Nie war er so wert­voll wie heute

Die Kunsthalle Düsseldorf »reproduziert« den Kapitalistischen Realismus

Vor fünfzig Jahren, in besten Wirtschaftswunder-Zeiten, verwan-delten zwei junge Künstler ein Düsseldorfer Möbelhaus in ein Gesamtkunstwerk. Der Geschäftsinhaber hatte der Aktion wegen der erhofften Werbewirkung gerne zugestimmt. So stellten Gerhard Richter und Konrad Lueg, Absolventen der Düsseldorfer Kunst-akademie auf der Suche nach einer professionellen Perspektive, in den Räumen des Möbelhauses Berges nicht nur ihre Werke, sondern auch sich selber aus. In ihrem Programm für den inzwischen legendären Abend des 11. Oktober 1963 hieß es: »Aufstellung eines durchschnittlichen Wohnzimmers in Funktion, d.h. bewohnt; dekoriert mit den jeweiligen Utensilien, Speisen, Getränken, Büchern, Hauskram und den beiden Ma-lern.« Als Verfremdungseffekt wurden die Möbel auf Sockel gestellt; im Fernsehen lief derweil die Tagesschau und verkündete den Rücktritt des Kanzlers Konrad Adenauer — Ende einer Ära.

 

»Leben mit Pop — eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus« nannten Lueg und Richter ihr neodadaistisches Spektakel, bei dem auch Texte aus Möbelkatalogen verlesen wurden und das tumultartig mit einstürzenden Betten in der Schlafzimmerabteilung endete. Das Label »Kapitalistischer Realismus« hatten Richter und Lueg — der wenige Jahre später als Galerist Kunstgeschichte schreiben sollte — zusammen mit ihren Kollegen Sigmar Polke und Manfred Kuttner aus der Taufe gehoben. Anlass war — in Ermangelung von Galerieverbindungen — eine selbst organisierte Ausstellung in einem leerstehenden Ladenlokal in der Düsseldorfer Innenstadt. Die Begriffsfindung verdankte sich nicht zuletzt der Herkunft von Kuttner, Polke und Richter aus der damaligen DDR, wo Letzterer eine Reihe von Werken im Stil des Sozialistischen Realismus zurückgelassen hatte. Aus der Kunstwelt des Westens hingegen kamen neue, gegenständliche Tendenzen wie Neo-Dada, New Realism und Pop Art. Die angehenden kapitalistischen Realisten kannten diese Kunst vor allem aus Zeitschriften. Sie verarbeiteten diese ästhetischen Impulse zu einem visuellen Kommentar der deutschen Nachkriegsgesellschaft samt ihrer Verdrängung der NS-Vergangenheit und ihrem Hang zur verkitschten Idylle.

 

In eine ähnliche Kerbe schlug auch die internationale Fluxus-Bewegung: »Fördert eine revolu-tionäre Ebbe und Flut der Kunst«, lautete einer der Slogans, die auf dem »Festum Fluxorum Fluxus« 1963 kursierten — ein Event an der Düsseldorfer Akademie, das Richter, Polke und Lueg miterlebt hatten. Ein Jahr später erklärte der junge Berliner Galerist René Block — stolzer Gründer der »schäbigsten Galerie Deutschlands« (O-Ton Block) — den »Kapitalistischen Realismus« zu einer Richtung mit explizit politischem Anspruch und erweiterte sie um Künstler wie Wolf Vostell oder KP Brehmer, der seinen Vornamen demonstrativ durch das Kürzel der Kommunis-tischen Partei ersetzt hatte. 

 

Die Kunsthalle Düsseldorf präsentiert in diesen Wochen einen fundierten Rückblick auf das ebenso eindringliche wie kurzlebige Phänomen des »Kapitalistischen Realismus«. Die Ausstellungsarchitektur erinnert an Schaufensterpassagen, in denen Druckgrafiken und Objekte sowie Briefe, Zeitungsartikel und andere Archivalien ausliegen. Die Dokumente zeigen, wie einige einfallsreiche und selbstironische Künstler versuchten, im Kunstbetrieb »einen Fuß in die Tür« zu bekommen, buchstäblich. Rolf Jährling, einem Wuppertaler Förderer der Avantgarde, setzten sie unaufgefordert eine Ausstellung in den Vorgarten. Es war, daran sei erinnert, eine Zeit, in der es weder Messen noch ein Auktionswesen für zeitgenössische Kunst gab; die Preise waren ebenso überschaubar wie die Anzahl von Galerien für unkonventionelle Kunst. Inzwischen erzielen viele der damals entstandenen Originale Rekordpreise und sind nur noch mit größtem finanziellem Einsatz zu zeigen — ein Aufwand, der die Mittel vieler Institutionen übersteigt.

 

Die Kunsthalle gibt hierauf eine radikale Antwort und zeigt stattdessen ausschließlich foto-grafische Reproduktionen — auch dies eine Form von »kapitalistischem Realismus«. Für eine aktuelle kapitalismuskritische Reflexion sorgt ein Filmprogramm auf Videomonitoren, zusammengestellt von dem in Düsseldorf lehrenden amerikanischen Künstler Christopher Williams.

 

Es braucht Zeit, sich in die Geschichten des »Kapitalistischen Realismus« zu vertiefen. Wer auf der Suche nach den — selbstverständlich höchst sehenswerten — Originalen ist, findet sie derzeit beispielsweise in der ersten Werkschau von Manfred Kuttner in der Hombroicher Langen Foundation.