»Oder man geht einfach raus«

Der Regisseur Albrecht Hirche und acht DarstellerInnen des neuen Schauspiel-Ensembles wollen die Halle Kalk aufmischen – mit dem Projekt »Die zehn besten Rocksongs der Weltgeschichte«. Das klingt vermessen. Alexander Haas traf den Regisseur während der Proben zum Gespräch.

Albrecht Hirche ist einer der wenigen erfolgreichen Pendler zwischen Off- und großem Stadttheater. 1996 gewann er mit »Bad Actors« den wichtigsten deutschsprachigen Off-Wettbewerb, die Impulse. Zuletzt inszenierte er in Basel Tschechows »Möwe«. »Die 10 besten Rocksongs der Weltgeschichte«, dessen szenisches Material Hirche selbst geschrieben hat, kommt am 28. März in Köln zur Uraufführung.

StadtRevue: Herr Hirche, wenn man die Proben beobachtet, sie zwischendurch Gitarre spielen oder dann hier so sitzen sieht (Albrecht Hirche war angezogen, wie auf unserem Foto): Sind sie eigentlich ein Rocker?

Albrecht Hirche: Oh... hm... (zögert) ...Nein. (leiser) Würde ich sagen. (lacht)

Wie ist dann Ihre Beziehung zu diesem Projekt?

Na ja, ich mache Theater. Und wenn man Theater macht, dann benutzt man diese Welten eher für sich. Ich habe zwar einen Hang zu Rockmusik, kenne mich da ein bisschen aus. Aber ich kenne mich auch woanders aus und benutze auch andere Genres. Auch was ich privat anziehe, ist weit weg von Rockern, glaube ich. Oder? (Hirche blickt zur Pressereferentin und Hospitantin, die etwas entfernt dabei sitzen - es wird gelacht.) Ich selber würde erst mal sagen: Nö. Vielleicht: auch.
Ich weiß zwar nicht genau, wie konkret der Titel ihres Projekts gemeint ist, aber würden Sie ihre zehn oder auch nur fünf persönlichen Tophits mal nennen?

Das wäre zu langweilig. Ich glaube, was den Titel angeht, funktioniert es schon auf eine Art, dass man sich eine Sekunde lang fragt: Hätte ich Lust darüber nachzudenken? Welches sind die Songs, die mich in meiner Jugend angefixt haben, die ich auch nie vergessen werde, die wichtig waren in bestimmten Zusammenhängen, vielleicht im Auto oder sonst wo. Und wenn ich jetzt zehn Songs nenne, dann gibt es eh’ nur Widerspruch. Dann würde jeder sagen: Nee, das finde überhaupt nicht.

Es geht also nicht einfach um Ihre zehn besten Rocksongs?

Doch, aber nicht nur. Wichtig ist für uns natürlich die Frage: Wenn wir einen Song live spielen, zu welchem Schauspieler passt er? Es kommen Songs vor, bei denen ich gar nicht sicher bin, ob ich die gut finde. Aber wir haben dann gesagt: Das passt sehr gut, wenn eine Frau es singt. Der Rahmen wird genauso von den Schauspielern bestimmt, wie von meinem persönlichen Musikgeschmack. Wenn es Deckungen gibt, freut es mich.

Das Ganze bleibt aber ein Theaterprojekt. Wie sieht die Story aus? Es werden ja kaum einfach nur die Songs gespielt werden und fertig.

Doch. Erst mal so. Ganz unverschämt. Man könnte dann noch irgendwelche Begründungen finden, warum die Songs da sind.

Aha.

Ja, in unserem Fall ist es dann so, dass Kurt Cobain die Chance kriegt, einen von seinen Songs live im Studio zu spielen. Er ist in die Auswahl der zehn Besten reingekommen. Er mit seiner Band. Diese Band orientiert sich an der Besetzung von Nirvana. Unsere Figuren heißen auch so: Kurt, Dave und Chris. Aber es ist keine Nacherzählung der Nirvana-Geschichte. Sie funktionieren mehr als Modell.

Wer hat den Kurt denn eingeladen?

Tja, das ist oft so eine Sehnsucht, dass man eine Story hat...

Nun ja, ein bisschen Handlungslogik...

Das Ganze ist aber eher ein assoziativer Kosmos. Für mich ergibt sich die Struktur aus den zehn Songs. Und dazwischen versucht man eher, auf nicht ganz doofe Art zu diesen Songs zu kommen.

Den Probenszenen nach, müssten es Studiobosse oder Radiomoderatoren sein, die eine Sendung machen und Kurt eingeladen haben. Einen davon spielen sie selbst, den anderen der Rockmusiker Blain Reininger. Und die Eingeladenen sollen deren zehn beste Rocksongs interpretieren.

So in der Art. Aber es kommt noch einiges dazu. Und die Moderatoren spielen auch selbst. Andere Songs kommen vom Band, weil es völliger Schwachsinn wäre, sie nachzuspielen. Die sind einfach zu gut. Dann sitzen wir eben mal drei Minuten im Theater und hören uns das an. Man kann ja im Programmheft lesen, oder man geht raus. Das ist gar kein Problem. Und kommt dann wieder. Oder geht nach Hause.

Man würde vielleicht einige gute Songs verpassen?

Genau.

Welchen Rockbegriff haben sie zu Grunde gelegt? Es ist ja ein enormes Spektrum.

Das Geburtsjahr verändert die Liste zum Beispiel total. Und ob man auch nach der Pubertät noch Musik gehört hat. Es gibt Leute, die haben nur zwischen 15 und 18 Musik gehört. Dann sind sie in die Banklehre gegangen und haben nur noch Fernsehen geguckt. Andere sind weiterhin mehr oder weniger dran geblieben. Eigentlich geht es um die Frage, wie tief man noch in seiner Pubertät verwurzelt ist.

Also funktioniert die Beziehung zu Ihrem Projekt schon über die eigene Sozialisation?

Ja, ganz klar. Trotzdem würde ich dabei bleiben, dass ich kein Rocker bin. Aber in meiner Jugend hat mich Rock eben sehr geprägt. Auch der Kampf mit dem Elternhaus, die das alles Scheiße fanden. Auch dass man in einer Band gespielt hat, versucht hat, Konzerte zu organisieren... Alles natürlich auf einem sehr bescheidenen Niveau (lacht).

Noch mal zum Rockbegriff...

Ein Leitgedanke war, zu sagen: Ohne die eine Band gäbe es die andere Band nicht. Also Nirvana nicht ohne die Sex Pistols. Oder zumindest nicht ohne die Bewegung, die die Sex Pistols ausgelöst haben. Um über die 70er Jahre überhaupt hinaus zu kommen, war Punk eine ganz entscheidende Bewegung. Außerdem glaube ich, dass man unterscheiden muss zwischen dem Ego-Popsong, der irgendetwas Kleines vergrößern will, und dem Song, der ein gesellschaftliches Phänomen erfasst.

Gibt es in der Phase vor Punk die Egoversion überhaupt?

Stimmt, das setzt vielleicht erst später ein. Aber ich will jetzt immer ein Beispiel von unseren Songs sagen... (lacht).

Na, einer von zehn...

Nee, Nee.

Welche Rolle spielt der gesellschaftspolitische Aspekt von Rock, den Sie gerade angesprochen haben?

Der ist natürlich sehr wichtig. Aber heute machen die Radiosender, die Musikindustrie Politik. Das, was ich höre, was ich überhaupt kennen lerne, ist oft eine politische Entscheidung von wenigen Leuten. Wer welche Verträge bekommt, wer im Radio gespielt wird, wer auf den Index kommt.

Sie verhandeln also ökonomische Machtstrukturen?

Das ist kein politisches Theater. So etwas wird gefiltert durch die persönliche Befindlichkeit des Spielers, der Figur. Es geht zum Beispiel darum, wie einer, eben Kurt, der durch das Studio taumelt, die Welt draußen wahrnimmt. Ich würde sagen, es ist eher ein Gemälde über Rockmusik und keine Analyse.

Kurt Cobain gilt als der bislang letzte »tragische Rockstar«. Inwiefern interessieren Sie die Heldenentwürfe der Rockgeschichte?

»Star« ist für mich erst mal ein theatralischer Begriff und insofern sehr interessant. Ich glaube er setzt sich aus zwei Persönlichkeiten zusammen: der Star, der zu Hause lebt und der Star, der an die Öffentlichkeit tritt. Meistens führt das zu einem Konflikt, und sehr oft verbrennen sie daran. Trotzdem gibt es bei vielen Leuten die unheimliche Sehnsucht: Das muss doch ein tolles Leben sein. Die Sehnsucht, zu sehen, wie RTL sich einen »Superstar« ausdenkt, die Sehnsucht, man könnte daran teilhaben.


»Die 10 besten Rocksongs der Weltgeschichte«, ein Projekt von Albrecht Hirche, Regie: Albrecht Hirche, Koregie: Kathrin Krumbein, Halle Kalk, 28. (UA), 29., 31.3., 3.-6., 8., 25., 26., 28., 29.4., 19.30 Uhr.