65 Jahre Blut lecken

Holger Czukay, ist einer der zehn bekanntesten Kölner aller Zeiten: Für sein Lebenswerk bekam er den Echo-Preis 2003 verliehen. Mit seiner besten Freundin U-She hat er jetzt ein neues Album ein- gespielt: »The New Millennium«. Am 24. März feierte er seinen 65. Geburtstag Konrad Feuerstein trägt Eulen nach Athen.

StadtRevue: U-She erinnert an Nico, was die Stimme betrifft.

Holger Czukay: Die sind sich auch sonst sehr ähnlich. Man könnte fast von einer Reinkarnation sprechen: U-She ist auch ein Multitalent. Und was immer sie anpackt, gelingt ihr. Zum Beispiel Modedesign: Auf ihre Kleider sprechen sie immer wieder Leute auf der Straße an. Ich habe auch schon die Musik für ihre Modeschauen zusammengestellt, das ist sehr angenehm, weil man da die abgefahrensten Sachen spielen kann.

Mir haben vom neuen Album »Chittagong« und »Cinderella« besonders gut gefallen, gerade auch die Instrumentalpassagen. Aber mit dem Titelstück bin ich bisher nicht so warm geworden. Wie seid ihr darauf gekommen, so ein 80er-Popstück zu machen?

Ich hatte einen Synthesizer gekauft und habe den ausprobiert, da sagt die U-She: Hast Du das schon aufgenommen? - Mach das mal eben. Etwas später kam sie wieder runter zu mir und sagte: Ich habe schon einen Text. Dann habe ich ihre Stimme aufgenommen, und das war auch schon das Stück. Ich sage es ganz klar, das ist mein persönliches Lieblingsstück im Augenblick.

Könnte ein Hit werden. Ist eine Single-Auskopplung geplant?

Wenn es ein Hit wird, dann war es ein Betriebsunfall. Vorgesehen war es bisher nicht als Single, und ich bin keiner, der auf einen Hit hinarbeitet. U-She ist in der Lage, ganz unprätentiöse Texte zu machen, im Gegensatz zu solchen Leuten, die immer glauben, irgendwelche Botschaften unterbringen zu müssen. Da kommt so eine Zeile: »Driving away, mit Freunden wegfahren, a long long way«. Das habe ich dann so gebaut, dass das vollkommen reichte. Es erzeugt eine solche Sehnsucht, mehr muss es gar nicht haben. Das hat sich in kürzester Zeit als
Popsong herausgestellt. »Chittagong« und »Cinderella« sind entstanden als Reaktion darauf, dass meine erste Scheibe mit U-She weltweit von der Plattenindustrie abgelehnt worden war. Daraufhin breche ich nicht in Tränen aus, sondern mache das Gegenteil und sage: Von jetzt an werdet ihr euch bei mir bewerben. Und dann habe ich mein eigenes Label gegründet: Dignose.com.

Mit dem Trüffelschwein im Logo. Heißt das, dass Sie auch Musik von anderen veröffentlichen werden?

Ich habe jetzt erst mal meine eigenen zwei Scheiben da veröffentlicht, eine Internetzusammenarbeit, und die besagte Platte mit
U-She. Und siehe da, sie verkaufte unglaublich gut, die Labels und Medien riefen an, aber niemand bekam eine Platte. Ich habe grundsätzlich alles verschwiegen. Ich sah gar keine Veranlassung mehr, mit der Plattenindustrie zu arbeiten. Bei der Rückreise von meiner letzten Tournee hat mich dann mein Manager überredet, ihm noch einen allerletzten Versuch zu gewähren, das aktuelle
Material bei der Plattenindustrie unterzubringen.

Wie kam der Kontakt zu Terre
Thaemlitz zustande, der an einem der Stücke auf dem neuen Album mitgewirkt hat?


Durch U-She, hier in Köln. Die hatte ihn auf einer Undergroundparty gehört und fand ihn extrem und abgefahren. Während meiner USA-Promotion vor vier Jahren hatten U-She und ich ihn in seinem Studio in San Francisco besucht und ihm »La Premiere« vorgespielt, ein Stück aus meinem reichhaltigen Vorrat. Terre fand sofort einen Draht zu der Musik.

Wie gestaltet sich der Kontakt zu den alten Mitstreitern von Can heute und in den letzten Jahren?

Die Kontakte sind noch immer frisch und lebendig, sowohl zu Jaki Liebetzeit und Irmin Schmidt, wie auch zu den beiden Sängern, die ja dem Musikereignis Can einen entscheidende Prägung mitgegeben haben. Malcolm Mooney ist eben wieder zu seiner Kunst zurück gekehrt, und Damo Suzuki möchte seine Karriere ohne das Can-Vermächtnis im Rücken ganz auf sich selbst gestellt fortführen. Respekt!

Es geht das Gerücht, Sie hätten bei vielen Can-Aufnahmen nachträglich Ihre Bass-Spuren manipuliert.

Ja, ich habe oft das Attack abgeschnitten, das Saiten-Anschlagsgeräusch.

Sind Sie durch Stockhausen auf diese Idee gekommen? Dessen erste Elektroakustik-Studien basieren ja auf Klaviertönen mit gecuttetem Attack.

Nein, das wusste ich gar nicht. Aber von ihm habe ich andere wichtige Dinge gelernt. 1958 hat er das Duisburger Konservatorium besucht, wo ich zu der Zeit studiert habe, und hat eines seiner Stücke vorgespielt, das klang wie Klospülungen im Weltall. Nachher meldete sich jemand und sagte: »Herr Stockhausen, das machen Sie doch nur, um uns zu schocken, und aus dem Schock wollen Sie Geld machen.« Stockhausen antwortete, er mache das nur aus musikalischen Gründen, er habe eine reiche Frau geheiratet und brauche daher kein Geld. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich von Stockhausen noch einiges lernen können würde. Nachdem ich bei ihm studiert hatte, hieß es dann, sich erst mal eine reiche Frau zu besorgen. Das habe ich auch geschafft, aber mit der reichen Frau bekam ich auch einen guten Job, und damit war die reiche Frau nicht mehr notwendig.

Wie kamen die anderen Mitstreiter ins Spiel?

Ich war Musiklehrer auf einer Art Elite-Internat, wo Prinz Ferdinand von Preußen und solche Leute Schüler waren. Und eben auch der Michael Karoli. Mit dem verstand ich mich sehr gut. Wir haben beide zur selben Zeit die Schule verlassen und den Kontakt gehalten. Dann war irgendwann die Zeit reif, und ich konnte sagen: Ich kenne da noch jemanden, den bringe ich gleich mit. Irmin Schmidt wollte ebenfalls nicht mehr so weitermachen wie bisher im Kulturbetrieb, dem er ja viel mehr verbunden war als ich. Er fragte mich, ob man nicht Musik machen sollte, die alles hinter sich lässt, und sagte: Ich kenne auch noch jemanden. Das war der Jaki . Das war es dann. Dann haben wir verschiedene Sängerinnen ausprobiert, meistens Schauspielerinnen, aber das war alles noch nicht, wie es sein sollte. Plötzlich kam Malcolm Mooney, eigentlich nur zum Zuhören, ins Can-Studio, irgendwann schnappte er sich ein Mikrophon. Von da ab nahm die Geschichte eine andere Wendung, Wir entschlossen uns, diese Richtung beizubehalten. Das hätte eigentlich nach allen möglichen Seiten weitergehen können, wir wollten aber genau das: eine Dampfwalze in Bewegung bringen - obwohl wir noch gar nicht dazu in der Lage waren. Aber das hat man mit der Zeit gelernt. Mit Malcolm Mooney, dann natürlich auch mit Damo, der die Sache von einer ganz anderen Seite aus anpackte.

Damo klingt zarter, nicht so nach vorne treibend.

Ja, aber er war genauso toll wie Malcolm Mooney. Nur war Malcolm für den Start enorm wichtig. Ich weiß nicht, wie es gekommen wäre, hätten wir als erstes Damo gefunden und danach Malcolm. Ich glaube, das hätte dann eine ganz andere Wendung genommen, eine weniger positive, weil wir zunächst dringend lernen mussten, uns zu reduzieren und ganz elementare Rhythmen zu spielen. Auch Irmin, der ausgebildeter Dirigent war, hatte größte Mühe, nur bis Vier zu zählen. Wie wir alle. Du bist viel zu befangen. Dir fehlt diese Selbstverständlichkeit, Dinge aus dem Hören heraus zu machen. Das ist es, was Jaki sofort erkannt hatte. Alle Ratschläge, die er damals eingebracht hat, zielten darauf, möglichst viel hinzuhören und möglichst wenig selbst dazu zu tun. Das war eigentlich genau die Keimzelle von Can und ihrer Power - und ihrem Weg, als ein Team aufzutreten, was keine Solisten kannte.

Das Egalitäre wurde euch später hoch angerechnet, ob in Avantgarde-Wave-Kreisen oder von Kölner Elektronikern in den 90er Jahren. Spornt der Respekt von jüngeren Musikern dazu an, immer wieder an aktuelle Trends anzuknüpfen?

Das habe ich seit jeher gemacht. Noch bevor ich überhaupt bei Can war, haben mich meine Schüler in der Schule dazu gebracht, mir die Stones oder Jimi Hendrix anzuhören. Zunächst fand ich das alles ziemlich lapidar. Aber dann hieß es: »Wolln se nich bei uns in der Schulband mitspielen?« Und dann tat ich das, und die zeigten mir mehr, was ich zu machen hatte, als ich ihnen etwas hätte zeigen können. Das war die Vorstufenzeit zu Can. Ich hatte plötzlich Blut geleckt, wusste, wo der Zug hingehen sollte.

»The New Millennium« ist an Holger Czukays 65. Geburtstag auf Fuenfundvierzig / Indigo erschienen.