück ist Kylián berühmt geworden, und es hat nichts an Faszination eingebüßt. Ein großes Ensemble feiert vor einer rot leuchtenden Teppichwand Strawinskys Musik: als Gottesdienst zwischen gewaltiger Stille und ausgelassener Lebensfreude.
Eigentlich kann man einem Tanzpublikum kein größeres Geschenk machen als die Wiederaufnahme der zwischendurch eingeschlafenen Partnerschaft mit dem NDT. Aber wer kann und will schon – statt eines größeren Engagements der städtischen Kulturpolitik – von Geschenken leben?

Interview

Der brasilianische Choreograf Guilherme Botelho gründete die Alias Compagie 1993 in Genf. Hier spricht er über seine Koproduktion mit dem Schauspiel Köln (Premiere 8.3.).

StadtRevue: »Das Gewicht der Schwämme« – ein eher surrealistisch klingender Titel...

Guilherme Botelho: Eigentlich nicht. Für mich ist es eher ein etwas dunkles Indiz für die Thematik, Struktur und Intention des Stücks. Ein Schwamm hat kein festes Gewicht, ebenso wenig haben wir eine festlegbare Wahrnehmung von der Realität um uns herum. Genau das steht im Zentrum meines Stücks: Wie die selbe Realität von unterschiedlichen Personen auch ganz unterschiedlich gesehen wird. Unsere Unfähigkeit, objektiv zu sein.

Wie sieht so ein Philosophieren auf der Bühne aus?

Das Stück ist wie eine Art Stammbaum konstruiert, verschiedene Zweige gehen aus derselben Geschichte hervor. Wir haben mehrmals die selbe realistische Situation, wobei einige Elemente komplett ausgetauscht werden. Da ist zum Beispiel eine Familie: Vater, Mutter und Tochter. Der Vater will mit der Mutter tanzen, sie nicht. In der ersten Szene ist der Grund die Tochter, die sich seit einer halben Stunde mit der Mutter herumstreitet. In der zweiten will die Mutter nicht tanzen, weil sie und die Tochter Komplizinnen sind. In der dritten, weil sie sich die Haare trocknet. Bei allen drei Szenen ist das Resultat dasselbe, ist die Intention des Mannes dieselbe, aber es sind ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Realität.

Sie erzählen also relativ klassisch Tanztheater-Geschichten...

Uns haben immer die Leute interessiert und das Leben. Die Basisthemen: Leiden, Liebe, Einsamkeit. Die Unfähigkeit, ein Paar zu sein. Und den Wunsch, sich zu befreien aus einer zu begrenzten Wirklichkeit. Auch das aktuelle Stück ist das Triptychon einer solchen sozialen Situation.

In der Ankündigung für das Stück ist von einer erhofften »Sinneserweiterung« beim Publikum die Rede. Wie hat man sich das vorzustellen?

Wenn ich die Realität verschiedensten Interpretationen öffnen möchte, dann heißt das auch, beim Zuschauer verschiedenste Sensibilitäten zu stimulieren: Wir werden also unsre Themen auf unterschiedlichen Darstellungsebenen angehen – als ScienceFiction, Romantik, Suspense oder Horror –, um das Publikum jeweils anders zu berühren.

»Les Poids des Éponges-Das Gewicht der Schwämme«, Ch: Guilherme Botelho, Koproduktion Schauspiel Köln/ Alias Compagnie, 8. (Uraufführung)-10.3., Schauspielhaus, 19.30 Uhr.
»Click-Pause-Silence«, »Psalmensinfonie« Ch: Ji<breve>ri Kylián; »Safe as Houses«, Ch: Paul Lightfoot/Sol León, Gastspiele des Nederlands Dans Theater I, 26. (Premiere)-30.3.Opernhaus, 19.30 Uhr