Strafvereitelung im Amt

Eberhard Reinecke, Rechtsanwalt und Nebenklagevertreter, kommentiert den Strafprozess Erol Ispir

Am 3. Februar fand erneut die Strafverhandlung gegen einen an der Tötung des Kurden Erol Ispirs Beteiligten statt. Seit der Tat am 1. Juli ‘99 im Kalker Lokal des türkischen Vereins für ArbeitsmigrantInnen (AGIF) zieht sich die Angelegenheit hin. Der andere Beteiligte sitzt in der Türkei in Untersuchungshaft, ihm wird dort der Prozess gemacht. Die StadtRevue hat in der Vergangenheit regelmäßig über diesen Fall berichtet.

Schwurgericht nun zuständig

Die Verhandlung endete mit einer deftigen Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft: Das Amtsgericht verwies die Sache an das Schwurgericht, da nach einem Tag Beweisaufnahme feststand, dass der Verdacht des Tötungsdeliktes besteht und nicht nur der einer Körperverletzung. Ausschlaggebend für das Gericht war dabei unter anderem die Angabe der Gerichtsmedizinerin, nach der zwei jeweils für sich tödliche Stiche von unterschiedlichen Tatwerkzeugen stammen. An dem Griff eines der möglichen Tatwerkzeuge waren darüber hinaus DNA-Spuren des in Köln Angeklagten gefunden worden.

Staatsanwaltschaft auf Seite des Täters?

Diese Entwicklung war seit der Tat absehbar: Bereits am 2. Juli 1999 hält die Gerichtsmedizin in ihrem Protokoll fest: »Die Wundmorphologie kann durch zwei unterschiedlich gestaltete Tatwerkzeuge verursacht worden sein. Eine genauere Bewertung ist nach Vorlage bzw. exakter Beschreibung möglicher Tatwerkzeuge durchführbar.« Weder diese Ausführungen noch meine Anträge vom Oktober 1999 und Februar 2000 können die Staatsanwaltschaft bewegen, diese erforderlichen Gutachten in Auftrag zu geben. Sie macht sich vielmehr unkritisch die Behauptungen des Täters zu Eigen, das Opfer habe ihn und seinen Mittäter beschimpft, später mit dem Messer bedroht, er habe ihm das Messer aus der Hand geschlagen, der andere Täter habe dann ohne seinen Willen zugestochen. Meine öffentliche Kritik an der Arbeit der Staatsanwaltschaft wird von der Pressesprecherin mit der wahrheitswidrigen Behauptung abgewehrt, dass »die Spurenlage am Tatort, sowie die gerichtsmedizinische Untersuchung die Aussage des Tatverdächtigen unterstützten« (KStA vom 14.10.1999).

Unzureichende Ermittlungen

Die unterlassene gerichtsmedizinische Begutachtung bis zur Hauptverhandlung ist aber nur eine der Ermittlungspannen. Wie sich nunmehr herausstellte, ist das Messer mit den meisten Blutanhaftungen im Griffbereich nicht auf Täter-DNA untersucht worden. Der Leiter der Mordkommission meinte, ohne Untersuchung entscheiden zu können, wegen eventueller Überdeckung mit Opferblut seien keine Ergebnisse möglich. Darüber hinaus schob die Staatsanwaltschaft – trotz einer Dienstaufsichtsbeschwerde – die Akte anderthalb Jahre vor sich her, um zweimal den Mittäter in der Türkei zu vernehmen, was – oh Wunder! – nichts zur Klärung beitrug.

Politischer Hintergrund bleibt unbeachtet

Das Ganze wird garniert mit der Abwehrhaltung gegenüber dem offensichtlich politischen Hintergrund der Tat. In Wohnungen beider Tatverdächtiger wurden nicht nur Symbole der rechtsradikalen Grauen Wölfe gefunden, sondern auch umfangreiche Literatur dazu. Anders als bei den §129/§129a-Prozessen gegen Linke, in denen bei Hausdurchsuchungen einschlägige Literatur als wesentliches Indiz für Gesinnung und angebliche Beteiligung sichergestellt wurde, begnügt sich der Staatsschutz hier mit einer Besichtigung der Wohnung und erstellt Fotografien, vorhandene Literatur wird nicht einmal aufgelistet. Der Leiter der Mordkommission meinte, politische Motive deswegen ausschließen zu können, weil die Angeklagten wegen ihres Alkoholkonsums angeblich nicht Mitglieder der Grauen Wölfe seien. Kein Wort davon, dass zumindest einer der Täter etwa zwei Wochen vor der Tat einen iranischen Kurden lediglich wegen seines Eintretens für Kurdistan krankenhausreif geschlagen hat.

Verschleppung des Verfahrens

Selten – abgesehen von Strafanzeigen gegen Polizeibeamte – habe ich ein Verfahren gesehen, in dem die Staatsanwaltschaft so einseitig zu Gunsten des Angeklagten ermittelt, unkritisch dessen Einlassung einschließlich der Verunglimpfung des Opfers übernimmt, notwendige Ermittlungen nicht durchführt und das Verfahren derart verschleppt. Das erfüllt objektiv den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt. Eine lange Verfahrensdauer, die vom Angeklagten nicht zu vertreten ist, gilt generell als Strafmilderungsgrund, und so kann der Angeklagte damit rechnen, dass ihm Haftzeit allein deswegen erspart bleibt, weil die Staatsanwaltschaft Köln extrem schlampig gearbeitet hat, falls es tatsächlich »nur« Schlampigkeit war.

Nun Hoffnung auf sorgfältigen Prozess

Es bleibt zu hoffen, dass sich nunmehr das Landgericht etwas sorgfältiger mit den Hintergründen auseinander setzt und dass darüber hinaus die Staatsanwaltschaft ihre Blockadehaltung aufgibt. Die Vertreterin in der Hauptverhandlung am 3. Februar 2003, die bisher nicht mit der Angelegenheit befasst war, hatte sofort erkannt, dass die Anklage zum Schöffengericht unangemessen war. Sie beantragte sogar, den Angeklagten unverzüglich wieder in Haft zu nehmen, ein Antrag, dem das Gericht allerdings nicht folgte. Vielleicht gelingt es aber vor dem vierten Jahrestag des Todes von Erol Ispir das Verfahren zumindest in der ersten Instanz zu Ende zu führen.