Foto: Manfred Wegener

Sieg mit Schönheits­fehlern?

Das Autonome Zentrum ist aus Kalk in die Innenstadt gezogen.

Aber die Einigung mit der Stadt stößt nicht bei allen auf Zustimmung

Die erste Begegnung mit den neuen Nachbarn ist freundlich. Ein älterer Mann mit Bluetooth-Headset kommt auf die neuen Mieter des Eifelwall 7 zu. »Hallo, ich bin?…?«, beginnt er und zögert kurz, »?…?der Michael«. Hände werden geschüttelt. Michael ist der Chef eines Wachdienstes, der die ­beiden Nachbarhäuser des neuen Autonomen Zentrums bewacht. »Mit Hunden — nur damit ihr Bescheid wisst«, sagt er und verabschiedet sich mit einem zweiten Händedruck: »Auf gute Nachbarschaft!«.

 

Bis Ende 2014 dürfen die Aktivisten mietfrei am Eifelwall bleiben. Dann soll hier das neue Stadt­archiv entstehen. Danach soll es um die Ecke im ehemaligen Kanalbauamt an der Luxemburger Straße weiter­gehen. Zumindest bis auch dieses Haus wie im Masterplan vorgesehen 2019 einer Grünfläche weichen muss.

 

Noch vor wenigen Wochen schien eine solche Lösung undenkbar. Was war nicht alles geschehen? Räumungsdrohung, Klebstoff-Attacken auf die Häuser der Kölner SPD-Granden, Brandartikel im Kölner Stadt-Anzeiger, Solidaritätserklärungen aus Kunst und Kultur. Die Stimmung in der Stadt war aufgeheizt.

 

Was zunächst kaum an die Öffentlichkeit drang: Seit Mitte Juli wurde auch mit der Stadt verhandelt. Nachdem die Aktivisten lange Zeit versucht hatten, mit der Stadt in Kontakt zu treten, war schließlich auch die Verwaltung zu Verhandlungen bereit. Der öffentliche Druck zeigte Wirkung, und auch die Kölner Polizei hatte wie schon 2011 Bedenken gegenüber einer Räumung. Also setzte man sich zusammen. Auf der einen Seite Stadtdirektor Guido Kahlen und Detlef Fritz, der Leiter des Liegenschaftsamtes. Auf der anderen Seite eine Delegation des AZ. Als Vermittler: Witich Roßmann von der IG Metall. Über 20 Standorte wurden im Laufe der Verhandlungen geprüft, darunter auch mehrere in Kalk. Doch man konnte sich auf keinen Ort im Rechtsrheinischen einigen. Für Tom vom AZ eine politische Entscheidung: »Die SPD wollte das AZ einfach nicht in Kalk haben.«

 

Stattdessen geht alles auf einmal ganz schnell: Kurzfristig bekommen die AZ-Verhandler das Angebot, an den Eifelwall zu ziehen. Innerhalb weniger Tage sollen sie entscheiden. Eine Woche später im August bekommen sie den Vertrag vorgelegt, bis Freitag muss die Entscheidung stehen. Eine Handvoll Plena und Besichtigungstermine später wird der Vertrag unterzeichnet. Eine Woche später stehen sechs LKWs vor dem Gebäude am Eifelwall, wo die Ex-Besetzer gemeinsam mit von der Sparkasse bezahlten Umzugshelfern ihr Hab und Gut ausladen.

 

Eine Lösung im Einvernehmen, zumindest wenn man den Stimmen aus der Politik glaubt. »Ein politischer Erfolg« sagen die Grünen. SPD-Chef Jochen Ott ist »höchstzufrieden«, die Linkspartei »begrüßt« die ­Einigung, und CDU und FDP meckern. Nur eine Person hält sich bedeckt: OB Jürgen Roters (SPD), der bis zuletzt eine Räumung favorisierte.

 

Aber wie sehen die AZ-Betreiber selbst die Verhandlungsergebnisse? »Der Umzug wird von vielen eher als Niederlage empfunden«, sagt Anne, eine Aktivistin. Die Kritik richtet sich vor allem darauf, dass man sich von der Politik die Pistole auf die Brust habe setzen lassen. »Viele haben kritisiert, dass wir diesen Druck angenommen haben und dadurch nicht mehr offen für die notwendigen internen Diskussionen waren«, sagt Tom. Was wollen wir mit einem AZ? Brauchen wir das AZ nur um seiner selbst willen?

 

Tatsächlich war der Anspruch bei der Besetzung 2010 ein anderer: Man wollte Stadtteilarbeit machen, und zwar in Kalk, wo es kein Kino gibt, kaum Ausgehmöglichkeiten, wenig Angebote für Jugendliche. Es gibt nicht wenige Aktivisten, die das Angebot der Stadt nicht angenommen hätten. Rechtsrheinisch oder gar nicht, so die Losung. Zur Not hätte man sich räumen lassen und dann neu aufgestellt.

 

Das Bild zur Stimmung gibt’s an der Wiersbergstraße. Die ehemalige KHD-Kantine, in der seit 2010 das Autonome Zentrum beheimatet war, ist nur noch Fassade. Ein Stück Western-Stadt im Kölner Osten. Die Fenster wurden rausgeschlagen, man schaut in leere Höhlen. Ein Mahnmal. Die grüne Vorderfront, letzte große farbliche Veränderung und kleiner Gruß an den geplanten Grünstreifen, wirkt noch frisch.

 

Ein Bild, das rückblickend für Unverständnis bei Beobachtern sorgt: »Man hätte die KHD-Kantine zum Teil erhalten können«, meint Grünen-Ratsherr Jörg Frank. »Dann wäre immer noch Platz für einen kleinen Grünstreifen gewesen.« Südlich der Wiersbergstraße besitzt die Stadt zudem ein paar Gebäude, wollte sie aber dem AZ nicht mietfrei über­lassen. »Auch gemeinnützige Organisationen zahlen Miete«, erklärt das Büro des Stadtdirektors auf Anfrage.

 

Tom war von Anfang an dabei, gehörte zur Kampagne Pyranha, die seit 2009 die Suche nach einem AZ für Köln vorantrieb. Nun sitzt er im neuen AZ, und erklärt den Konflikt. Im Hintergrund schlängeln sich Gasleitungen an den gekachelten Wänden entlang, im zukünftigen Veran­staltungsraum stehen noch die Labortische mit ihrer Backsteinoberfläche und den Bunsenbrenner-Anschlüssen. »Klar braucht Kalk einen solchen Ort mehr als die Südstadt. Aber man muss auch fragen: Wie gut hat die Stadtteilarbeit in Kalk funktioniert?« Der Fokus auf »innerlinke Diskussio­nen« habe Menschen aus Kalk auch manchmal abgeschreckt.

 

Tom sieht den Eifelwall als Chance auf einen Neubeginn: »Es gab bei den ersten Treffen hier viel Kritik, dass das alte AZ sehr in sich geschlossen war. Vielleicht schaffen wir es, da nun offener ranzugehen«, sagt er und fügt selbstkritisch hinzu: »Wegen des Zeitdrucks in den Verhand­lungen konnten wir die Frage, was wir denn vom AZ in Zukunft wollen, nicht ausreichend diskutieren.« Das will man nun nachholen. Ideen gibt es schon. »Wir sind jetzt nah dran an vielen sozialen Kämpfen. Gericht und Arbeitsamt sind unsere Nachbarn, auch die ­Universität ist nicht weit. Das ist spannend«, sagt Tom.

 

Nicht nur inhaltlich, auch praktisch gibt es noch viel zu klären. Der Hof des Gebäudes am Eifelwall kann nicht genutzt werden und die Räume sind zu klein für Partys, die die wichtigste Einnahmequelle der Aktivisten darstellen. Am nächsten Standort an der Luxemburger Straße sähe das anders aus: keine Nachbarn, ein großer Hof und viel Platz für Anlage und Tanzfläche. Aber auch hier gibt es noch viele Fragezeichen. Bis Ende November soll der Vertrag unterzeichnet sein, sofern das Bauauf­sichts­amt die Nutzung absegnet. Wie viel die Renovierung der Gebäude kosten wird, ist noch unklar, Stadtdirektor Kahlen rechnet mit rund 80.000 Euro. »Nach erster Sichtung ist die Lage nicht schlimmer als damals an der Wiersbergstraße«, erklärt Tom. Fest steht, dass das AZ die Kosten selbst tragen muss.  Am liebsten würden sie so schnell wie möglich mit der Renovierung beginnen und dann Stück für Stück umziehen »Am liebsten noch vor Ende 2014«, so Anne.

 

Davor steht allerdings der Winter und damit ein weiteres Problem. Im vergangenen Jahr war im Rahmen der »Winterhilfe« eine Notschlafstelle am Eifelwall 7 untergebracht. Das Angebot richtete sich speziell an Menschen ohne Sozialleistungsanspruch, sagt Werner Just vom Sozialdienst Katholischer Männer (SKM). »Es ist noch völlig unklar, wo wir im kommenden Winter sind«, so Just. Die Verwaltung favorisiert dem Vernehmen nach eine gemeinsame Nutzung des Gebäudes durch SKM und AZ — bei im vergangenen Jahr durchschnittlich 95 Nutzern der Notschlafstelle eine nicht durchführbare Idee. Eine unschöne Situation für die AZ-Aktivisten. »Der SKM ist nicht unser Gegner, im Gegenteil. Wir wollen das unbedingt klären«, meint Tom.

 

Trotz all dieser Probleme: Die Zukunft, sie könnte schlechter aussehen für die AZ-Betreiber. »Wir wollten seit Jahren ein AZ in Köln. Das haben wir jetzt, mit Vertrag. Auch das ist Fakt«, sagt Anne. Die begrenzte Per­spek­tive sei kein wirkliches Problem. »Das hat für uns gezwungener­maßen noch nie eine Rolle gespielt«, erklärt Tom.

 

Und Kalk? Ein neuer Infoladen hat aufgemacht, Ende September eröffnet ein veganes Café, und auch das urbane Gartenprojekt »Pflanzstelle« macht weiter. »Diese Initiativen haben sich direkt aus dem AZ entwickelt«, sagt Anne. Auch in Zukunft wolle man weiter im Stadtteil aktiv sein. Eine Gruppe hat sich Mitte September in Kalk getroffen, um weitere politische Aktivitäten zu planen. Und der Kalker Blog »Sonne, Mond und Sterne« kündigte bereits an, dass der Kampf für linke Freiräume im Rechtsrheinischen weitergehen wird. »Kalk aber wird widerständig und aufmüpfig bleiben. Vielleicht mehr als zuvor.«