Foto: Manfred Wegener

Neue Maschen

Yarn Bomber, Maschenkünstler, häkelnde Aktivisten, rebellische Strickbotschafter. Egal ob jung oder alt, Kölns Strickszene ist so lebendig und vielfältig wie nie.

Strickende Feministinnen und subversive Stickerinnen — gibt es nicht? Gibt es doch! Im August, zum Start des Wollfestivals im Sport- und Olympiamuseum am Rhein­au­hafen hatte die Strick-Guerilla von Köln wieder einmal zugeschlagen: ein über und über mit Brüsten, Blumen und kleinen blauen Kraken bestrickter Laternenmast versetzte die Spaziergänger im nahe gelegenen Bayenthal in Auf­regung. »Dedicated to Femen« stand auf dem kleinen Schildchen, das an dem auffälligen Strickobjekt baumelte und bewies, dass die ehemals als antifeministisch verpönte Handarbeit endlich auch unter subversiven Vor­zeichen den Sprung nach Köln geschafft hatte.  

 

»Urban Knitting« oder »Guerilla Knitting« nennt sich dieser kuschelige Ableger der Street Art, der 2005 in Texas erfunden wurde und seitdem als neuer Hand­arbeits­trend auch Köln erobert hat. Hier eine umhäkelte Ampel im Belgi­schen Viertel, dort ein flauschiger Pollerwärmer in Ehren­feld. Und auch im Kwartier Latäng kommt stetig neuer schicker Baum- und Laternenschmuck hinzu. Unter dem Motto Stricken statt Sprayen bringen die so genannten »Yarn Bomber« im Agnesviertel Leben und Farbe in den urbanen Alltag und knüpfen damit erfolgreich an die ­Graffiti-Kultur an. Anschließend wird alles auf der Webpräsenz »Cologne Knitarts« dokumentiert. Die bunten Hin­gucker aus Wolle sind mittlerweile fest im Stadtbild verankert und stoßen — im Gegensatz zur deutlich schwerer zu entfernenden Wandbemalung aus der Dose — auf weitaus größere Akzeptanz in der Bevölkerung. Kein Wunder: In einer Zeit, die Nachhaltigkeit, Naturschutz und ökologisch korrektes Verhalten predigt, ist Wolle so etwas wie das Material der Stunde. Wolle ist ein Naturprodukt und vermittelt Wärme und Geborgenheit. Schon deshalb werden gestrickte Graffiti, im Gegensatz zu herkömmlichen, als eher sanfter Eingriff in den öffentlichen Raum wahrgenommen (bezeichnenderweise nennt sich eine Kölner »Yarn Bombing«-Gruppe »Fluffy on Tour«).»Ich finde es einfach hübsch, beim Radfahren oder beim Vorübergehen diese bunten Farbtupfer in der Straßenlandschaft zu sehen«, gibt auch Teilzeit-Craftista Denise Schynol aus Deutz zu Protokoll, die für ihr erstes eigenes Strickgraffito noch nach dem richtigen Platz auf der Schäl Sick sucht.  

 

Anders als beim Handarbeitsunterricht in der Schule steht beim »Yarn Bombing« die technische Perfektion weniger im Vordergrund. Kein Wunder, aufgrund der rechtlichen Grauzone müssen die »Guerilla Knitter« die Geländer, Laternen- und Ampelmasten meist im Verborgenen und mit heißer Nadel verschönern. Nicht immer geht es den Aktivsten darum, ein Statement zu setzen und das Inventar des öffentlichen Raums mittels textiler Zeichensetzung zum Aussageträger zu machen. In den Medien wird »Guerilla Knitting« wahlweise als originelle, neue Form des Handarbeitens oder als nette, aber auch irgendwie harmlose Form des Aktivismus dargestellt. Fakt jedoch ist, dass immer mehr Handarbeitstechniken heute nicht mehr nur aus einer Notwendigkeit heraus verwendet werden, um individuelle Kleidung oder Accessoires zu fertigen, sondern Teil einer überregional vernetzten »Radical Crafting«-Szene sind, die auf unterschied­lichen Wegen ihre politischen und alltagskultu­rellen Praktiken verfolgt.

 

Teil dieser Szene ist auch Daniela Johannsenova, seit 2006 Betreiberin und Inhaberin des freundlichen Wollgeschäfts »Maschenkunst« in der Innenstadt. Die gebürtige Tschechin mit den feuerroten Haaren strickt seit ihrer Kindheit und freut sich, dass ihre Leidenschaft endlich nicht mehr nur als Rentner-Freizeitbeschäftigung wahr­genommen wird. Ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben bereut sie nicht. Handarbeiten — oder wie es inzwischen weltweit heißt: Crafting — ist seit einigen Jahren wieder schwer angesagt, vor allem auch unter jungen Leuten. Handarbeitsläden verzeichnen steigende Umsätze. So vermeldete der Branchenverband »Initiative Handarbeit« auf der diesjährigen Fachmesse für Handarbeit & Hobby in Köln, h&h cologne, dass der Gesamtmarkt für Hand­arbeits­bedarf im vergangenen Jahr um 15 Prozent auf rund 1,2 Milliarden Euro Umsatz gestiegen sei. Den Löwen­anteil daran haben mit 430 Millionen Euro die Handstrick­garne, also die verschiedensten Sorten Wolle und Baumwolle zum Stricken und Häkeln. Erst danach kommen die Stoffe mit einem Umsatz von 400 Millionen Euro.

 

Ausdruck dieses Booms ist auch das erwähnte »German Raveler Meeting«, das im fünften Veranstaltungsjahr erstmals in Köln gastierte. Auch Daniela Johannsenova ist mit dabei und hat das Festival rund ums Stricken, Häkeln und Sticken mitorganisiert. Trotz Höchsttemperaturen kamen an einem heißen Augustwochenende über 1200 Besucher ins Sport- und Olympiamuseum, um sich von führenden Handarbeitsexperten in die Kunst des Tunesischen Häkelns oder Zopfmuster­strickens einführen zu lassen. »Zu den Vorzügen des Strickens zählt eben auch, dass es nicht zwangsläufig ein einsames Hobby ist«, so Johann­senova und verrät, dass die erste Anschaffung für ihr ­Geschäft aus diesem Grund ein gemütliches Sofa gewesen sei, das bis heute inmitten der Verkaufsfläche steht.

 

Der Gemeinschaftssinn und der Vernetzungsgedanke innerhalb der Strickcommunity ist groß, sei es analog (in Strickzirkeln, -Happenings, -Cafés) oder auf digitalem Weg (wie in dem weltweit größten Online-Handarbeits­forum ravelry.com). Das Web bietet schier unendliche Möglichkei­ten der Vernetzung und Kommunikation. Auch Johann­se­nova bloggt fleißig über Garnstärken oder nimmt eine neue Folge für ihren »Secret Knitting«-Podcast auf. Der Netzwerkgedanke treibe sie an, sie wolle die Szene zu­sam­men­brin­gen, so Johannsenova. Der nächste Stricktreff sei bereits in Planung. Zugegeben, im Vergleich zu den Garnbomben birgt das Stricken von Domspitzen nicht gerade viel politischen Sprengstoff. Hier liegt der Reiz wohl eher darin, etwas selbst zu erschaffen und seine Kreativität auszuleben.

 

»Vieles, was heute unter dem Label ›Crafting‹ etikettiert wird, ist eigentlich auch nur Lifestyle-Behübschung von Mittelschichtpersonen, die heute eben ein wenig ­hipper basteln als unsere Eltern — für ihre Kinder, für ihr Eigenheim. Was ja auch legitim ist, aber natürlich nicht gerade politisches Potenzial birgt. Politisch ist Crafting nach wie vor dann, wenn es in die Öffentlichkeit getragen wird und sichtbar Forderungen stellt und Veränderungen anstrebt, als Strickgrafitti-Protesten oder Stickbanner oder Knit-In«, findet Sonja Eismann, Chefredakteurin beim Missy Magazine und Herausgeberin des Buches »Craftista! Hand­arbeit als Aktivismus«. Sie begreift das Stricken in der heutigen Form als Teil der DIY-Welle, die vor rund zwei Jahrzehnten mit der radikalen Riot-Grrrl-Bewegung ihren Anfang in den Vereinigten Staaten nahm.  »Im Zuge der Crafting-Begeisterung gab es eine feministische und künstlerische Wiederaneignung dieser stereotyp weib­lichen Techniken wie Stricken, Häkeln, Sticken Nähen, bei der es dezidiert darum ging, darauf hinzuweisen, dass nicht diese Techniken an sich minderwertig sind, sondern dass die Zuschreibungen das Pro­blem sind.«
Laut Eismann fällt durch die positive Neudefinition von Handarbeit womöglich auch bald eines der letzten Tabus: strickende Männer. Wurde auch Zeit.

 

Läden

 

Frau Wolle, Siemensstr. 1, Ehrenfeld

 

Maschenkunst, Christophstr. 9, Friesenviertel

 

Schnurstrax, Goltsteinstr. 96, Bayenthal

 

Wollstreet, Zugweg 4, Südstadt

 

Casa Lana, Schwertnergasse 1, Innenstadt

 

Literatur

 

Craftista! Handarbeit als Aktivismus. Hrsg. Critical Crafting Circle (Elke Gaugele, Sonja Eismann, Verena Kuni, Elke Zobl) Ventil Verlag, 2011

 

Verena Kuni: Häkeln + Stricken für Geeks, O’Reilly Verlag, 2012