Monumentale Einsamkeit

Ein etwas anderer Adam-Sandler-Film: Mit »Punch-Drunk Love« begibt sich Regisseur

Paul Thomas Anderson (»Magnolia«) wieder an die Grenzen Hollywoods und des Genrekinos.

Schon das erste Bild weist die Richtung: Im kahlen Hinterzimmer eines Lagergebäudes sitzt ein Mann an einem Schreibtisch und telefoniert. Er trägt einen aufdringlichen blauen Anzug und aufdringlich trägt er sein Anliegen der Person am anderen Ende der Leitung vor. Worum es in dem Gespräch geht, wird erst im weiteren Verlauf des Films klar. Irgendwas mit Puddingpackungen, Bar-Codes und Bonusmeilen.
Der Blaue in der Einsamkeit seines provisorischen Büros, den Telefonhörer ans Ohr gepresst, an diesem Nicht-Ort ohne Zeitangabe, verkörpert eine Anspannung und eine Besessenheit, die so radikal und schmerzhaft ist, weil sie ohne Kontext auskommt. Jedenfalls sind alle später nachgereichten Erklärungen für sein Verhalten ungenügend. Es stellt sich heraus: Der einzige Kontext, auf den der Blaue zurückgreifen kann, ist das Bild, in dem er selber sitzt und telefoniert.
Dies ist eine der bitteren Lektionen von »Punch-Drunk Love«, einem Film, der die Grenzen des Mediums und die Konventionen des Genrekinos so strapaziert, dass auch die Figuren mehr als üblich zu Spielfiguren in einer audiovisuellen Versuchsanordnung werden. Oft wirkt dieser von den eigenen Bildern sichtbar faszinierte Film wie eine Ausstellung von Einstellungen. Aufnahme folgt auf Aufnahme, Handlung dient allein dem Übergang zwischen ihnen.
Es dominiert das stillgestellte, gerahmte Bild. Ist das überhaupt noch ein Film, oder schon ein Fotoband? Die Totale einer Supermarktregalreihe könnte von Andreas Gursky stammen, die Ansichten öder, aber farbsatter Gewerbegebietsarchitektur erinnern an William Eggleston.
In diesen abgebremsten Laufbildern – der Kino-Philosoph Gilles Deleuze hätte sie wohl »Zeit-Bilder« genannt, weil in ihnen die Zeit unabhängig von Bewegung sichtbar wird – irren freilich weiterhin echte Menschen herum. Ihre Bewegungen sind hölzern, unflüssig, robotisch; ihr Handeln ist ein Übersprungshandeln. Offensichtlich geben die Bilder, immerhin ihr Lebensraum, den Figuren keinerlei Halt. Freigesetzt (oder besser: ausgesetzt) taumeln die Bilder durch den Film wie die Figuren durch sie. Die Ruhe des Visuellen ist trügerisch, denn sie verbirgt nichts anderes als die pure, katastrophische Kontingenz. Alles kann passieren: Plötzlich überschlägt sich ein Auto und ein Harmonium steht in der Einfahrt.
Entsprechend durcheinander sind die Menschen. Emotionen und Gedanken sind nur noch ungeordnete Materialien, aus denen verkorkste Psychen zusammengestoppelt werden. Regisseur Paul Thomas Anderson ist ein Spezialist für solche nervösen und gebeutelten Flicken-Wesen, die ihre Existenz im Kontakt mit den medialen Bildern und einer aus dem Ruder geratenen Welt- und Wahrnehmungsordnung zugleich entfalten und verlieren. Mit bizarren, aber darin äußerst virtuosen Filmen wie »Hard Eight«, »Boogie Nights« und »Magnolia« hat er sich einen Ruf als ehrgeiziges Enfant Terrible geschaffen, das an den Rändern von Hollywood für Aufsehen sorgt.
Die Anti-Story von »Punch-Drunk Love« beginnt bereits mit dem Casting. Die Hauptrolle, der Unternehmer Barry Egan, wurde Adam Sandler auf den Leib geschneidert. Sandler, derzeit einer der erfolgreichsten komischen Schauspieler im amerikanischen Kino, unterläuft so manche Erwartung an sein komödiantisches Talent. Das leicht erkennbare Ziel: Er will mit Andersons Hilfe als eine Art Meta-Komiker in den Pantheon zwischen Buster Keaton und Jacques Tati einrücken.
Die Figur des Barry verlangt ihm dabei eine flamboyante Minus-Performance ab, die das Komische mit aller Macht unterdrückt. Sandler gibt den Barry als verstockten, gepeinigten Bruder seiner sieben Schwestern, die ihn ein Leben lang schikaniert haben. Er kommuniziert obsessiv, ist aber zugleich maßlos kontaktscheu; er neigt zu unvermittelten Gewaltausbrüchen und verbreitet ansonsten lähmende Melancholie. Insofern gleicht dieser Zwangscharakter sehr den Bildern, die der Regisseur für ihn baut.
Barry lebt allein. Deshalb verbringt er viel Zeit in seinem kleinen Unternehmen, einem Scherzartikel-Großhandel, oder allein in seinem noch trostloseren Apartment im San Fernando Valley. Aus der monumentalen Einsamkeit flüchtet er sich durch das Sammeln von Bonusmeilen, die ein Puddinghersteller in einer verunglückten Werbeaktion viel zu günstig anbietet (Anderson hat sich von einem realen Fall inspirieren lassen), sowie in eine Telefonsexbeziehung. Letztere mündet in einer Erpressung durch mormonische Kriminelle aus Utah.
Aber dieser Hiob hat auch Glück: Barry trifft Lena (Emily Watson). Beziehungsweise Lena trifft ihn: Denn soll überhaupt etwas gelingen, müssen Barry die Dinge zustoßen. Nimmt er selbst etwas in die Hand, dann droht ein Fiasko. Lena aber, die zarte Engländerin und kluge Beziehungsstrategin, verschafft ihm erstmals Gelegenheit, aus seinem Gefängnis der Passivität auszubrechen. Ihre Liebe lehrt ihn, aktiv zu sein, ohne gleich alles zu zerstören. So zelebriert »Punch-Drunk Love« einen Optimismus, der dem Fatalismus von Andersons statischer Bilderhölle zu widersprechen scheint.
Doch sind solche Widersprüche die Essenz eines überaus geschmackvoll zubereiteten Neo-Surrealismus: Hier ist kein Bild sich selbst überlassen, jede schauspielerische Geste exakt getimt, jeder Ton des Soundtracks präzise in das Geschehen intregriert. Und der Zufall? Er wird in dieser permanenten Arbeit der Selbstüberbietung bei der Enttäuschung von Erwartungen nur als inszenierter geduldet. Anderson ist ein sympathischer Kontrollfreak, der manchmal so anstrengend sein kann wie das Leben für Barry Egan. Aber seine Experimente mit Kontingenz und Existenz bleiben auch dort, wo sie eher Exerzitien gleichen, wegweisend. Die Mühe lohnt sich, gemischte Gefühle inklusive.

Punch-Drunk Love (dto) USA 02, R: Paul Thomas Anderson, D: Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymour Hoffman, 94 Min. Start: 17.4.
Preview: 28.3., 21 Uhr, Off Broadway.