Foto: Manfred Wegner

Report Porz

Chorweiler des Südens, Spiel­­wiese für die Profi-Stümper unter den Stadtplanern, krasse Zersiedelung: Porz ist gebeutelt. Porz ist schön: die Dörfer am Rhein, die Wahner Heide, Schloss Wahn, natürlich die Groov. Wer wie unser Redakteur Bernd Wilberg ein Porzer Jung ist, ist Kölns größtem Stadtbezirk in inniger Hassliebe verbun­den. Seine Analyse ist denn auch eine Abrechnung mit der Kommunal­politik. Aber jenseits der Politik ge­deiht die Zuneigung zu dieser verhinderten Großstadt: Porzer berichten in Protokollen von ihrem Alltag. ­Manfred Wegener hat diesen in Fotografien festgehalten.

 

Vielleicht aber hatte der Niedergang von Porz schon viel früher eingesetzt, weit vor der Eingemeindung nach Köln zum Jahresbeginn 1975. Vielleicht schon im Juli 1929, als die Bürgermeistereien Wahn und Heumar zur Großgemeinde Porz am Rhein zusammengefasst wurden, einem  Konglomerat von Dörfern, die kein gemeinsames Zentrum besitzen. Man hat es errichten wollen, das Zentrum. Mit aller Gewalt städtebaulicher Utopien. Man sprach von »Porzity« und »Porz-Centrum«, und doch sind dort heute nur die Fehler einer entgleisten Stadtplanung zu bestaunen: Hochhaussiedlungen, Schnellstraßen, wahllos verstreute Gewerbegebiete.

 

In dieser Zersiedelung konnten all die Orte der ehemaligen Stadt Porz nicht zusammenfinden: Westhoven, Ensen, Gremberghoven, Eil, Urbach, Elsdorf, Grengel, Wahn, Wahnheide, Lind, Libur, Zündorf, Langel und schließlich der Stadtteil Porz, der diesem Verbund verstreuter Vororte den Namen leiht. Ende der 60er Jahre versuchte man dann, den Namen »Porz-Centrum« zu etablieren. Das klang ein wenig mondän und war doch nichts als eine trotzige Beschwörung.

 

 Flanieren in der Tristesse

 

»Porzity — Ziel vieler netter Leute« steht auf der Lichterkette, die über der Fußgängerzone zwischen Straßenbahn-Haltestelle und Rheinufer gespannt ist. Sie baumelt dort seit Jahrzehnten. Man kann trefflich darüber sinnieren, wie viel Selbstbetrug in diesem Slogan steckt. Was einst als Flaniermeile gedacht war, nehmen sich seit gut 25 Jahren kaum noch Leute zum Ziel. Jedenfalls keine, die dafür länger anreisen müssten. Und weil Porz mit fast achtzig Quadratkilometern der größte Stadtbezirk ist, bedeutet dies eben auch, dass kaum jemand aus Westhoven im Norden oder Zündorf im Süden hier bummeln geht. Wer wollte in dieser Tristesse auch flanieren? Die Zeiten, als hier nicht nur die fünf Brunnen-Kugeln von Gottfried Kühn sprudelten, sondern auch die Einnahmen der Einzelhändler, sind längst passé. 

 

Der Marktplatz ist das Symbol für das Porzer Desaster. Wie ließe es sich auch treffender versinnbildlichen als mit dem 1971 eröffneten Warenhaus, das infolge der Hertie-Pleite seit mittlerweile mehr als vier Jahren vergammelt, ebenso wie die zugehörige größenwahnsinnig überdimen-sionierte Tiefgarage. Gegenüber der Konsum-Ruine stand mal eine Ladenzeile mit Pavillons.  Ende Juli 2005 sind sie nachts in Flammen aufgegangen. Schutt und Asche hat man weggeschafft und dann ein paar Bauzäune aufgestellt, deren Sichtschutz ein Porz-Panorama aus besseren Tagen zeigt. Wer mag, schlendert über die Überführung, die die Hauptstraße überbrückt und wo weitere Laden-lokale leer stehen, ehemalige Sonnenstudios und Copy-Shops. Vorbei geht es am Bezirksrathaus, in dem Lokal-politiker kaum etwas bewirken können, und dann hinunter zum Rhein-ufer, wo die grotesk wuchernde Kopfweiden Spalier stehen — und wo vielleicht  irgendwann einmal die abgesperrte marode Treppe repariert wird. Ja, der Rhein ist schön, wie er sich hier im Weißer Bogen windet. Überhaupt ist Porz auch schön: der Königsforst im Osten, die Auenlandschaft entlang des Rheins im Süden — überall, wo nichts gebaut wurde. 

 

 Pessimisten unerwünscht

 

Die Porzer Lokalpolitiker aber hören es nicht gern, wenn man so über Porz redet. Zur Attraktivierung des Zentrums, so nennt man das -hier immer noch, hat man im Oktober 2003 den »City Center Porz« eröffnet, mit dem üblichen Filialen für Unterhaltungs-elektro-nik und Kosmetik. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das, befand kurz vor Eröffnung der damalige Bezirksbürgermeister Horst Krämer (CDU) im Gespräch. Konkurrenz belebe das Geschäft. Aber die Konkurrenz liegt in den letzten Zügen oder ist längst pleite. »Von Pessimisten und ständigen Nein-Sagern haben wir hier in Porz die Nase voll«, so Krämer damals. Dabei ist das Porzer Desaster seit den 70er Jahren doch vielmehr eine Folge der ständigen Ja-Sager. Ja — zu den Hoch-haus-sied-lun-gen. Ja — zu den überdimensionierten städtebaulichen Pla-nungen. Ja — zu dem Irrsinn, in der Innenstadt die Wohn-stra-ßen abzureißen, um dort ein »Rheinhattan«, ein »Ge-gen-Köln« zu errichten, so sagten das manche wirklich, und noch mehr dachten es wohl, denn sonst sähe es hier heute nicht so aus.

 

Doch diese städtebauliche Verdichtung wirkte vor vierzig Jahren modern — uns Porzer Grundschülern wurde im Sachkunde-Unterricht dieser Fortschrittsoptimismus mit entsprechenden Broschüren eingetrichtert. Und es besaß eine immanente Logik. Rechnete man doch zu Beginn der 70er Jahre mit 130.000 Bewohnern für das damals so magische Jahr 2000. 

 

 Als die Schlote noch rauchten

 

Porz schien dem Bürgertum einst tatsächlich attraktiv,  mit der Industrialisierung erlebte es einen rasanten -Aufstieg. Schon 1874 war man an die Eisenbahn angeschlossen, und das steile Rheinufer ermöglichte den Transport von Waren per Schiff. Es gab mit der Adelenhütte einen modernen Hochofen. Dann kamen Felten & Guilleaume (später die Dielektra AG), dazu die Spiegelglaswerke Germania, deren Arbeitersiedlung aus rotem Backstein heute unter Denkmalschutz steht. Mit Gremberghoven hatte man einen gigan-tischen Rangierbahnhof. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg boomte die Wirtschaft, die Schlote rauchten, während zugleich noch Fischerei und Landwirtschaft betrieben wurde. 

 

Als Porz am 16. September 1951 die Stadtrechte erhielt, wohnten hier 33.000 Menschen. Die Reden von Bürgermeister Alfons Kafka (SPD) und seinem Stadtdirektor Melchior Kurth troffen nur so vor Stolz und Pathos. Von Kraft und Willen, von Ehrfurcht und Heimat war da viel die Rede; man hatte seinen Wortschatz noch nicht ganz modernisiert. Dafür wurde die  Stadt immer moderner. Und die Kölner Oberbürgermeister warfen begehrliche Blicke über die Stadtmauer in den rechtrheinischen Süden, wo sich Porz anschickte, Großstadt zu werden.

 

 Tabula rasa mit der Abrissbirne

 

Im August 1967 öffnet das Autokino (bis heute eine charmante Attraktion des Obskuren), im September nimmt das Krankenhaus den Betrieb auf. Im Jahr darauf eröffnet in Porz mit »Plaza« das erste SB-Warenhaus in der Region. Das Bevölkerungswachstum ist enorm — und wird zum Problem. Wohnraum muss her, dazu Park-häuser, Tiefgaragen, breite Straßen, man stapelt die -vielen neuen Porzer in Hochhäusern. Überall soll das Überkommene der Moderne weichen. Dafür wird ab 1971 die Porzer Innenstadt systemisch gesprengt, »Porz-Centrum« gleicht einem Tagebaugebiet. »Es werde Stadt«, -lautet der Schlachtruf der Planer und Politiker. Man baut stattdessen den Warenhaus-Klotz, die heutige Hertie-Ruine, auf den Marktplatz.

 

Nur die Eingemeindung 1975 stoppt die entfesselte Gigantomanie. Pläne für ein 16-stöckiges Rathaus direkt am Rheinufer, ein Hotel-Hochhaus mit acht Etagen und 200 Betten sowie ein Kongresszentrum verschwinden ebenso, wie das Vorhaben, in Porz-Langel eine weitere Rheinbrücke zu bauen — Ende der 80er Jahre ist daraus ein privater Fährbetrieb für Fußgänger und Radfahrer geworden, die an der Zündorfer Groov, einem  Erholungsgebiet, nach Weiß übersetzen  können. Etliche vermessene Ideen sind durch die Eingemeindung verhindert worden. Die guten Ideen aber leider ebenso: Viele sinnvollen Projekte sind nach der Eingemeindung nur in der Billig-Variante umgesetzt worden. Statt der benötigten Erweiterungsbauten für die Schulen gab es zunächst bloß schnöde Container, und auf die Verlängerung der Straßenbahnlinie 7 in den Porzer Süden wartet man seit Jahrzehnten.

 

 Enttäuschung und Wut in der »menschenfreundlichen Stadt«

 

Zwischen Eil und Gremberghoven wurde seit 1968 begonnen, auf freiem Feld eine Trabantenstadt hochzuziehen: ein »Demonstrativ-Bauvorhaben« der Nordwestdeutschen Siedlungsgemeinschaft (NWDS) für 12.000 Menschen. Die Plattenbauten, bis zu 21. Stockwerke hoch, flankieren eine Ringstraße, die ein Labyrinth aus Bungalows für Besserverdienende einhegt. Das »Modell für eine menschenfreundliche Stadt«, sagten die Planer. »Demo-Gebiet«, nannten es die Porzer. In 80er Jahren meldete die NWDS dann Insolvenz an. Seitdem sind die Aufzüge kaputt und die Fassaden blättern ab – das ist bloß noch für internationale Finanzinvestoren attraktiv. Seit Juni 2000 ist dieser soziale Brennpunkt offiziell Sanierungsgebiet. Heute leben hier 7.500 Menschen. Enttäuschung und Wut versuchte die Politik zu mildern, indem sie das »Demo-Gebiet« 2007 zum Stadtteil »Finkenberg« aufwertete. Immerhin: Vor kurzem wurde die Fußgängerzone saniert, die Beleuchtung erneuert. Auf eine Lichterkette wie in Porz-Mitte hat man wohlweislich verzichtet. 

 

Als 2011 trotzig der 60. Jahrestag der Stadtwerdung gefeiert wurde, beschworen Lokalpolitiker »eine diffuse Porzer Mentalität« und  das rege -Vereinsleben. Vor dem Rathaus gab  es ein Kulturprogramm mit Tanzgruppen und Musik. Der Ballermann-Trompeter Bruce Capusta stellte sich auf eine der -Bierbänke und feuerte das verduzte Publikum an: »He, was geht ab? Wir feiern die ganze Nacht!«

 

 Schrott-Immobilie als Wahrzeichen

 

Aber auch stimmte nicht. So wie der Slogan der schmutzigen Lichterkette, die weiterhin traurig über der Fußgängerzone baumelt. Soeben hat man im Kölner Rat beschlossen, einen Architektenwettbewerb auszuloben, um das Gebiet rund um die Hertie-Ruine schöner zu machen. Dass man den Klotz verkauft bekommt, da ist man sich sicher, auch wenn keine Investoren für diesen Immobilien-Schrott in Sicht sind. Und wenn man sich in Porz umhört, wird klar, dass nicht viele daran glauben. Sei es, weil die meisten Politiker im Kölner Rat immer erst im Wahlkampf ihr Ohr für die gut 108.000 Porzer öffnen. Sei es, weil die Leute tatsächlich die Nase voll haben: etwa von den notorischen Optimisten und Ja-Sagern, die Porz zu dem gemacht haben, was es heute ist.

 


Weitere Stadtteilporträts in der Stadtrevue:

→ Ehrenfeld (2010)
→ Kalk (2011)
→ Mülheim (2012)
→ Nippes (2014)
→ Chorweiler (2015)
→ Deutz (2016)
→ Ehrenfeld (2017)